Ihr Einsatz Herr Niedecken

NIEDECKEN FRONTENWECHSEL FÜR 48 STUNDEN

Handschellen, Schießstand und Schlagstock – zwei Tage lang legte Wolfgang Niedecken jenes Grün an, bei dem der gestandene Linke unweigerlich rot sieht. Ein Rollenspiel mit Folgen: Freunde schüttelten den dogmatischen Kopf, während Niedecken lieb gewonnene Wahrheiten über Bord gehen sah. EINE KLEINE SZENERIE VON Playmobil-Figuren auf einem Stück Pappe. Plastikpolizisten, einer auch auf einem Motorrad, drumherum eine Tribüne, Bandenwerbung, angedeutetes Publikum. So bekam Wolfgang Niedecken vor laufender Kamera die Situation präsentiert, in der ihn das Team der SWF-Reihe „Aus der Rolle fallen“ für die Oktober-Sendung gerne sehen wollte. Jule Neigel hatte sich als Stuntfrau anzünden lassen; Bischof Karl Lehmann durfte einen Jumbo nach Rom fliegen; Niedecken, der Rock’n’Roller, der Kritiker von Staatsmacht und uniformem Denken, der aufrechte aber keineswegs brave Bürger – Niedecken sollte Polizist werden. Handschellen und Helm, Knarre und Knüppel, ein Tag Schulung bei der Bereitschaftspolizei, ein Tag Einsatz bei einem Fußballspiel. Er sagte zu, erlebte Spaßiges und Verstörendes – und bekam von politisch korrekten Menschen auch zu hören:

„Wie kannst du nur?“ Also denn: eine undogmatische Aktion und undogmatische Gedanken.

Die Idee war genau an der Grenze. Bundeswehr hätte ich nicht gemacht. Die haben das schlau angefangen: Sie haben meine Neugier angeknipst, auch im Zusammenhang mit Fußball; haben geschickterweise auch noch ein Motorrad auf das Modell geklebt – ich glaube, meine erste Frage war: Ob ich dann auch mal mit ’nem Polizeimotorad fahren dürfte. Natürlich fährste im Fußballstadion nicht Motorrad, hätte mir auch klar sein müssen…

Jedenfalls, Bundeswehr hätte ich nicht gemacht, denn man ist in so einer Situation ja immer auch Sympathieträger, und ich kann mir durchaus eine Gesellschaft vorstellen, die keine Armee braucht. Aber eine Gesellschaft, wo alle so dufte drauf sind, daß nicht ab und zu mal ein Polizist her muß, um irgendwelche Leute auseinander zu halten oder irgendwas klar zustellen – das wäre ein paradiesischer Zustand. So weit gehen auch meine kühnsten Utopien nicht.

Einkleiden in der Kaserne der Bereitschaftspolizei Mainz. Welche Kleidergröße Niedecken denn habe, will der grauhaarige Beamte wissen. Mit Nummern kann Niedecken – noch in weißem T-Shirt und Schlabberhose – nicht dienen. „L oder XL…“ T-Shirt, Hemd, Hose, Barrett, Stiefel; der Rock’n’Roller wird immer grüner, und das Team hinter der Kamera amüsiert sich so königlich wie er selbst. Soweit keine Probleme mit der Rolle, abgesehen davon, daß die Klamotten etwas steif sind.

Dann zur Schulung. Wie durchsucht man jemanden? Zu zweit Einer sucht, der andere sichert. Hände des Festgenommenen an die Wand, womöglich mit den Handflächen nach außen, Beine auseinander. Abstreifen, nicht abklopfen, damit man nichts übersieht. Immer von oben nach unten, nie umgekehrt, sonst könnte einer zur Waffe greifen.

Und wie legt man Handschellen an?

Niedecken fummelt herum und fallt durch vergleichsweise zartes Vorgehen auf.

