Interview mit Bestseller-Autor Michel Birbæk: „Mit Prince starb ein Teil meines Lebens“

Mit „Das schönste Mädchen der Welt“ erschien hierzulande der erste Roman, der sich mit dem Einfluss des Genies auf den eigenen Lebensweg auseinandersetzt. Ein Gespräch mit Schriftsteller Michel Birbæk über Trauerbewältigung und die Hoffnung, dass immer etwas von Prince bleiben wird.

Fan sein heißt auch, Fanatiker zu sein, aber dieser Mann namens Leo ist, wenn schon, denn schon, ein ausgesprochen sympathischer anzutreffender Fanatiker. Der Musiker und Tinder-Single verteidigt sein Idol mit Haut und Haaren – ist sich aber auch im Klaren darüber, dass viele Menschen anders ticken. Als Prince plötzlich verstirbt, begibt Leo sich auf eine Reise in seine Vergangenheit, zu den Bandkollegen von früher und seiner ersten großen Liebe.

Mit „Das schönste Mädchen der Welt“ (Blanvalet) ist Michel Birbæk ein selten anzutreffender erzählerischer Spagat gelungen. Eine gleichzeitig brüllend komische wie todtraurige Hommage an Prince. Er erklärt, wie der wohl wichtigste Komponist seiner Generation die eigene Persönlichkeit formen konnte. Auch Birbæk ist Prince-Fanatiker und startete seine Karriere, wie Roman-Protagonist Leo, als Musiker.

Michel Birbæk

Wo waren Sie, als Prince starb?
Michel Birbæk: Ich erinnere mich noch sehr genau daran. Nach Eintreffen der Nachricht starrte ich auf mein Handy-Display. Es war ein Schock. Ich wusste sofort, jemand war gestorben. Mein erster Gedanke: jemand aus der Familie oder ein Freund. Mit Prince starb ein Teil meines Lebens. Ich hätte nie gedacht, dass mich der Tod eines Menschen, den ich persönlich nicht kenne, derart treffen könnte. Ich war danach einen Monat komplett off. Normalerweise kann ich neue Zustände schnell akzeptieren, aber heute noch, drei Monate nach Veröffentlichung des Buchs, könnte ich abschweifen – und mir immer wieder bewusst darüber werden, dass ich Prince nie mehr live sehen werde.

Wie wirkte sich das auf Ihr Leben aus?
Eine Szene aus dem Roman ist meinem eigenen Leben entnommen. In einem Restaurant lief das „Purple Rain“-Album, und ich konnte es nicht ertragen, die ganze Platte ausgerechnet in einem Restaurant zu hören. Ich musste gehen. Ich musste gehen, obwohl ich gerade in ein Gespräch mit einer Frau verwickelt war!

Mein bestimmendes Gefühl war Wut. David Bowie starb, weil der Krebs ihn zerfraß. Prince erlitt, wie es scheint, einen vermeidbaren Unfall.
In Foren liest man die seltsamsten Theorien. Zum Beispiel, dass Prince in Wirklichkeit ermordet wurde. Ich glaube, es war Matt Fink von seiner alten Band The Revolution, der eine der interessantesten Aussagen machte: Leute, was erwartet ihr? Dass ausgerechnet jemand wie Prince, der so aufregend lebte, uralt wird? Ich teile Finks Meinung. Wir können froh sein, dass dieser Mann nicht mit 27 verstarb. Er lieferte in einem Tempo und in einer Intensität wie wohl kein Künstler zuvor. Und er wurde dann doch 57 Jahre alt. Ich versuche Prince‘ Dasein mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu sehen. Ich bin einfach nur froh, ihn überhaupt erlebt zu haben. Ich war dabei, als er seine entscheidenden Entwicklungsschritte machte.

