Franz Schöler über die musikalischen Meriten der Serie „Martin Scorcese Presents The Blues – A Musical Journey“

Klappern gehört ja zum Geschäft, auch wenn man Martin Scorsese heißt und als executive producer bei so einem Box Set fungiert. Ob das „the most comprehensive collection of blues music ever (1920 -2003)“ ist, sei mal dahingestellt. Nicht gelogen ist jedenfalls die Behauptung, dass es sich um eine sehr umfangreiche Auswahl von „all-time most populär songs by the giants of the blues“ handelt. Genau das ist aber auch ein wenig die Crux hier: All diese Aufnahmen sollte jeder, der ein bisschen auf sich hält, längst in seiner Plattensammlung besitzen. Fred McDowell mit seinem berühmten „You Gotta Move“ und Blind Willie McTell mit dem „Statesboro Blues“, Memphis Slim mit „Mother Earth“ und Bukka White mit dem dann von Led Zeppelin abgekupferten „Shake ‚Em On Down“, Louis Jordan mit „Let The Good Times Roll“, B. B. King und „The Thrill Is Gone“ oder John Lee Hooker mit Bonnie Raitt an der Slidegitarre bei „I’m In The Mood“, Son House und sein „Death Letter Blues“, Skip James „Devil Got My Woman“ singend usw. usf. Es sind praktisch durchweg die üblichen Verdächtigen, die man bei diesem Teil findet, Blind Blake mit seinem berühmten „Diddie Wah Diddie“, „Hide Away“ von Freddie King oder Howlin‘ Wolf und „Smokestack Lightnin'“. Nichts Verwerfliches, aber ganz eindeutig: Diese Auswahl schielt – Kenner eh außen vor – nicht auf Liebhaber der Gattung, die so etwas wie eine Greatest Hits-Kollektion der Blues-Geschichte gebündelt besitzen möchten, sondern auf (weiße) Rockmusik-Fans. Noch fast jede dieser Aufnahmen hat nämlich irgendwann in den letzten 40 Jahren mal eine prominente Rock-Kapelle eingespielt.

Keine so gut wie Hound Dog Taylor mit den Houserockers seinen unsterblichen Punk-Blues „Give Me Back My Wig“, aber viele „Key To The Highway“, „Good Mornin‘ Little School Girl“, „Baby Please Don’t Go“, „Dust My Broom“ und „Mother Earth“. Blues-Heroen der Rock-Ära findet man auch einige: Jimi Hendrix, Paul Butterfield, Clapton, Stevie Ray Vaughan, Jeff Beck mit dem zu Schwermetall mutierten „I Ain’t Superstitious“ usw. Argumentative Klimmzüge machte man, um die Anwesenheit von Elvis und Dylan, Chuck Berry, Bo Diddley und Fats Domino in diesem Kontext zu rechtfertigen. Die hatten den Blues eher nicht mit der Muttermilch gesaugt. Dafür gibt’s dann wiederum als Zuckerl zum Schluss ein paar ganz neue für dies Projekt produzierte Aufnahmen von Keb Mo und Corey Harris, Los Lobos, Cassandra Wilson und Bonnie Raitt, Von denen wiederum findet man noch viel mehr neue – und zwar ganz phantastische – auf „The Soul Of A Man“ (Columbia, 4,0). Bei diesem Soundtrack zum Wim Wenders-Beitrag zur Blues-Serie interpretieren – jederzeit originell, manchmal ganz genial unter anderen Marc Ribot und Beck, Lucinda Williams (die ganz einsame Klasse mit ihrer Deutung des „Hard Time Killing Floor Blues“, intensiver und hinreißender als alles auf ihrem letzten Solo-Werk) wie auch Los Lobos, Alvin Youngblood Hart, Bonnie Raitt (ihr „Devil Got My Woman“ ist reine Gänsehautmusik, unglaublich) und Shemekia Copeland eigene Lieblingsaufnahmen des Genres umwerfend gut. Was ihn an den drei Idolen, denen der Film gewidmet ist – J. B. Lenoir, Skip James und Blind Willie Johnson, der schon bei Ry Cooders Soundtrack zu „Paris, Texas“ die Vorlagen lieferte – so fasziniert, erläutert Wim Wenders Aufnahme für Aufnahme sehr plastisch und nachvollziehbar. Lieder bettelarmer Schlucker, blinder Straßenmusikanten, verkannter Song-Genies, die alle ziemlich elendiglich endeten, sind das. Das Faszinierendste an den Neuaufnahmen: Wie da jeder sein Ego, seine ansonsten geläufige – ähem „Showbusiness-Persönlichkeit“ vollkommen hintan stellte, um diese Vorlagen in ihrer aktuellen, wie im Grundsatz zeitlosen Bedeutung zu vergegenwärtigen. Bonnie Raitt im open tuning mit Fingerakrobatik der virtuosesten Art, bei „Devil Got My Woman“ ihre Bewunderung so bezeugend wie Marc Ribot bei „Dark Was The Night, Cold Was The Ground“, die Melodie murmelnd wie Keith Jarrett oder Glenn Gould. Einsame Sternstunden der Interpretation. Völlig introvertiert und abgehoben: Alvin Youngblood Hart, der sich beim „Illinois Blues“ die Seele aus dem Leib singt.

Die Deutung indes, die Nick Cave hier von Big Bill Broonzys „I Feel So Good“ beisteuert, habe ich nicht so ganz verstanden. Doch unter all den tollen Blues-Platten, die dieses Jahr erschienen – von Kelly Joe Phelps, Tri-Continental, John Hammond, Otis Taylor, Guy Davis und Buddy Guy – ist das vielleicht die beste überhaupt. Das Box Set (3,0 )erinnert da eher ein wenig an Godards „Außenseiterbande“, in dem Anna Karina und ihre Liebhaber ausprobieren, wie schnell man das berühmteste Museum von Paris im Geschwindschritt „absolvieren“ kann. Von „museal“ kann bei den Neuaufnahmen zum Wenders-Film hingegen nie die Rede sein.

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