Naja, bei so einer Übung bin ich natürlich ganz anders ab jemand, der in ’ner Ausbildung als Polizist hängt. Oder bei einem Einsatz weiß: Die Person, die verhaftet werden soll, wird sich wehren wie nur was. Die waren mit mir ja auch etwas zarter. Und ich hob nun mal überhaupt keine Erfahrung damit, Gewalt anzuwenden und jemanden zu etwas zu zwingen. Meine letzte körperliche Auseinandersetzung – da hob ich noch die Schulbank gedrückt. Und wenn du dann Handschellen in den Fingern hast und sollst die jemandem anlegen und weißt genau: Du kannst den jetzt auch kneifen – da bin ich dann schon vorsichtig. Ich seh dann den Menschen, der den Bösen nur spielt, weiß der Geier, wie das in einer Situation wäre, wo der mir wirklich was wollte. Also an dem Punkt, wo du — als Polizist – Gefahr von dir abwenden mußt. Das kam später dann noch viel deutlicher.

Zuerst jedoch: Ab auf den Schießstand. „Vielleicht mal drei Schuß auf die Vierecke abgeben“, schlägt der Ausbilder vor, „danach vielleicht mal zu den Kreisen übergehen.“ – „Okay.“ – „Gut. Die Waffe ist jetzt durchgeladen, und einfach die Waffe in Anschlag bringen und die Sache betreiben. So. Gehörschutz aufsetzen! Feuer frei.“ Niedecken legt an.

Die hatten mich ja ganz zartfühlend gefragt: „Willst du schießen?“ Und wenn ich das nicht gewollt hätte, hätten wir’s gelassen. Aber ich hob gesagt: Klar. Wenn ich schon mal dabei bin, warum nicht. Ich schieß ja auch auf der Kirmes. Ich war neugierig, nie das ist, mit so einer Pistole. Und ich hab getroffen. Und zwar so gut getroffen, daß die nicht geglaubt haben, daß ich noch nie geschossen habe. Und ich merkte, daß ich stolz drauf war! Beim ersten Schuß hast du einen unglaublichen Rückschlag, und bei den nächsten Schüssen kannst du ordentlich zielen. Ich hab sowas von ins Schwarze getroffen – es war keine große Distanz, ober ich hab volle Kanne genau das getroffen, was ich treffen wollte. Und du merkst es ja sogar jetzt beim Erzählen, daß ich stolz drauf bin. Verstehste. Wieso bin ich stolz auf so was…?

Szenenwechsel: Die Turnhalle der Kaserne. Blauer Boden, weißliche Wände, Handballtore, eine ganz normale Sportarena. Nur daß von den zwei aufeinandertreffenden Mannschaften die eine Plexiglasschilder und Helme trägt. Knapp 30 Beamte werden es wohl sein, Niedecken mittendrin, die einen Schildkrötenpanzer bilden und auf eine Gruppe von „Störern“ zumarschieren sollen. Handbälle kommen geflogen, Basketbälle, Medizinbälle. „Das wirkt schon etwas bedrohlich“, sagt Niedecken, „das donnert und rappelt richtig.“ Aber noch hat die Situation auch etwas Ulkiges. Später ist Niedeckens Gesicht naß vor Schweiß und verzerrt: Als die gleiche Situation nach draußen verlegt wird, auf ein Stück Betonpiste am Rand des Kasernengeländes. 28 Grad im Schatten, es ist Ende Juli, und jetzt machen die „Störer“ ernst.

Das war für mich die erstaunlichste Situation. In der prallen Sonne, in voller Montur, in diesem Panzer, der mit Klettverschlüssen auf der nackten Haut festgemacht ist, überall kniff und zwackte das. So gingen wir auf die andere Gruppe zu, das Kommando hieß: „Störer abdrängen“. Und die holzten, warfen mit Farbbeuteln und harten Gegenständen, prügelten und drängelten und versuchten, diesen Panzer zu sprengen, einen wegzudrücken, mit den Knüppeln über den Schild hinweg einen zu treffen… — und wir mußten immer nur „abdrängen“.

