Einer lacht immer

„Ist Lachen der neue Rock’n’Roll?“, fragt die „B.Z.“. Und es ist egal, wie verzweifelt man dem Berliner Boulevardblatt „Nein!“ entgegenbrüllt – die 70000 im Berliner Olympiastadion übertönen einen mit ihrem Grölen und Johlen doch jedes Mal, wenn Mario Barth „Nussloch“, „Fabrikverkauf“ und „Handtasche“ sagt.

Seit seinem Stadionspektakel am 12. Juli 2008 ist der ehemalige Telekommunikationsanlagenelektroniker und Touristenbespaßer nämlich Weltrekordler, in dem Anfang September erscheinenden Erbsenzähler-Almanach „Guinness World Records 2009“ kriegt der 35-Jährige seinen eigenen Eintrag, der ihn als den Live-Comedian mit den meisten Zuschauern weltweit ausweist. Bisheriger Rekordhalter war Chris Rock, zu dessen Auftritt in die Londoner O2-Arena im Mai 15900 Zuschauer kamen – eine so große Besuchermeute belustigt Barth bei seinem Tingeltangel zwischen Aschaffenburg und Zwickau jede Woche. 1,7 Millionen haben sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren Barths Gebrabbel live angehört, ihn vom TV-Clown zum neuen Rockstar unter Deutschlands Komikern (und damit zu Michael Mittermeiers Nachfolger) hochgejubelt.

Doch auch wenn uns Ulksender wie „Comedy Central“ und Quatschformate wie „Upps! Die Pannenshow“ oder „Genial daneben“ das Gegenteil weismachen wollen – auch vor der Erfindung des Farbfernsehens, vor Atze Schröder, Kaya Yanar und Oliver Kalkofe, ja sogar vor Otto Waalkes gab es ab und zu was zu lachen. Ob es allerdings noch was zu lachen gibt, wenn Mario Barth mit uns fertig ist, dürfte fraglich sein.

Wie die meisten vom Privatfernsehen aufgepäppelten Witzbolde hat auch Super-Mario bloß immer denselben dummen Gag auf Lager: Seiner ist der. in dem es darum geht, dass Männer nur an Sex und Frauen nur an Handtaschen denken. Als One-Hit-Wonder, das nicht aufhören will zu dudeln, verstopft er das öffentliche Leben. Seinen einen Knüllerkalauer dehnt der Mann fürs Grobe auf eineinhalbstündige Bühnenshows („Männer sind Schweine, Frauen aber auch“, „Männer sind primitiv, aber glücklich“) aus, füllt damit DVDs, Wörterbücher („Deutsch – Frau/Frau – Deutsch“), TV-Shows („Mario Barth präsentiert“), T-Shirts („Janz wichtig: Fresse halten angesagt!“), neuerdings Stadien und bald einen Kinofilm („Männersache“).

Was das mit Rock’n’Roll zu tun hat? Natürlich gar nichts. Eine ganze Menge aber mit dem Ausverkauf der Spaßkultur. Denn der Sache nach wollen das Lachen und der Rock’n’Roll doch dasselbe. Jeder Gitarrenriff droht mit Aufruhr, jedes Lachen kann eine Revolte sein, die die herrschende Ordnung auf den Kopf stellt. Der Gewinner des Schwelmer Kleinkunstpreises 2002 verlacht aber nicht den Stand der Dinge, sondern nur die Theoretiker des Lächerlichen: Als kleinbürgerliche Karikatur eines Rockstars feiert Mario Barth auf der Bühne ein Fest der Spießigkeit, mimt den Verteidiger des Status quo, rebelliert nicht gegen Klischees, Stereotypen, Rituale, sondern stampft sie mit jedem Gackern, Kichern und Grienen nur noch fester in den Boden der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Denn in Marios Welt gibt es nichts Schlimmeres als Veränderung. Lieber macht er es sich auf seiner „Wir Männer sind halt so“-Couchgarnitur gemütlich und krault sich die Eier.

„So anarchisch wie einen Bausparvertrag“, findet ihn denn auch „Der Spiegel“. Regisseur Dieter Wedel attestiert Barth derweil „unterstes Stammtischniveau“, und alle anderen lieben ihn, lachen über das, was sie kennen – oder was sie zu kennen glauben: Frauen, die nicht einparken können, die zu zweit aufs Klo gehen, die immer über alles reden wollen. Und Männer, die saufen, rülpsen, furzen und von Nutten träumen, wenn sie endlich mal unter sich sein dürfen.

Nein, das, was Mario Barth da macht, hat mit Rock’n’Roll etwa so viel zu tun wie die Softsex-Streifen, die früher nachts auf RTL vor sich hin stöhnten, mit Erotik. Während die „Berliner Morgenpost“ glaubt, Barth trotzdem mit den Rolling Stones vergleichen zu müssen („wie ein aufgeschreckter Mick Jagger“), hält der offensichtlich doch langsam etwas senil werdende Paul Kuhn Mario Barth für den neuen Harald Juhnke – und verhunzt mit ihm die Wiedervereinigungs-Schmonzette „Mensch Berlin“.

Natürlich passt Barth in Wirklichkeit besser ins Festzelt oder zum Ballermann 6 als in Rockarenen. Beim Wunschkonzert, das Silbermond im Vorprogramm der Weltrekordshow im Berliner Olympiastadion auf Barths Zuruf spielten, ließ er sie – eingerahmt von „Highway To Hell“ und „We Will Rock You“ – „Life Is Life“ von Opus, „Wahnsinn“ von Wolfgang Petry, „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ von den Randfichten und „Cheri Cheri Lady“ von Modern Talking schrammein: harte Schale, dummer Kerl.

Das Einzige, was Mario Barth wirklich mit dem internationalen Rockzirkus gemeinsam hat, ist, dass auch er dem Missverständnis aufsitzt, zu glauben, dass mehr immer auch besser ist. Barths Weltrekord weist ihn aber nicht – wie er in seinem Größenwahn annimmt – als den lustigsten Menschen aller Zeiten aus, sondern verrät nur einmal mehr, dass sehr viele Menschen einen schlechten Geschmack haben.

Doch keiner kann sagen, dass wir vor so einem wie Mario Barth nicht gewarnt wurden: „Es ist gefährlich, über einen Witz zu lachen“, hat der großartige Komiker Danny Kaye gesagt, als das Fernsehen noch schwarz-weiß und die Welt noch in Ordnung war, „man bekommt ihn dann immer wieder zu hören.“ Aber irgendeiner, der lacht, findet sich leider immer. Und manchmal finden sich Millionen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates