Jarvis Cocker

über Kinder, Krieg und die Kälte der Coolness

Er wollte doch Familienvater werden, schön in Paris wohnen – aber der laszive Professor Cocker kommt ohne Musik nicht aus.

Er mag Interviews nicht besonders, und er hat erst recht keine Lust, deshalb 24 Stunden in einem Hotelzimmer zu verbringen. Deshalb sitzt Jarvis Cocker jetzt in einem Marcel-Breuer-Stuhl im Berliner Bauhaus-Archiv. Im lässig eleganten Wollmantel, der obligatorischen Riesenbrille und mit immer länger werdenden Locken entspricht der Sänger ganz dem Bild des widerborstigen, aber sensiblen Bohemiens. Fünf Jahre liegt das letzte Pulp-Album „We Love Life“ zurück. Eine Rückkehr der klügsten aller Britpop-Bands ist zwar nicht explizit ausgeschlossen, aber Cocker macht kein Hehl daraus, dass dies eher ein Thema für „Spinal Tap“ wäre. Immerhin: Mit Richard Hawley und Steve Mackey waren sogar zwei ehemalige Pulp-Musiker am Soloalbum „Jarvis“ beteiligt.

Der Albumtitel „Jarvis“ weckt Erinnerungen an „Scott“, das Solodebüt des von Ihnen verehrten Scott Walker. Zufall?

Ursprünglich wollte ich nicht nur das Album, sondern auch mich selbst „Jarvis“ nennen, den Cocker einfach ablegen. Aber als ich das geschrieben sah, fand ich es etwas merkwürdig. Trotzdem beunruhigt mich Ihr Scott-Walker-Vergleich. So etwas würde ich bewusst nie tun. Ich bin ein riesiger Fan von Scott Walker, und ich werde meine nächste Platte garantiert nicht „Jarvis 2“ nennen. Das hoffe ich jedenfalls.

Hatten Sie Angst vor diesem Soloalbum, oder warum haben Sie sich zunächst lieber in Projekten wie Relaxed Muscle ausgetobt?

Es begann, als ich nach Paris zog. Ich wollte damals mit der Musik aufhören und hielt alles in einer sicheren Entfernung von mir. Ich schrieb Songs für andere Leute, aber tat auch Dinge, die ich für erwachsen hielt. Irgendwann ging das nicht mehr. Ich habe versucht vernünftig zu sein, aber Musik ist nicht vernünftig. Es dauerte dann allerdings ein paar Jahre, die Songs zu schreiben. Die Ideen kommen ohnehin etwas langsamer, wenn man älterwird.

Ist das so?

Sicher, man will sich ja nicht wiederholen, will nicht von Dingen reden, über die man bereits gesprochen hat. Texte schreiben für Charlotte Gainsbourg, die Musik für „Harry Potter“, das alles hat mir irgendwie geholfen. Das war wie ein gradueller Wiedereintritt in das Musikmachen. Es gab mir Selbstvertrauen.

Warum haben Sie für Charlotte Gainsbourg nur Texte geschrieben?

Als ich involviert wurde, war die Musik bereits aufgenommen. Als ich ins Studio kam. saßen Produzent Nigel Godrich, Charlotte und die zwei Typen von Air um ein Mikrofon herum, tranken Wein und spielten frei assoziierende Wortspiele, um daraus Texte zu basteln.

Das klingt nicht gut…

Richtig, man durfte das Projekt auf keinen Fall unvorsichtig angehen: Eine coole Schauspielerin, ein cooler Produzent und coole Musiker – das hätte eine eiskalte Angelegenheit werden können. Deshalb habe ich mich bemüht, etwas Wärme hereinzubringen.

Das subtil bösartige „I will Kill Again“ haben Sie sich glücklicherweise für Ihr eigenes Album aufgespart. Was dachten Sie sich bei dieser Studie eines modernen Spießers?

Ich habe Ihnen ja bereits erzählt, dass ich ursprünglich vorhatte, die Musik aufzugeben. Das hat sicher mit meinem Alter zu tun, aber auch damit, dass ich inzwischen verheiratet bin und ein Kind habe. Ich hatte zeitweise das Gefühl, ich müsste solide und bürgerlich werden. Aber ich glaube, diese Erwartungshaltung an sich selbst kann sehr gefährlich sein. Weil man dann bestimmte Aspekte des eigenen Charakters versteckt oder verneint – so lange, bis man explodiert. Man sollte lieber versuchen, mit seinen Fehlern klar zu kommen.

In dem als Hidden Track versteckten „Running The World“ lassen Sie zu einer hübschen Melodie den zornigen Klassenkämpfer raus. Gab es dafür einen konkreten Anlass?

Die Idee dazu hatte ich in der Schlange vor einem Bankschalter: „Cunts are still running the world“, schoss es mir durch den Kopf. Nein, dachte ich, so kann man einen Song nicht nennen. Doch letztes Jahr, nachdem ich im Fernsehen den ganzen Tag dieses Live-8-Konzert gesehen hatte, sagte ich mir: Scheiß drauf, jetzt schreib ich den Song fertig!

Sie haben ja schon früher politische Songs geschrieben. Glauben Sie, dass Lieder etwas verändern können?

Nein, glaube ich nicht. Aber manchmal hilft es, wenn Menschen sich nicht so isoliert fühlen. Zu Beginn des Irak-Kriegs gab es hier die größte Demonstration, die jemals in England stattgefunden hat. Doch von den Medien wurde das weitgehend ignoriert. Die Menschen bekommen so das Gefühl, dass man ihnen nicht zuhört. In diesem Sinn können Lieder tatsächlich helfen. Es ist verrückt, wenn man in dieser Hinsicht den Irak-Krieg mit dem Vietnam-Krieg vergleicht: Es sind heute grundsätzlich ältere Menschen so wie Neil Young oder ich, die sich beschweren. Wenn man die Bands hört, über die der „NME“ schreibt, glaubt man, die Welt sei ein Paradies. Man hat das Gefühl, die existieren alle nur in ihrer eigenen, selbstbezogenen Welt. Ganz schön traurig.

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