Und als dann das Kommando kam, äh… „Schlagstock zücken“ oder wie das heißt: Was dann in deiner Rübe vorgeht… Da fällt eine Riesenlast von dir ab. Du darfst dich endlich wehren. Ich war so was von erleichtert, als ich endlich den Knüppel in der Hand hatte, und.. – da bin ich dann tatsächlich „aus der Rolle gefallen“.

Obwohl ich ja eigentlich wußte: Die werden mir nichts tun. Ich hatte ja sogar meine Söhne mit, die haben mitgemacht, die hatten natürlich ’nen Riesenspaß, daß sie den Alten mal bepfeffern durften. Als es zum direkten Kontakt kam, haben die sich natürlich zurückgehalten. Aber es wurde geprügelt, es war laut, es war furchtbar heiß, ich hab geölt wie’n Buddha,

Ich wollte nur, daß der Spuk endlich vorbei ist.

Und nun stell dir vor, du bist Polizist und hast in Berlin-Kreuzberg am 1. Mai die traditionellen Geschichten zu erledigen, und du stehst hinter dem Ding, und die wollen dir wirklich was. Die lassen Dachplatten vom Dach fallen. Und du darfst die ganze Zeit nur abdrängen, und dann kriegst du das Kommando: ‚Jetzt zückt mal den Knüppel! Tut mir leid‘- größtes Verständnis. (lacht) Das ist ein psychologischer Moment, der für Fachleute wahrscheinlich sehr einfach zu erklären ist, und mit dem Leute, die bei einem solchen Einsatz Regie fuhren, sehr sensibel umgehen müßten. Weil völlig klar ist, daß da nun die Aggressionen volle Kanne zum Ausbruch kommen. Da kann man sich dann auch erklären, wie es zu Knüppelsituationen kommt, wo man sich fragt, wenn man sie abgefilmt sieht: Wie können die nur so dreinschlagen?

Zweiter Tag. Niedecken und Amtskollegen werden in VW-Bussen nach Kaiserslautern auf den Betzenberg gefahren; die Lauterer haben ein Freundschaftsspiel gegen die Glasgow Rangers. Keine Fahrt mit dem Motorrad, aber immerhin ein freundlicher Tag; diesmal ist auch leichte Kluft erlaubt, die Stimmung ist locker, und im Vergleich zu den Streßsituationen der Schulung wird nun der eigentliche Einsatz das, was Niedecken auch erwartet: „Eine Lachnummer.“ Noch fünf Stunden bis zum Anpfiff, und der BAP-Bulle patrouilliert durchs Stadion.

Die Four Reeves waren da, eine Band aus Köln, die machten unten so einen Warmup-Gig zum Playback, es lief also die Musik ab, und sie strampelten dazu. Ich hob mich neben die Bühne gestellt, und als eine von den beiden Four Reeves-Damen mich sah -Maulsperre. Sie konnt’s nicht glauben. Mit Uwe Fuchs von Kaiserslautern war’s ähnlich, der hat ja früher in Köln gespielt, und von da kannten wir uns.

Und Rudolf Scharping war da. Den kenn ich auch ein bißchen. An dem Tag wurde ein neues Tribünendach eingeweiht, deswegen gab’s das Vorprogramm. Es predigte der Oberbürgermeister von Kaiserslautem und weiß, der Geier wer noch; und Scharping, als Landesvater damals noch, sollte eben auch eine Rede halten. Er kam die Treppe runter, und ich hob mich ihm mit meiner Uniform in den Weg gestellt und gesagt: „Hier können Sie nicht durch.“ Im ersten Moment war er baff, das ist ihm wohl noch nie passiert, daß ihn einer wo nicht durchlassen wollte. Dann hat er mich erkannt.

Aber du hattest in deiner Rolle als Polizist keinen „amtlichen“Kontakt zu Normalbürgern?

