Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Götzer gegen Götzer – wilde Musik im Namen des Herrn

DIY-Folk-Punk oder die "Kings of Harley Rock"? Eric Pfeil wurde diese Woche mit zwei verschiedenen "Godz"-Bands konfrontiert.

Folge 123

In diesen bewegten Tagen, da in allen Ecken des großen religiösen Sandkastens im Namen Gottes soviel Schindluder getrieben wird, tut es Not, den Begriff des Göttlichen wieder positiv zu besetzen. Die Popmusik kann hier sehr hilfreich sein.

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Am vergangenen Wochenende wurde ich von einem Freund, dem Autor und Übersetzer Stephan Glietsch, in dessen Musikzimmer mit dem Schaffen der Band Godz vertraut gemacht. „Die klingen, als wäre eine Horde Waschbären in das Studio der 39 Clocks eingebrochen“, sprach Glietsch leuchtenden Auges und brachte das dritte Godz-Album „The Third Testament“ auf den Teller. Mein Gastgeber hatte nicht zuviel versprochen: Während ich noch völlig vom Cover der Platte in Bann gezogen war (das mich dazu veranlasste, die Band für eine 90er-Jahre-Lo-Fi-Kapelle zu halten), ließ sich bereits die eigentümlich eiernde Musik des Trios vernehmen, die schon in den ersten Takten von einem eher sorglosen Verhältnis zur handwerklichen Seite des Musikmachens kündete.

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Zu den Fakten: The Godz – bestehend aus dem Gitarristen Jim McCarthy, dem Bassisten Larry Kessler, Mundharmonikaspieler Jay Dillon und Schlagzeuger Paul Thornton – gründeten sich 1966 in New York. Die ganze Sache lief äußerst vorsatzlos ab, eigentlich wollte man nur einen Joint zusammen rauchen. Bald aber schon begannen die vier anwesenden Herren „out of total frustration“ (Jim McCarthy) auf zufällig im Raum herumliegendem Gerät herumzuklopfen. Zumindest Bassist Kessler war von dem kathartischen Akt mehr als angetan und schlug seinen Freunden vor, eine Band ins Leben zu rufen und mit dieser beim Free-Jazz-Label ESP vorstellig zu werden. Nachdem die anderen Herren Kessler für komplett wahnsinnig erklärt hatten, wurde exakt so verfahren. Und da behaupte noch einer, Kiffer bekämen nichts auf die Kette!

Weirdo-Geschrabbel – eine Freude

Rückblickend war der Plan, trotz mangelnden musikalischen Vermögens bei ESP aufzuschlagen, freilich gar nicht so absurd, schließlich hatte das Label neben Platten von Sun Ra, Pharoah Sanders oder Ornette Coleman auch Alben der Underground-Heroen The Fugs und Pearls Before Swine veröffentlicht. 1966 erschien das erste Godz-Werk „Contact High“. Die letzte Veröffentlichung der inzwischen zum Trio geschrumpften Band vor ihrer Auflösung Mitte der Siebziger trug den Titel „Godzundheit“. 32 Jahre später kamen die Musiker noch einmal zusammen. Das letzte Werk „Gift of The Godz“ erschien 2014.

Allen Menschen, die ein Herz für unangeschnallten DIY-Folk-Punk mit Freude am para-dilettantischen Weirdo-Geschrabbel haben, möchte ich dringend zur Auseinandersetzung mit der Musik der Band raten. Man steht danach Drogenexperimenten deutlich aufgeschlossener gegenüber. Meine Begeisterung gründet sich – wie ich hinzufügen sollte – nur auf der Kenntnis von „The Third Testament“, dem dritten Godz-Album aus dem Jahr 1968. Die anderen Platten kenne ich bislang nicht. Über weite Strecken hört sich „The Third Testament“ an, als hätten die Butthole Surfers eine Session der Manson Family gecrasht. Zwischendurch sorgen ein paar eher geradlinig konstruierte Songs dafür, dass man nicht schon nach nur einer Plattenseite das Vinyl ablecken und hernach unter Zuckungen auf dem Boden herumwälzen möchte. Das Song-Freakout-Song-Freakout-Konstrukt verdankt sich der Arbeitsmethode während der Aufnahmen: Die Band lud Freunde zu den Sessions ein und instruierte diese, ein möglichst entfesseltes Freak-Rambazamba zu veranstalten. Die auskomponierteren Stücke sind Solo-Nummern der Bandmitglieder.

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Es kann natürlich nicht nur eine Band mit dem Namen Godz geben. Bei meinen Recherchen stieß ich auch auf die anderen Götzer. Bei diesen anderen Godz (die man sich in jeder Hinsicht als das totale Gegenstück zu den New Yorkern vorstellen muss) handelt es sich um eine Biker-Hardrock-Band aus Ohio, die ihr erstes selbstbetiteltes Album 1978 veröffentlichte und die in ihrer beherzt zupackenden Musik alles vereint, wovor man früher von feinnervigen Musikjournalisten gewarnt wurde. Ich möchte es so sagen: Selbst wenn man einen schwachen Punkt für extrem stumpfen Stirnbandträger-Hardrock mit frauenfeindlichen Texten haben und darüber hinaus mit allen postmodernen Wassern der ironischen Wiederentdeckungskultur gewaschen sein sollte, könnten größere Mengen der Godz’schen Musik für feinnervige Menschen eine Belastungsprobe oberster Kajüte darstellen. Auf besagtem Debüt findet sich auch „Gotta Keep a Runnin“, der größte Hit der „Kings of Harley Rock“ (Blurt Magazine). Falls sich Leser durch die vorangegangenen Zeilen dazu verführt fühlen sollten, sich mit dem Schaffen der Band auseinanderzusetzen, wäre dieses Lied womöglich der optimale Anspieltipp. Um nochmals das Blurt Magazine zu zitieren: „ … their shitty songwriting could suck a bowling ball through a vacuum-cleaner hose.“

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Die anderen Godz – die „Kings of Harley Rock“

Zweimal The Godz also. Im großen Battle of the Godz zwischen den Ostküsten-Psych-Terroristen und den Harley-Hulks aus Ohio tragen die New Yorker Kiffköpfe ganz klar den Sieg davon. Aber erstens ist Musik bekanntlich kein Sport. Und zweitens soll man auch Verständnis für jene haben, die am Altar anderer Götzer darniederknien. Oder um es mit den eloquenten, wenngleich kryptischen Worten der Harley-Godz zu sagen: „Look at us, we’re everything your parents ever warned you about (…) there’s one thing they don’t understand, all of us, you and I, we’re Godz, and Godz are rock and roll junkies (…) Rock and roll has made us machines (…) We can’t see straight / We can’t think straight / We can’t hear straight / We can’t feel nothing, got no heart or soul, but we’re Godz (…) The Godz are rock and roll machines.“

Ich sage mal: Yeah.

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