Hymnen des Nihilismus

Eine Hommage an Hank Williams! Matt Johnson alias THE THE entdeckt die versunkene Welt des großen amerikanischen Melancholikers

Von Ralf Schlüter

Eine Hommage an Hank Williams! Matt Johnson alias THE THE entdeckt die versunkene Welt des großen amerikanischen Melancholikers Mal angenommen, der Country-Sänger Hank Williams, der am Neujahrstag 1953 im Alter von 29 Jahren starb, käme auf die Erde zurück. Er würde in einer Snackbar Platz nehmen, seinen Cowboyhut lupfen und nach einem kräftigen Handshake fragen: Und was läuft so? Man müßte ihm erklären, daß einer der bekanntesten Country-Stars der 90er Jahre eine lesbische Frau ist. „Und wie ist es mit meinen Songs?“, würde Hank wissen wollen. „Hört sie noch jemand, werden sie nachgespielt? Gibt es sie überhaupt auf – wie heißt das -Compact Disc?“ Nachdem man Hank über letzteren Punkt beruhigt hätte, würde es schwierig: Da gibt es eine Band, Hank, das heißt, eigentlich ein Projekt. Die nennen sich The The und haben eine Platte mit deinen Stücken gemacht. „Ein Projekt? The was?“ – Naja, die Gruppe stammt aus den 80er Jahren, entstand im Umfeld der New-Wave-Bewegung, und ihr Mastermind, das ist Matt Johnson aus London. „New Wave? Was zum Teufel…?“ Blenden wir uns hier aus diesem schwierigen Gespräch aus und lassen Hank zur Entspannung einen Pancake mampfen. Er muß auch gar nicht erfahren, daß die Tribute-Platte den Titel ,JHanky Panky“ trägt. Es könnte ihn kränken. Denn Matt Johnson hat ein durchaus ironisches Verhältnis zu dem großen Songwriter Williams Senior. Zur Promotion ließ er Fotos ausgeben, auf denen er als Hank Williams posiert: mit Cowboy-Hut und Bartstoppeln, hinter denen er spöttisch grinst. Das hat weniger damit zu tun, daß er ihn auch nur ansatzweise lächerlich fände. Aber ein kultureller Mindestabstand ist wohl nötig, wenn sich ein kühler, schwarzgekleideter Brite der Musik einer Country-Legende annimmt. Wer allerdings Williams auf seinen Cowboy-Hut festnageln will, tut ihm Unrecht: Seine Stücke waren keine Schunkellieder für Rednecks. Sie handelten von Trennung und Abschied und der großen Lücke, die im Leben zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft. Bei Balladen wie „My Son Calls Another Man Daddy“ oder „You’re Gonna Change (Or I’m Gonna Leave)“ zeigen schon die Titel die Richtung an ähnlich wie bei den formelhaften Überschriften, die Matt Johnson seinen Liedern verpaßt. Warum eine ganze Platte mit Cover-Versionen dieses Mannes? Matt Johnson räuspert sich kaum hörbar, dann antwortet er kaum hörbar, aber in wohlgesetzten Worten: „Williams ist einer der besten Songschreiber dieses Jahrhunderts. Seine Kompositionen haben neue Wege eröffnet, über Liebe und Einsamkeit zu schreiben. Ich fand, daß es Zeit wurde für eine Würdigung.“ Wieder leises Räuspern, dann ein bestimmter Blick: Ende des Vortrags. Das klingt alles recht professoral – gab es keine persönliche, emotionale Initialzündung? „Nun, ich höre die Stücke schon seit Jahren intensiv. Und ich habe festgestellt, daß die heutige Generation zuwenig über Williams weiß.