„Sie dachte, da sänge ein Frau!“

Gibt es ein Schaffensphase von Prince, die Sie als ideal empfinden, um sich mit seiner Musik vertraut zu machen?
Ich kenne Leute, die gehen vor allem auf seinen Groove ab, Lieder, die für den Dancefloor geschrieben wurden. In den vergangenen Jahren traf ich viele Menschen, die nicht mehr Songs kannten als „Purple Rain“ oder „Kiss“. Manchen bot ich an, einen Track aufzulegen, von dem ich glaubte, dass er zu ihrer Persönlichkeit passt. Die Leute kippten um! Sie konnten nicht glauben, dass jemand solche Lieder schreibt. Gerade die Balladen, die schwebenden, leichten. Einmal lernte ich eine Frau kennen, die mich aufforderte, ihr ein Prince-Stück vorzuspielen. Ich entschied mich für „The Most Beautiful Girl In The World“. Sie kannte es schon – aber dachte, da sänge eine Frau.

Ihr Buch beginnt mit der Heimfahrt nach einem „Lovesexy“-Konzert von 1988. Die Romanhelden reden sich den Mund fusselig wegen Prince‘ Rundbühne, so was hatte sich vor 30 Jahren eben auch kaum ein Live-Musiker zugetraut. 
Es gab in den späten 1980er-Jahren ja kein Internet. Man muss sich das mal vorstellen: Sie betreten die Halle, in der ihr Lieblingskünstler auftritt, und Sie haben keine Ahnung, wie die Bühne aussehen würde. In diesem Falle riesig, rund, in der Mitte, mit Torbögen und Basketballkorb. Prince fährt mit einem Auto auf die Bühne. Niemand hatte mich auf so etwas vorbereitet. Ich wusste von nichts, außer: Ich musste da hin nach Dortmund, zu Prince. Ich sah die Bühne und dachte: „What The Fuck!“

Im Palais Omnisport de Paris Bercy, Paris, 9. Juli

Die zwei Konzerte in der Westfalenhalle 1988 zählen zu Prince‘ bekanntesten.
Ich habe mit so vielen Fans gesprochen, kenne mittlerweile gefühlt 400.000, die damals im September dabei gewesen sein wollen. Nun, Ich glaube nicht, dass so viele Menschen in die Westfalenhalle hineinpassen (lacht). „Lovesexy“ beschrieb auf eine neue Art einen seiner vielen verschiedenen stilistischen Höhepunkte. Die Tour würde für mich seine Messlatte bleiben. Über die Musik hat Prince mich immer wieder bekommen, aber die Show markierte damals, für mich, seinen Live-Gipfel.

In Ihrem Roman geben verschiedene Figuren unterschiedliche Meinungen zu Prince ab. Manche schwärmen von ihm, andere zerreißen die Lieder. Wie haben Sie ihre Präferenzen zu Alben und Songs auf die Charaktere verteilt? „When 2 R In Love“ etwa wird als schwächster „Black Album“-Track beschrieben.
Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich jedoch keine Antwort habe. Zum Teil lege ich bestimmten Romanfiguren natürlich eine gewisse Meinung in den Mund. In anderen Fällen wird mir erst hinterher, nach dem Schreibprozess, bewusst, wem ich da überhaupt was zugeordnet habe. Kunst entwickelt sich immer halb intuitiv und halb wissend. Da ich meine Arbeit als semi-biografisch betrachte, muss ich immer aufpassen, dass ich keine echten Leute verletze, sie bloßstelle. Leo und Mona gehen in das Whitney-Houston-Musical „Bodyguard“, die Sängerin in der Hauptrolle erhielt von mir zunächst den Namen „Pat“. Dann stellte sich heraus, dass die wirkliche Sängerin Patrizia hieß. Man möchte ja nicht, dass sich jemand falsch verstanden fühlt, sich wiederzuerkennen glaubt oder gar Schritte gegen mich einleitet. Andersrum: Es gibt auch Leser, die sich beschweren– eben, weil sie nicht in meinem Roman vorkommen.