Nein. Ich fiel ziemlich schnell auf. Ist doch klar: Da läuft ein Pulk Polizisten, alle mit kurzen Haaren, nur ich mit Matte; vorneweg einer mit Kamera, einer mit Licht, einer, der den Kameramann führt, damit er rückwärts nicht stolpert… Das Ganze wurde einfach zu einer größeren, spaßig angelegten Autogrammstunde. Wir sind überall rum, haben geguckt und gemacht, Fanblock inspiziert, großes Hallo… Genaugenommen war ich einfach der kostümierte Niedecken. Die Boulevardzeitungen haben die entsprechenden Fotos natürlich auch gekriegt; war natürlich beim Kölner „Express“ auf der Titelseite: „Niedecken Polizist“, und dann begann ein zweiwöchiger Spießrutenlauf (lacht): „Wo ist denn die Uniform, Junge?“ Aber die haben das alle kapiert; obwohl in der Zeitung schlecht beschrieben war, worum es eigentlich ging. Das macht der Boulevardjournalist ja gerne, daß er etwas zweideutig darstellt. Immer mit dem Justiziar abgesprochen, damit’s grade noch richtig ist…

Mit welchem Bild von Polizei bist du denn in diese ganze Aktion rein? Welche Erfahrungen hast du selbst mit der Polizei gemacht?

Also grundsätzlich – es ist ja ’ne Binsenweisheit: Du kannst nicht alle Leute eines Berufsstandes über einen Kamm scheren. Ich hab miese Erfahrungen mit Polizisten gemacht, aber überwiegend gute. Es ist nicht so, daß bei mir ein rotes Tuch hochgeht, sobald ich irgendwo einen Polizisten sehe. Ich bin an Arschlöcher geraten, ja, aber ich gerate auch an Arschlöcher, die irgendwo in einer Kneipe am Tresen stehen.

Und wie hast du die jungen Bereitschaftspolizisten in der Kaserne erlebt?

Am ersten Abend saßen wir zusammen; die wollten viel von mir wissen, ich wollte viel von denen wissen, es gab zu trinken… Die waren so zwischen 25 und 30, und viele waren BAP-Fans: Da kamen Alben zum Signieren, denen man ansah, daß sie nicht erst für diesen Tag angeschafft worden waren; jede Menge Vinyl, das kauft ja heute kein Schwein mehr. Also – es wurd gemütlich. Die waren okay. Ich hatte bei keinem das Gefühl: Das is’n Arsch, der ist Bulle geworden, um so ’nem Schwanzproblem gerecht zu werden. Was man ja gerne annimmt: daß Leute Polizist werden aus einer Grundhaltung raus. Ich hatte den Eindruck, das ist für die ein ganz normaler Job. Den manche – nicht alle – auch machen, weil es so furchtbar viele Angebote von Jobs in dieser Gegend gar nicht gibt. Wo viele Polizist werden, weil sie halt nichts anderes werden. Das muß man ja auch mal ganz klar sehen. Aber ich hab nicht feststellen können, daß da jetzt so’n Macho-Theater vorherrscht. Das waren Jungs – und auch Mädels -, wie ich sie zu Tausenden kenne, aus dem ganz normalen Umfeld. Und die hängen als Bereitschaftspolizisten halt in der Kaserne – das wußte ich vorher auch nicht – und sind für den Fall da, daß irgendwo mal so’n ganzer Einsatzhaufen gebraucht wird.

Und wo sie dann, wenn der Einsatz läuft, ausblenden müssen, auf welcher Seite sie eigentlich stehen. Oder ob sie mit den Gesetzen im Einzelfall einverstanden sind, die sie durchsetzen müssen. Polizei funktioniert ja nicht demokratisch, sondern hierarchisch…

Das ist wohl eine Konfliktsituation, immer wieder. Wenn man sich andere Uniformträger anschaut, eine Armee: Was sollen Uniformen, was soll Drill, was soll Exerzieren? Präsentiert das Gewehr. Im Gleichschritt. Kehrt Marsch. Das ist ja nicht nur ein Ritual; das hat den Zweck, den eine Uniform auch hat: völlig gleichzumachen, empfänglich zu machen für Befehle; das wird so abgeschliffen, daß du alles tust, was man dir sagt. Genau deswegen könnte ich das als Beruf niemals ausüben. Ich würde nie zum Militär gehen, hundertprozentig nicht – ich wäre damals eher in den Knast gegangen -, und ich würde auch nicht Polizist werden, selbstredend nicht. Aber ich bin ehrlich genug

zuzugeben: Ich bin froh, daß es einer macht Das heißt, wir muten denen diesen Gewissenskonflikt zu, damit wir besser leben können.

