Esoterische Entertainer

Hast du Humor?“, fragt Alex Paterson. Wer mich kennt, ruft mich Stalin. „Hast du wenigstens eine Glückzahl?“ Eigentlich nicht, aber wie wäre es mit der 36? „Oh, das ist eine gute Zahl, läßt sich eine Menge mit anfangen“, sagt er beruhigt und malt weiter an einer Zeichnung, die ein Gefängnis auf einem Hügel darstellen soll, aber auf der dann doch nur eine monströse Vulva zu sehen ist „Hoppla, das Unterbewußtsein“, gluckst Alex Paterson, der sich in PÜttencredhs gerne ein Dr. vor den Namen schiebt. „Steht für meine ersten beiden Namen, Duncan und Robert.“

Es geht mal wieder ums Paralleluniversum. Und um die schnellste Route dahin. Alex Paterson und Andy Hughes vom Ambient-Ensemble The Orb trinken schon seit dem frühen Nachmittag eine Mixtur aus Brandy und Ginger Ale, aber das muß man ihnen nachsehen, schließlich sind sie Engländet Wenn das ihre Fahrkarte in eine Welt neben der unseren ist, sollen sie sie lösen.

Eskapismus, Entertainment und Erleuchtung liegen bei The Orb nah beisammen, und jedes ihrer Werke bildet eine Welt mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Mit eigenem Zeitverständnis. Deshalb heißt ihr jüngstes Album „Orblivion“, denn das neue Millenium hat für sie schon begonnen. „Astrologen haben aufgrund von Sternkonstellationen berechnet, daß Jesus drei Jahre früher geboren sein muß“, sagt Paterson. „Das heißt, wir leben bereits im neuen Jahrtausend.“

So etwas gefallt The Orb: Schabernack unter dem Deckmantel der Wissenschaft Die christliche Zeitrechnung interessiert sie genauso viel oder wenig wie, sagen wir mal, die chinesische. Aber das Thema Zeit beweist, daß die Wahrnehmung der Welt auch immer ein Gestaltungsprozeß sein muß. So erschaffen The Orb mit jedem Album eine eigene Wekflirletzteshieß“CWiß Tenarum“, aber alle ihre Werke könnten diesen Titel tragen. Alltagsgeräusche erreichen die elektronische Klangwelt nur noch als schwache Signale, die ihrer herkömmlichen Zeichenhaftigkeit beraubt sind. Deshalb kann das Knattern eines Hubschraubers in seinen Tracks unendlich sanft klingen – und das Summen einer Biene wie ein Überschallflugzeug. Paterson wirbelt die Hierarchie der Sounds durcheinander. Gibt es eigentlich welche, die nicht erlaubt sind im Kosmos von The Orb? „Fürze sind sehr unangenehm. Aber wahrscheinlich geht es nur darum, den Kontext zu finden, in dem sie schön klingen.“

Ende der Achtziger lebte Paterson das erste Mal seine Liebe zum Geräusch aus. Mit „Land Of Oz“ richtete er als DJ den ersten Ambient-Club in London ein, wenig später gründete er The Orb. Damals stand ihm Jimmy Cauty zur Seite, der später das Meta-Pop-Unternehmen KLF gründete. Auch er ein Clown aus Kalkül „The Orb’s Adventures Beyond The UUrmvorld“, das erste Album, war ein brehflächiger Flow. Die House-Rhythmen, die das Königreich damals gerade aus Amerika erreicht hatten, wurden zurückgemischt und mit Dub-Effekten versehen. Hahnenschreie und Lavablubbern wurde nach vorn geholt Ambient House war das Schlagwort – und The Orb auf einmal ein Pop-Act Als 1992 „UJ.Orb“ herauskam, stieg es auf Platz eins der englischen Charts ein ein Album, dessen Tracks ohne gängige Songstrukturen auskommen. Unvorstellbar: Das dazugehörige „Blue Room“ plazierte sich ebenfalls – mit fast 40 Minuten die längste Single aller Zeiten. Paterson: „Plattenfirmen fragen immer: ,Und was bringen wir als Single raus? 1 Da harten sie ihre Single!“ Manchmal stören die Prinzipien des Pop den esoterischen Entertainer.

Can, Kraftwerk, Faust – das sind die Helden von Alex Paterson und Andy Hughes. Dabei besitzen The Orb selbst schon Helden-Status. “ Orblirion „, das siebte Album, ist ein rundes Werk. Dub-Rhythmen fräsen sich durch weiche Sounds.

Hier haben die Menschen ein anderes Verständnis von Zeit In Orb’s world.

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