Glenn Rey & Joe Walsh – Zwei Adler im Freiflug

Glenn Frey singt einen Strauß von amerikanischen Standards, Joe Walsh tat sich mit Jeff Lynne als Produzent zusammen. Die Eagles wollen es wohl im nächsten Jahr noch mal versuchen

Die Crooner-Zukunft von Glenn Frey begann auf dem Golfplatz – mit einer Regieanweisung von Clint Eastwood für die Einlage des prominenten Mitspielers bei seinem Turnier in Pebble Beach. „Ich sollte einen Eagles-Hit singen“, erinnert sich Frey an sein Debüt in Nordkalifornien, „und einen Standard aus den 50er-Jahren. Weil Clint dieses Zeug liebt. Also begann ich Tony-Bennett-Songs zu singen in Pebble Beach, jedes Jahr einen anderen: „I Wanna Be Around“, „The Good Life“, „I Left My Heart In San Francisco“. Und das machte so viel Spaß, dass ich irgendwann diese Straße runterfuhr.“

Am Ende der Straße steht mit „After Hours“ ein Soloalbum, das man nicht unbedingt von Frey erwartet hätte. Und auch nicht unbedingt von ihm braucht. Er hatte halt die Zeit, den Antrieb und braucht das Geld schon lange nicht mehr – auch der letzte Alleinflug „Strange Weather“ schaffte vor 20 Jahren nicht mal mehr die US-Charts. Doch blamiert sich der Adler auch nicht gleich, wenn er jetzt auf den Spuren von Bennett und Nat King Cole (die Erinnerung ans Elternhaus in Michigan!) die Devise „Singen zum Klavier“ ausgibt und auch mal zeitgenössisch erweitert, hin zu Brian Wilson („Carolina, No“) und Randy Newman („Same Girl“). „Es war aufregend, auch ein bisschen furchterregend“, rekapituliert Frey. „Ich hörte meine Stimme auch ganz anders. Wie ein Instrument. Wir spielten, Look Of Love‘, und ich dachte: Wow, ich bin eine Trompete!“

Jetzt ist Frey gespannt, „welchen Effekt das alles auf meine nächsten eigenen Sachen“ haben könnte. Doch hatte die neue Rolle als „Botschafter“ (Frey) bereits erprobter Vorlagen seinen Ehrgeiz als Songschreiber schon ein bisschen gekitzelt. Bis ihn ein alter Weggefährte an eine Leiche im Giftschrank erinnerte. „Ich rief Jack Tempchin an und fragte, ob er nicht Lust habe, nach L.A. zu kommen und für dieses Album mal einen Standard mit mir zu schreiben. Aber Jack sagte nur: Und was ist mit, After Hours‘? Da hast du deinen Standard doch schon!'“ Den Titelsong zum aktuellen Werk hatte das bewährte Duo ursprünglich als Rausschmeißer für sein zweites Solo-Album „The Allnighter“ (1984) geschrieben, „so nach dem Motto: Die Nacht geht zu Ende, der Club leert sich, die Bar ist zu“.

Geschlossen bleibt 2012 bis auf Kurzeinsätze auch der Eagles-Flugbetrieb, derweil Frey und Co. den erfahrenen Regisseur Alex Gibney („Jimi Hendrix & The Blues“, „Gonzo“) weiter an der großen 2-DVD-Dokumentation „The History Of The Eagles“ werkeln lassen. „Und dann schauen wir im Herbst, ob wir wieder touren. In diesem Jahr sind ja einige Bands unterwegs, die schon ihr 50-Jähriges feiern – warum sollten wir da mit unserem 40. Geburtstag ablenken?“, fragt Frey lachend. Letzte Frage, Mister Frey: Schon das neue Album von Joe Walsh gehört? „Nein, noch nicht. Weiß nur, dass er’s mit Jeff Lynne gemacht hat, muss also gut sein. Und ich bin froh, dass Joe die Platte gemacht hat. Das ist gesund, auch für die Balance: immer nur Eagles – das geht ja nicht.“

Freys „gesund“ ist hier durchaus im Wortsinn zu nehmen. „Früher“, so benennt Joe Walsh den „ganz wesentlichen Unterschied“ zu seiner letzten Solo-Platte „Songs For The Dying Planet“ (ebenfalls 20 Jahre jung), habe er seine Ungeduld und Unruhe „mit meiner Trinkerei und anderen Substanzen kompensiert. Diese hab ich trocken hinbekommen. Natürlich war es manchmal frustrierend – weil da nichts mehr ist, das dieses Gefühl mal eben verschwinden lässt. Aber das ist gut so., Analog Man‘ ist ein trockenes Album – und ich bin stolz drauf.“