Was natürlich nicht heißt, daß man dann davon reden dürfte, es seien „nur ein paar schwarze Schafe“, wenn Dinge rauskommen wie jetzt in Hamburg. (Die Mißhandlung eines Senegalesen auf einer Wache, dem, ab er Anzeige erstatten wollte, sein Paß weggenommen wurde; regelrechte Jagdeinsätze auf Ausländer und Bimbos“, die ein Reviereinsatzleiter rechtswidrigerweise angeordnet haben soll und dergleichen mehr.) Das ist einfach völlig widerlich. Oder damals der Hamburger Polizeikessel, oder wenn irgendwo Polizisten daneben stehen, wenn Ausländer erschlagen werden. Selbstredend ist das widerlich. Das passiert eben, wenn Leute mit dieser Macht nicht so umgehen, wie es vom Gesetz eigentlich gedacht ist.

Ich glaube, daß das für verantwortungsbewußte Polizisten schon ein großes Problem ist. Und sicher gibt es in allen Dienstgraden bei der Polizei auch Arschlöcher, die den Job machen, weil sie da endlich mal Macht haben. Selbstredend. Wie das prozentual verteilt ist, gut und böse, das kann ich nicht sagen.

Man darf nicht den Fehler machen und glauben: Der Niedecken ist zwei Tage Polizist gewesen, der weiß jetzt Bescheid – oder er bildet sich ein, er wüßte es. Ich hab ein paar sympathische Leute kennengelernt, ich hab zwei Tage mit denen verbracht, hab einen Haufen Spaß gehabt, hab die eine oder andere Erfahrung gemacht, die ich sonst nicht gemacht hätte und das war’s dann auch schon. Ich war ja nicht ein Wallraff mit versteckter Kamera. Ich hab keine psychologische Schulung mitbekommen; oder was im Einsatzwagen vor einer Demonstration normalerweise geredet wird, wie die Leute da getuned werden. Das war in meinem Fall ja schon dadurch, daß ich dabei war, nicht mehr normal. Und es ging zu einem Freundschafts-Spiel, wo klar war: Da passiert nix.

Hat der winzige Einblick trotzdem etwas geändert in deinem Kopf?

Also, wenn ich jetzt von jemandem erfahren würde: Er geht zu ’ner Demo hin, extra um sich zu prügeln solche Leute gibt’s ja, das muß man ja nicht schönreden -, ich wäre, nachdem ich die Situation bei diesem Training mitgemacht hab, viel mehr motiviert, demjenigen zu sagen: Laß es sein. Es ist einfach eine Sauerei, das zu tun. Laß es einfach sein. Überleg dir mal, daß es Menschen sind, die hinter dem Ding stehen. Vor der Erfahrung hätte ich wahrscheinlich gesagt: Naja, gut, ich lebe nicht in Kreuzberg, ich bin bestimmten Situationen nicht ausgesetzt; es wird wahrscheinlich irgendwo einen Grund dafür geben. Laß die das mal austragen und wer Polizist wird, weiß ja, was auf ihn zukommt.

Also, ich kenne jetzt wenigstens eine Handvoll Leute, die unter diesen Helmen und hinter diesen Schilden stehen. Und ich kenne einen winzigen Bruchteil von dem Gefühl, das man hat, wenn das Zeug geflogen kommt.

