Gunter Blank geht essen: Höhepunkte der ukrainischen Küche

Jenseits der allbekannten Borschtsch und Blini hat die ukrainische Küche eine unfassbar vielfältige und schmackhafte Tradition

Das erste Mal kam der Verfasser mit der ukrainischen Esskultur Mitte der Achtziger in Berührung. Bezeichnenderweise nicht in Kiew oder Odessa, sondern auf der Second Avenue in New York, wo sich eine Reihe ukrainischer Coffeeshops angesiedelt hatten, um den Leuten auf dem Weg zur U-Bahn ein herzhaftes Frühstück anzubieten. Blini gab es und mit rätselhaften Zutaten gefüllte Piroggen, freundlich-resolut serviert von gestandenen stämmigen Damen oder jungen blonden Frauen mit Modelmaßen. Mehr gibt die Erinnerung nicht her, die Eindrücke einer gar nicht als eigenständige Nation wahrgenommenen Region der Sowjetunion verblassten. Und ja, es gab bei Gorbatschow-affinen Freunden bisweilen einen Borschtsch. Aber hätte man wissen müssen, dass der berühmte Eintopf auf Rote-Bete-Basis ursprünglich ein ukrainisches Gericht war?

Nun, da Putin und seine Schergen versuchen, die ukrainische Kultur auszulöschen, sollte man auch erkunden, wie und was die Ukrainer kochen, welche Köstlichkeiten der riesige Vielvölkerstaat zu bieten hat. Da dies bis vor Kurzem leichter gesagt war als getan, darf man es einen Glücksfall nennen, dass die ukrainische Köchin und Gastro-Journalistin Olia Hercules mit zwei stattlichen Büchern aufwartet, die uns einen wundervollen Einblick nicht nur in die ukrainische Esskultur und ihre regionale Vielfalt vermitteln. Die aus Kachowka in der Oblast Cherson stammende Hercules lebt in London, hat aber ihre Heimat bereist und eine fast erschöpfende Sammlung von Rezepten zusammengetragen.

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„Mamusia“ („Mama“ auf Ukrainisch) versammelt überwiegend Rezepte ihrer multikulturellen Familie, die neben den ukrainischen auch jüdische, sibirische, moldawische, usbekische, armenische und ossetische Wurzeln hat, und breitet fast das gesamte Spektrum der osteuropäischen Küche aus. Armenische Fleischsuppe, in der mit Pflaumen gefüllte Lammklöße schwimmen, stehen neben bessarabischen Schweinerippchen mit Dampfnudeln, während die Ukraine unter anderem mit in Schwarzbier mariniertem gegrillten Wels und natürlich dem
allgegenwärtigen Borschtsch aufwartet.

Dem widmet Hercules in „Landküche“ ein eigenständiges Kapitel, in dem sie verschieden zubereitete Varianten vorstellt, darunter ein fantastischer mit Entenfleisch und geräucherten Birnen, und in dem sie erklärt, wie sich ein südukrainischer Hühnchenborschtsch mit Kefirklops von einem galizischen mit Kutteln unterscheidet.

Sie erläutert seine Entstehung – der Name lässt sich auf das ukrainische Wort „burjak“ (Rote Bete) zurückführen –, betont die Bedeutung der richtigen Sorte und erklärt, welchen Unterschied die Beigabe von Tomaten macht. Gleichwohl ist er zwar ein gewichtiger, aber doch nur ein kleiner Aspekt der kulinarischen Vielfalt, die bei aller Nähe zu den ost- und bisweilen auch westeuropäischenmKüchen immer ihre unverwechselbaren Besonderheiten aufweist. Süßsauer gefüllte Paprika aus Gagausien, Tomaten-Maulbeeren-Salat, Ziegen-Zwiebel-Topf mit Kartoffelschnee – allein die Lektüre lässt einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Und über allem schweben die bereits von John Steinbeck gerühmten braunen Roggenfladen, die mit ihrer malzigen Süße und den würzigen Aromen für Hercules das „ukrainische Brot schlechthin“ repräsentieren, besonders wenn man sie mit Butter, dem typischen Rückenspeck Salo, Wodka und Essiggurken genießt.

Überhaupt die Essiggurken. In der Ukraine scheint ein regelrechter Kult um die sauren Dinger zu existieren. Zumal die ukrainische Küche – und das ist eine weitere wesentliche Eigenheit – stark auf der Fermentierung von fast allem basiert, was das unermesslich fruchtbare Land hergibt. Selbst Wassermelonen werden fermentiert. Man benötigt dazu lediglich Blätter von Sauerkirsch-, Johannisbeeroder Eichenzweigen, 50 Gramm Roggenmehl, 150 Gramm Meersalz, einen Zehn-Liter-Bottich und vierzig Tage Geduld.

Jahrzehntelang nahmen wir dieses Land nur als Kornkammer wahr – nun führt uns Olia Hercules mit aromensprühender Wucht vor, was für ein Schlaraffenland da im Bombenhagel zugrunde zu gehen droht.

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