Fish and Chips

ES WAR DER KÄLTESTE WINTER gewesen seit Menschengedenken. Mick, Keith und Brian hatten sich ihren Arsch abgefroren in ihrer winzigen Wohnung in Fulham, 102 Edith Grove. Ein völlig heruntergekommenes, feuchtes Loch. Nackte Glühbirnen an der einst gelben, nun grünlich schimmelnden Decke, die Tapeten lösten sich ab, ein übler Modergeruch hing in der Luft. Doch sie waren heilfroh gewesen, eine Wohnung bekommen zu haben, die sie sich leisten konnten von den mageren Gagen, die ihnen der Marund überall das Sagen haben, aber wo sie in sporadischen Abständen ihr Jimmy-Reed-Geheul anstimmen und ihre Chuck-Berry-Riffs heraushauen durften vor anderen Blues-Spinnern, Jazz-Vögeln und Scharen anspruchsvoller, aggressiver Mods und Beatniks.

Brian hatte ihnen kurz davor einen Namen verpaßt, an den sie sich erst noch gewöhnen mußten. The Rollin‘ Stones. Immerhin nach einer ihrer gemeinsamen Lieblingsplatten, dem „Rollin‘ Stone Blues“ von Muddy Waters. Brian war stolz darauf, die anderen verzogen vielsagend das Gesicht, ließen ihn aber gewähren. Was sollte es groß eine Rolle spielen, wie sie sich nannten. In einem Jahr würde es der Schnee von gestern sein.

Schlimmer war die klirrende Kälte. Eiszapfen hingen an Türen und Fenstern, die Heizung hatte längst ihren Geist aufgegeben und die Wasserrohre waren zugefroren. Das Gemeinschafts-Scheißhaus draußen im Hausflur, das nur bei Kerzenlicht frequentiert werden konnte, überließ man vollends den Ratten, als das Wasser im Spülkasten zu Eis verklumpte und an eine Entsorgung der Exkremente nicht mehr zu denken war. „Es war verdammt hart“, erinnert sich Keith später, „you just wouldn’t want to live there. It was disgusting.“ Sie wohnten im zweiten Stock, ein paar Studentinnen im Parterre. Lehramtsanwärterinnen aus Sheffield und Nottingham, wie Keith noch weiß. „Wir haben sie für uns putzen lassen, und für die Mühe haben wir sie dann gelegentlich flachgelegt.“

Die Band ließ sich wider Erwarten gut an, seit Brian im April ’62 die Fäden zog. Er hatte ein gewaltiges Ego-Problem, mußte immer und überall das Sagen haben, aber

für Mick und Keith gab es weitaus Wichtigeres als die Frage, wer sich als Band-Leader aufspielen durfte. Und musikalisch machten sie erfreuliche Fortschritte. Ihr harter, ungezügelter Rhythm 8i Blues kam an. Die Gigs wurden regelmäßiger, die Crowds größer, das Geld meht Licht am Ende des Tunnels.

Auch ihrer Besetzungssorgen waren sie entledigt. Den alten Bassisten waren sie gerade losgeworden, als Bill Anfang Dezember vorsprach. Der Mann hatte schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel, war aber perfekt für den Job. Wie hätten sie ihn bei seinem Equipment nicht nehmen können. Er besaß einen riesigen 850 Vox Baßverstärker und einen ideal dazu passenden „Phantom Bass“. Irre. Da nahm man gern in Kauf, daß der Typ verheiratet war und einen Sohn hatte. Mitte Januar war dann auch ihr Wunschdrummer von einer konkurrierenden Combo zu ihnen übergelaufen. Charlie war ein bißchen verschroben, hörte lieber Bebop als Blues, war aber höllisch gut an der Schießbude. Es ging voran.

Mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings stieg ihr Stimmungsbarometer auf optimistisch, man war bereit, Wagnisse einzugehen. Andrew Oldham, ein gewiefter und schnelldenkender Halunke, der schon eine ganze Weile um die Band herumgeschlichen war, wurde zum Manager erkoren. Er schien genau zu wissen, was er tat. Also schluckte man seine ersten Maßnahem, obwohl sie zum Himmel stanken. Das „s“ in Richards müsse schleunigst verschwinden, verfugte Andrew. Richard klinge mehr nach Cliff, und das sei gut. Na schön, knurrte Keith, wenn’s denn sein muß. Dann wurde Ian Stewart ins zweite Glied zurückbeordert. Klar, beruhigte Andrew, dürfe er weiter mitspielen, und auf sein Piano könne man nicht verzichten. Auf sein Gesicht indes schon. Zu bieder. Die erste Image-Weiche war auf Sturm und Drang gestellt.

Wovon die anderen nichts wußten, war ein Geheündeal zwischen Andrew und Brian, der dem blonden Egoisten ein zusätzliches Salär sicherte: fünf Pfund mehr die Woche. Irgendwann später würden sie ihn dafür rösten und mit Verachtung strafen. Doch jetzt schien die Chemie zu stimmen, die Visionen wurden verwegener. Mick und Keith waren 19, Brian 21, Charlie beinahe 22, Methusalem Bill 26. Andrew hatte diese Photo-Sessions in Chelsea organisiert. Und Decca, verriet er den jungen Wilden, habe Interesse signalisiert Im Mai würde man ins Studio gehen und, wer weiß, vielleicht sogar schon die erste Single aufnehmen.

Come on.

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