Es bleibt aber auch die andere Seite. Die angesprochenen Machttypen, die Hamburger Übergriffe, bei denen man den Eindruck bekommen konnte: Die Polizei ist ein Sammelbecken für verkappte Rechtsextreme – macht dir so etwas Angst? Dein Bild von: „Denk ich an Deutschland in der Nacht…“- kommt die Polizei darin vor?

Als etwas, das mir Angst macht – nee. In so’ner Gesellschaft leben wir nicht. Das Gefühl der Beklemmung, das von Polizisten ausgelöst wird, kenne ich ja: zu der Zeit, als Franco noch in Spanien regiert hat, oder zur Zeit der Militärjunta in Griechenland – ich bin oft genug da gewesen und hab irgendwie ein Scheißgefühl gehabt. Bei den Lackhüten von diesen Guardia Civil-Arschlöchern in Spanien, da hab ich Muffe gehabt Wenn ich so einen gesehen hab, hab ich gedacht: Der kann willkürlich mit dir tun, was er will. In Griechenland brauchtest du nur in die Post zu gehen, und da hing ein Bild vom Papadopoulos… brrr. Ich hab in Griechenland unter dem Eindruck – später, als die Junta schon weg war – den Text von „Kristallnaach“ geschrieben. Es wirkte immer noch nach: Die Angst, daß mit dir willkürlich umgegangen werden kann. Bei uns ist es ja immerhin so, daß Sicherungen eingebaut sind. Da gibt es zwar auch Menschen, die versuchen, die Sicherungen zu umgehen und dich trotzdem fertigzumachen, das ist mir vollkommen klar. Aber die Sicherungen sind da.

Gibt es – auch bei dir selbst – eine Art, mit der Polizei, der Ordnungsmacht umzugehen, die du ab „typisch deutsch“ erlebst?

Ich hab immer meine Schwierigkeiten mit dem Begriff „typisch deutsch“, ich weiß nie, was das ist Ich glaube, sehr vieles, wo wir so schnell sagen „typisch deutsch“, ist eigentlich eher „typisch menschlich“. Viele Sachen, über die wir hier die Nase rümpfen, gibt’s in anderen Ländern auch, und kein Schwein rümpft die Nase drüber. Als kleines Beispiel: Bei der Stones-Tour ’82, wo wir das Vorprogramm gemacht haben, fuhr Mick Jagger mit so ’nem Hebelkran über die Leute und machte auf lustig. Und um das Geländer seiner Plattform war in jedem Land die entsprechende Nationalflagge. Das sah auch überall klasse aus. Es hat mir bei keinem Foto, das ich sah, irgend eine Schwierigkeit bereitet. Aber als der Jagger hinter der schwarzrotgoldenen Flagge stand und am Kaspern war, dachte ich: „Jagger! Hast du völlig den Verstand verloren?“ Sobald irgendwo die schwarzrotgoldne Flagge auftaucht, krieg ich irgendwie… hektische Flecken und denke: „Raaah, nicht das Ding jetzt wieder.“

Als ich bei der Maueröffnung ’89 diese ganzen schwarzrotgoldnen Fahnen sah, und dann kam auch noch die Fußballweltmeisterschaft, und alles war am Taumeln und wedelte mit den Dingern rum, und alles war stolz auf Deutschland, also da mußte ich mich sehr zusammenreißen, um mal zu sagen: Dann laß sie sich doch freuen.

Natürlich gibt es dafür Gründe; ich weiß halt, was in Deutschland aus so ’nem Nationalgefühl aus so ’ner deutschen Großmannssucht schon entstanden ist in diesem Jahrhundert. Mir fallen dann ganz viele Bilder ein. Als das Zentrum des Jubels in Köln bei der Weltmeisterschaft grade der Chlodwigplatz war – das ist genau mein Nabel der Welt, der Chlodwigplatz. Und es ist genau der Punkt, wo Heinrich Böll in seinen Aufsätzen beschreibt, wie er da zum ersten Mal die SA hat aufmarschieren sehen. Und wenn ich dann deutschen Überschwang erlebe, und es ist am Chlodwigplatz, dann fallt mir natürlich auch das andere ein. Ich konnte an dem Abend nicht froh werden. Ich hab mich zwar gefreut, daß wir Weltmeister waren, aber dann bin ich nach Hause gegangen und dachte: „Puuh.“

Wenn aber die Brasilianer Weltmeister werden, und es gibt nochmal Karneval außerhalb der Saison, und alle tanzen, und alle haben Spaß, da sag ich: Klasse, super, was können die sich freuen.