Die Läuterung hat natürlich wieder mal mit „einer wunderbaren Frau“ zu tun. Marjorie Bach ermunterte ihren Joe nicht nur ganz grundsätzlich, „mich mal wieder richtig mit meiner Musik zu beschäftigen“. Die Schwester von Ringo-Gattin Barbara traf gleich auch wichtigste A&R-Entscheidungen – etwa mit der Bemerkung: „Ach ja, und hier ist die Nummer von Jeff Lynne!“ Walsh und Lynne waren sich zuvor „hier und da mal kurz begegnet“. Nachdem sie das nun nachgeholt haben, schwärmt Walsh jetzt von Lynnes „großer Gabe, immer schon den fertigen Song zu sehen, selbst wenn du ihm nur ein paar Versatzstücke vorsetzt. Und dann hilft er dir, dahin zu kommen“. Und das auch noch ziemlich fix, weil im Hause Lynne stets alles betriebsbereit wartet. „In einem Zimmer steht das Klavier, nebenan ein Drumkit – und alles komplett mikrofoniert. Und im Studio das Gleiche. Da muss Jeff nicht mehr groß rumstöpseln, um die richtigen Sounds zu bekommen oder etwas abzumischen.“

Dazu rekrutierte die Gattin noch eine Fachkraft aus Nashville – über ihre Freundin Barbara Orbison, die letzten Dezember verstorbene Witwe des großen Roy. Joe Walsh amüsiert sich: „Sie sagte mir in ihrer sehr deutschen Art sehr direkt: Ich weiß, was du brauchst! Du brauchst diesen Typen, und ich werde ihn für dich nach L.A. fliegen lassen. Keine Diskussionen!“ So konnte Song-Handwerker Tommy Lee James – bisher nur in Nashville als Autor für Tim McGraw und Taylor Swift eine halbwegs große Nummer – auch mal Punkte an der Westküste einfahren. „Er half mir“, sagt Walsh, „meinen Wust an Ideen zu organisieren und zu straffen und dann zu Ende zu bringen.“ Wenn er die Idee nicht gleich noch selbst mitbrachte.

So schwärmt Walsh, bisher eher der Typ Eigenbrötler, jetzt vom „Team Walsh“. Das Chaotische, das ihn früher auch liebenswert machte, der Mut zur Peinlichkeit, musste dabei auf der Strecke bleiben. Nur „India“ wollte er sich dann doch nicht ausreden lassen – am Ende des Albums kann das von einem Besuch in einem Club („The Blue Frog“) in Mumbai inspirierte Electronica-Instrumental immerhin nicht mehr groß irritieren. Und wenn er damit doch ein paar Eagles-Fans schockt? „Na, das hoffe ich doch!“, lacht Walsh. Selbst als „Analog Man“, wie er das Album vielleicht ein wenig zu süffisant betitelt hat, will er ja nicht gleich als „alter Furz“ (Walsh) rüberkommen, den ein Laptop auf der Bühne gleich aus den Socken haut. Aber eine patentierte Millionärs-Ignoranz lässt ihn mit buddhistischer Gelassenheit

auf die Neuerungen der Welt blicken. Bei Walsh explodierten früher Sprengsätze in der Rohrleitung des Hotels, die er ins Klo befördert hatte. Nur Spaß!

Halbwegs kalt lässt ihn auch die bevorstehende Präsidentschaftswahl. „Vote For Me“, hatte Walsh noch im Wahljahr 1992 gekalauert. Ganz zu schweigen von seiner satirischen Kampagne 1980, die er mit der Aussicht befeuerte, sein „Life’s Been Good“ als neue Nationalhymne zu etablieren, sowie dem Versprechen: „Free Gas For Everyone“. Damit könnte Walsh aktuell fast bei den Republikanern landen. Doch vorm zweiten Urnengang für Barack Obama begnügt er sich mit der „Titanic“-Metapher „The Band Played On“. „Bisher war ich immer sehr aufgeregt, wenn es ins Wahljahr ging“, sagt Walsh, „aber das hat sich doch ziemlich gelegt.“ Er moniert die Selbstzufriedenheit derer, die „einfach den Kopf in den Sand stecken und so tun, als ob alles prima laufe, statt selbst etwas zu tun und zu ändern. Und vielleicht ist es ja wie mit diesem Schiff, von dem man auch dachte, dass es nie sinken könnte. Und dann ist es doch gesunken. Statt einfach wieder einen radikalen Song oder ein drastisches Statement zu machen, schien mir, Band Played On‘ diesmal doch ein besseres Vehikel zu sein, um das loszuwerden.“

Daneben genoss Walsh zuletzt noch den „Schock“, Dave Grohl sagen zu hören, Nirvana sei ja bestenfalls „a shitty James Gang“ gewesen. Nach der Reunion seines alten Power-Trios 2006 stehen neue Konzerte mit Drummer Jim Fox und Bassist Dale Peters „ganz oben auf meiner Wunschliste, wobei uns klar ist, dass wir in Clubs am besten funktionieren“. Doch jetzt tourt er erst mal solo, 2013 sind wohl wieder die Eagles dran – „und ich hoffe, dazwischen tut sich ein kleines Fenster für die James Gang auf“.

Letzte Frage: Mister Walsh, haben Sie eigentlich schon das neue Album Ihres Kollegen Glenn Frey gehört? „Ein bisschen was. Muss ihn wohl mal nach einem Exemplar fragen. Er wollte so etwas schon lange mal machen. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich funktionieren kann, diese Standards, verglichen mit der Akzeptanz, die die Eagles gewohnt sind. Aber so gesehen weiß ich natürlich auch nicht, ob mein Album da bestehen kann. Vielleicht kommt Glenn sogar besser weg als ich.“

Das dann wohl doch nicht.

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