Es kommt auch ein Dorftrottel vor, der Prince, wie so manche Leute in den 1980er-Jahren, als „Schwuchtel“ tituliert.
Man kann Prince‘ Spiel mit Geschlechteridentitäten als auch sexuellen Präferenzen gar nicht hoch genug bewerten. Die Vielfalt befruchtete seine Musik. Und das bringt uns zu einem weiteren, wesentlichen Punkt: Es regt mich auf, wie heutzutage das Urheberrecht ausgehöhlt wird. Immer mehr Musiker und Bands leben am Minimum, die Plattenfirmen machen sich fett, und auf Portalen wie YouTube gibt’s unfassbar viel Musik umsonst. Die Bedeutung von Kunst verschwindet – und Kunst ist das Wichtigste auf der Welt. Nimm den Leuten die Kunst weg, und die Menschheit würde sich in wenigen Minuten komplett zerhacken. Die ganze Zeit geht es nur um die Wichtigkeit von Politik bzw. Politikern. Oder um Fußballer! Ich schaue mir ja auch die WM an, aber die Stars, die dort spielen – was sind denn das für Rollenvorbilder? Für mich waren stets Musiker, waren Künstler die wertvollsten Menschen. Leute, die bis an ihr Lebensende versuchen, sich zu verbessern. Die auch mal üben. Würde man jene Studien beherzigen, die sich mit dem positiven Einfluss von Musik auf die Gesundheit auseinandersetzen, die halbe Pharma-Branche würde sich abschaffen.

Prince im Jahr 2005.
Prince im Jahr 2005.

Prince hatte ein kompliziertes Verhältnis zum Internet und den sozialen Medien. Mal sagte er, „das Internet ist bald Geschichte“, dann setzte er auf Vertrieb im Netz, irgendwann gingen seine Anwälte gegen Videos auf YouTube vor.
Ich muss dabei immer an meine Arbeit als Drehbuchautor denken, in diesem Zusammenhang hatte ich mich auch mit der Entstehung des Kinofilms „Purple Rain“ beschäftigt. Prince scheint sehr impulsiv, also auch Tagesform-abhängig, an dieses Werk herangegangen zu sein, an Film wie Platte. Drei der Songs waren eine Woche vor Abgabe noch gar nicht auf dem Album. So stelle ich mir auch seine Betrachtung des World Wide Web vor. Vielleicht war er nicht in der Lage, ein langfristiges Konzept für seine Präsenz im Netz zu erstellen. Ein Hier-und-jetzt-Typ. Mit einem sehr guten, klassischen Management an seiner Seite, was er leider nicht mehr zugelassen hatte, hätte das doch interessante Möglichkeiten geboten.

„Er war der größte Künstler seit Mozart und Beethoven“

Leo und seine Freunde staunen über die Menge unveröffentlichten Materials, das bereits kurz nach Prince’ Tod das Netz flutete, wohl auch, weil keiner mehr die Anwälte des Musikers zu fürchten meinte. Ist das nicht ein zwiespältiges Gefühl – der wichtigste Musiker im Leben ist tot, und doch gelangt man erst dann in den Genuss jahrzehntelang verborgener Songs?
Wer weiß, was seine Erben, seine Nachlassverwalter mit dem „Vault“-Material überhaupt – noch – machen? Da kann man schon mit den Ohren schlackern. Ich frage mich, ob die Veröffentlichungspolitik etwas mit Prince‘ Willen zu tun hat, oder ob es nur ums Geldverdienen geht. Und dann hat irgendjemand auch noch Fotos seiner Leiche ins Netz gestellt. Prince war der vielleicht größte Künstler seit Mozart und Beethoven. Noch in hunderten Jahren wird man über ihn sprechen. Aber mit seinem Tod haben manche Leute alle Regeln, allen Anstand aufgegeben.