Und welchen persönlichen Schluß ziehst du aus diesem Widerspruch?

Daß man gefälligst zu seinen Widersprüchen zu stehen hat. Differenzieren, wo es nur geht; immer wieder jede Situation neu bedenken; wirklich so flexibel bleiben, daß du bei jeder Situation immer wieder ins Grübeln kommen kannst und sie für dich neu beleuchten kannst, aus einem anderen Blickwinkel – nur das kann der Schluß sein. Alles andere ist doch Humbug.

Deswegen war eines der Themen, über die ich mich in der letzten Zeit furchtbar aufgeregt habe, die verstockte Haltung der Linken gegenüber rechten Jugendlichen. So nach dem Motto: Mit Arschlöchern setzt man sich erst gar nicht auseinander. Halte ich für völlig falsch! Man muß versuchen, mit denen ins Gespräch zu kommen. Vor allem im Osten. Ich unterscheide da sehr stark zwischen dem, was hier im Westen an rechtsradikalem Zeugs passiert, und dem, was im Osten passiert. Das mußte dir mal reintun: Du bist grade 16 oder 17 geworden, bist arbeitslos, sie machen dir dein Jugendzentrum zu du bist aus dem totalitären Ding rausgeraten in die vermeintliche totale Freiheit und fällst völlig auf die Fresse. Und dann kommen ein paar rechte Welterklärer und sagen dir, wo’s langgeht. Also, daß du darauf reinfällst, dafür hab ich viel mehr Verständnis als für irgendwelche Modefizzis, die sich hier von der korrekten rechten Frisur bis zu den Doc-Martens-Stiefeln mit den weißen Schnürriemen das komplette Outfit besorgen… also, daß man sich grade im Osten bemüht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, das halte ich für komplett korrekt. Und wenn ich mir dann hier unsere verstockten Alt-68er anhöre, die sagen, mit Arschlöchern spricht man nicht – das ist so dogmatisch und so ein blödes Links-Ayatollahtum, das find ich nicht okay.

So ein Linkspopulismus ist mir natürlich auch nach meiner Polizei-Aktion begegnet: „Wie kannst du nur! Bullenschweine.“ Aber einfach von vornherein zu sagen: Das kommt für mich nicht in Frage – das wäre mir zu platt gewesen. Es gibt ihn nämlich, den Linkspopulismus. Und der ist mindestens so spießig wie der andere.

Bei all deinen Differenzierungen: Ist da dann ein BAP-Song wie Widderlich“ – der auf Politiker abzielt – nicht ein arger Rundumschlag?

„Widderlich“ ist eigentlich ziemlich differenziert. Damit sind ja nicht alle Politiker gemeint, sondern die, die kneifen. Die mit der Situation des Rechtsextremismus so verlogen umgehen. Das werde ich nach wie vor finden, und ich werde umgekehrt auch nach wie vor sagen, daß es ’nen Haufen Politiker gibt, denen ich dankbar bin, daß sie diesen Job machen. Und trotzdem gibt es Karrieristen, die in allen Systemen dieser Welt die Nase vorn haben würden. Man sieht das an nichts so deutlich wie an diesem ganzen Blockflötentheater zur Zeit Da gibt es so viele Leute, bei denen ich staune, wie die ohne rot zu werden diese Pirouette dermaßen für sich gedreht kriegen. Da denk ich: Das kann doch gar nicht wahr sein! Haste gestern Abend „Monitor“ gesehen? Da ging’s um diesen Typen, der mit dem Bernhard Vogel zusammen die Koalitionsverhandlungen für die CDU durchzuführen hat.