“ Der Bursche redet wie ein Rock-Lexikon. In Büchern dieser Art finden wir unter , Johnson, Matt“ Stichworte, die sich jetzt bestätigen: verschlossen, phantomhaft, eigenbrötlerisch. Diese Aura hat immer den Reiz von The The ausgemacht. In der Musik ging es immer um große Themen wie Liebe und Haß. Gleichzeitig wirkte sie manchmal wie aus dem Gefrierfach. Das konnte dann schon mal daneben gehen. Wie im Sommer 1989. Bis dahin hatte kaum jemand ein Bild von Matt Johnson gehabt. Damals standen The The zum erstenmal auf der Bühne. „Ich wollte warten, bis ich ein Publikum habe, daß die Platten kennt. Wir hatten keine Lust, jahrelang durch Clubs zu tingeln und eine Fangemeinde zu erspielen“, meint Johnson heute dazu. 1989 lagen drei Alben vor: das kühne Debüt „Soul Mining“ (1983), das den The-The-Stil zwischen Blues, Jazz und Elektro-Pop etabliert hatte. Der Nachfolger Jnjected“ (1986), der diese Formel erfolgreich variierte und kulturpessimistische Textgemälde brachte. Und das gerade herausgekommene Album „Mind Bomb“, das den Hit „The Beat(en) Generation“ und das Gitarrenspiel des grandiosen Johnny Marr enthielt. Die Konzerte erweckten einen zwiespältigen Eindruck. Das Phantom lebte zwar – aber wo war der Geist? Johnson ließ sich konsequent einnebeln und bewegte sich so flüssig wie ein falsch programmierter Terminator. Die anderen spielten zwar perfekt zusammen, kämen aber nicht so recht in Gang. „Wir fühlten uns damals auf der Bühne noch nicht so wohl“, erinnert sich auch Johnson mit Grauen an die erste Tournee. „Wir haben die ganze Tour gebraucht, um uns einzuspielen – da war sie schon vorbei“ Johnson nun macht aus dem Gotteslob eine Hymne auf Nihilisten. Er singt dieselben Worte und dieselbe Melodie, und sogar das Pathos ist noch da. Aber die Art, wie die Band spielt und Johnson seine Stimme verfremden läßt, zeigt, daß er nicht mehr daran glaubt. Der äußere Grund für die Williams-Etüden war bei Johnson das Gefühl der Ausgebranntheit. „Ich wollte keine Songs mehr selbst schreiben müssen. Ich habe sie monatelang auf der Bühne gesungen und kann meine eigenen Sachen nicht mehr hören.“ Daß das Stücke-Schreiben für ihn etwas Anstrengendes ist, glaubt man gern. Auf „Dusk“ hat er die Form des erörternden Message-Liedes zur Perfektion entwickelt. In „Lonely Planet“ schwankt der Sänger zwischen zwei Aussagen hin und her: ,Jf you can’t change the world, change yourself und „If you can’t change yourself – change the world“. Er taumelt zwischen Resignation und rebellischen Attitüden hin und her. Nach „Dusk“ hat Johnson einiges geändert, auch privat Er besetzte zum zweitenmal in der Geschichte die Band neu: Jetzt sind es größtenteils amerikanische Musiker. Johnny Marr ist nicht mehr dabei, weil er an anderen Projekten arbeitet. Außerdem verließ Johnson London und ging nach Manhattan. Hier wohnt er in einem kleinen Apartment am Broadway. Es besteht hauptsächlich aus einer Art Wohnzimmer, das extrem karg eingerichtet ist. Und es enthält genau drei Dinge: ein Sofa, eine Gitarre und ein Paket mit Beades-Videos. Die Wohnung eines Phantoms, oder? Daß die Beschäftigung mit Williams irgend etwas mit diesem Ortswechsel zu tun hat, streitet Johnson ab. „Ich bin auch kein Country-Fan. Williams war für mich eher so etwas wie der erste Rock’n’Roll-Star. Guck die grellen Hemden an, die er trug. Und diese Jackets mit bunten Noten drauf. Unglaublich.“ Hat der erklärte Modernist keine Angst, dem allgegenwärtigen Retro-Trend mit einem Tribute-Album weiteren Vorschub zu leisten? „Nein, weil Bands wie die Black Crowes völlig auf die Sixties fixiert sind. Dieses Jahrzehnt macht mich krank. Ich kann nicht begreifen, warum sie alle das alte Zeug spielen, anstatt etwas Neues auszuprobieren.“ Vielleicht ist es altmodisch, etwas Neues zu probieren. Johnson nickt – und lacht.

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