Bei der Fülle an herausragenden Outtakes bleibt einem dennoch nichts anderes übrig, als zuzugreifen!
Ich kopiere in der Regel nie etwas schwarz. Ich will meine Haltung zur Kunst nicht aufgeben. Aber bei Prince musste ich eine Ausnahme machen. Ich saugte alles aus dem Netz, was ich bekommen konnte. Gigabyte an Musik, ich höre es mir noch immer an und gehe dazu steil.  Er hat sich selbst nie an Regeln gehalten, und kurz nach seinem Tod, als all die Lieder im Netz auftauchten, kehrte dieses Gefühl noch einmal zurück: Alles ist möglich.

Wovon waren Sie am meisten überrascht?
Für mich geht es bei Prince weniger darum, wie er klingt. „Sign ‚O‘ The Times“ ist eine tolle Platte, aber mir gefällt der Sound nicht. Jedoch höre ich seine Stimme und die Melodien und denke: Genau da will ich jetzt auch sein. Ich habe keine einzige Tätowierung. Aber immer wieder ertappte ich mich bis einen Monat nach seinem Tod bei dem Gedanken, mir das „Love Symbol“ stechen zu lassen.

Sie haben Ihren Roman nach dem Hit „The Most Beautiful Girl In The World“ benannt. Darin kürt Prince aber eben nicht eine bestimmte Frau zur „weltschönsten“, sondern stellt heraus, dass es jede auf ihre Art sein kann. Leo Palmer ist ein Tinder-Freak. Steckt dahinter nicht auch eine gewisse Beliebigkeit in der Partnerwahl, ein sich-nicht-festnageln-lassen-wollen?
Prince wusste genau, was er macht, und für wen er welches Lied geschrieben hat. Bei „The Most Beautiful Girl In The World“ waren seine privaten Umstände natürlich auch passend, er führte Mayte Garcia zum Altar, es war seine erste Heirat. Vielleicht wollte er aber einfach auch einen sicheren Hit raushauen. Jahre später versuchte er sich ja nochmal an einem Liebeslied auf Spanisch …

… „Te Amo Corazon“ …
… und damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ich fand es belanglos. Dennoch: Man kann über alles reden, was Künstler machen, aber wenn ich über Prince rede, dann ist das so, als rede ich über eine Frau, die ich liebe. Natürlich gibt es Diskussionen über schlechte Tage oder gar Phasen, aber letztendlich ist die Basis Liebe. Und die bleibt auch, wenn Prince mal Sachen komponiert, die ich richtig, richtig scheiße finde. Gute Zeiten, schlechte Zeiten! Er hatte mir soviel Gutes geschenkt, er hat bei mir schlechte Lieder frei bis in die nächsten 300 Jahre.

Am Ende Ihres Romans gibt es einen Twist, es geht um einen Schicksalsschlag.
Ich habe danach sehr viele Reaktionen erhalten, viele persönliche Mails, viele berührte Leser. Manche sagen, sie hätten sehr lange geweint. Und es ist mir auch dramaturgisch gelungen, den Twist im Roman bis zur entscheidenden Stelle zu verbergen. Beim zweiten Lesen identifiziert man vielleicht die Anspielungen, aber bei der ersten Lektüre wird man hoffentlich kalt erwischt. Beim zweiten Mal versteht man die Brüche, die Bindungsschwierigkeiten der Figuren vielleicht noch etwas besser, bewertet einzelne Dialoge neu. Ich bin sehr, sehr glücklich mit diesem Twist.

Michel Birbæk
Das schönste Mädchen der Welt
352 Seiten │ Roman
ISBN 978-3-7645-0642-1
20,00 € [D] 20,60 € [A] 26,90 CHF ET: 16. April 2018 │ Blanvalet Verlag

Michel Birbæk, Jahrgang 1962, ist ein dänischer Autor, der seit 1974 in Deutschland lebt. Ab Ende der 1970er-Jahre war er als Rockmusiker aktiv, seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet er als freier Autor, veröffentlichte Drehbücher sowie Kolumnen und Gags für Harald Schmidt und Stefan Raab. „Das schönste Mädchen der Welt“ ist sein fünfter Roman.

Simin Kianmehr
Rob Verhorst Redferns
Kevin Winter Getty Images
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