(Die Rede ist von Dieter Althans, ehemals hochrangiger Lehrer in der DDR, der dort noch 1989 für pädagogische Leistungen ausgezeichnet wurde und nun Kultusminister in Thüringen ist.) Die haben Fernsehaufnahmen von dem gezeigt, von vor grade sechs Jahren in seiner Block-CDU mit seinem Text, gegenüber von Honecker sitzend, und was der für einen Schleim abgezogen hat! Und derselbe Mann sitzt jetzt da und tut, als hätte er nie etwas anderes gesagt als das, was der Kanzler sagt. Es ist wirklich unvorstellbar. Also, diese ganze verlogene Rote-Socken-Kampagne, die die CDU abgezogen hat, die war: „Widderlich“. Auch aus so ’nem ethischen Gefühl raus. Was soll ich eigentlich meinen Kindern vermitteln? Ich möchte meinen Kindern eigentlich nicht sagen müssen, daß der Kohl ein Arschloch ist. Ich möchte denen differenziert beibringen, daß es demokratische Parteien gibt und undemokratische Parteien, und daß die CDU eine demokratische Partei ist, und daß man da auch nicht von Arschlöchern zu reden hat. Das fallt mir nach solchen Geschichten ungeheuer schwer.

Die gleichen Politiker um noch ein letztes Mal auf Polizei und Recht und Ordnung zurückzukommen haben die innere Sicherheit hoch auf die Liste der Themen im Bundestagswahlkampf gesetzt. Wo Ängste in der Bevölkerung genutzt, wenn nicht gar geschürt wurden, die auf „Law & Order“ hinauslaufen.

Und wo die SPD sich nicht besonders mit Ruhm bekleckert hat. Das ist aber ein weltweites Thema. Die Partei, die den braven Bürger und Steuerzahler am besten zu schützen vorgibt, macht damit auf jeden Fall Pluspunkte. Die SPD hat sich nicht umsonst mit diesem furchtbaren Handschellen-Plakat hervorgetan. Aber das ist ja nur ein Symptom dieses ganzen Wahlkampfs gewesen: Man hat sich alle Optionen offen gehalten, so daß jeder hoffen konnte: Es kommt die Koalition raus, die ich gerne hätte.

Jedenfalls scheint die Tendenz, die man sich da zunutze macht, nicht nur zu sein: Polizei ist nötig, weil wir für die Anarchie halt leider noch nicht reif sind, wie du anfangs angedeutet hast…

…“to live outside the law, you must be honest“, hat Bob Dylan schon gesungen in „Absolutely Sweet Marie“ auf der „Blonde On Blonde“…

…sondern: Richtig stark soll sie sein.

Ja, das ist halt der entscheidende Unterschied. Daß die Polizei immer gegenwärtig zu sein und notfalls auch mal über zu reagieren hat, oder über zu agieren, das ist das, was der Spießer gerne hätte. Und dann gibt’s das andere: Ich möchte ganz gerne, wenn bei mir unten im Haus ein Molli rein fliegt, irgendwo anrufen können, daß mir einer das Ding löschen kommt. Oder die Leute dingfest macht, die so was tun. Und dieses Wissen: Ich kann da irgendwo anrufen, das ist schon ein gutes Gefühl. Und ich finde, daß es sich gehört, das zuzugeben.

Ich bin mir bewußt, daß ich da auch als Sympathieträger für die Polizei verbraten werde. Das ist mir aber gar nicht so unlieb. Der Fairneß halber ist es doch ganz gut, daß aus dieser Ecke auch mal so was wie Verständnis artikuliert wird. Ich meine, ich hab mich nicht drum gerissen; ich hab auch nicht vor, Pressesprecher der Polizei zu werden. Aber nachdem es diese Aktion nun mal gab, hat man dazu auch zu stehen, fertig.

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