Kritik: A-ha in Berlin – Morten, lass das sein, bitte!

Morten Harket war ein großer Sänger. Vielleicht ist er es noch. Aber er steht sich selbst im Weg, wie der nur halb gelungene „Unplugged“-Auftritt in Berlin beweist.

Erde an Morten! Die größten Soundprobleme, falls es sie denn heute gab, denn wir Zuschauer haben davon nichts bemerkt, im Gegensatz zum Sänger, passierten ausgerechnet, programmatisch, bei „I’ve Been Losing You“. Morten Harket verliert den Kontakt zum Publikum, setzt zeilenlang aus. „I’ven Been Losing You“ –„Ich habe Dich verloren.“ Der Song ist futsch. Der dritte in Folge. Findet Harket. Wir eigentlich nicht. Wer kein Gesangstrainer-Genie ist, der Autor dieser Zeilen jedenfalls ist keines, findet Harkets Leistung immer noch völlig ausreichend.

Denn es ist ein ewiges Spiel, ein Running Gag: Der A-ha-Sänger nestelt an seinem In-Ear rum, also der Mikro-Ohrmuschel, und wedelt wie ein Dirigent Richtung Mischpult. Das macht er seit 18 Jahren bei jedem Konzert. Sogar bei gefilmten und ausgestrahlten wie dem „MTV Unplugged“ letzten Juni, bei dem es für die Filmemacher nicht leicht gewesen sein dürfte, all jene Bilder herauszufiltern, bei denen Harket den Scheibenwischer macht.

Zu seinen Glanzzeiten, 1985 („Hunting High and Low“) bis 1993 („Memorial Beach“) war der heute 58-Jährige einer der größten Vokalisten überhaupt. Aber selbst noch Größere, Frank Sinatra, Michael Jackson, Freddie Mercury oder Aretha Franklin, taten eben dieses niemals – derart aufgeregt zur Bühnenseite fuchteln, dass auch dem letzten Zuschauer klar ist: Harket will einfach nur sich selbst genügen, dem inneren Kammerzimmer.

Aber wie erfüllt man den Anspruch, dem Publikum eine gute Show zu liefern? Jedenfalls nicht, indem man zur Seite spielt und in einen dauernden Dialog mit Soundmännern tritt. Ab einem gewissen Zeitpunkt, spätestens nach zehn Minuten, gilt: Musiker sollten immer nach vorne spielen. Am besten, schon nach dem ersten Song, auch, wenn man merkt, dass der Klang den eigenen Ansprüchen nicht genügt. Bands sind für uns da, nicht für sich. Beim Outro von „I’ve Been Losing You“ argumentiert Harket hektisch am Bühnenrand mit seinem bemitleidenswerten Tontechniker.

A-ha (hier live in Stuttgart)

Harket fehlt heutzutage die Frontmann-Power. Er tritt auf wie im Proberaum. Singt nicht ins Publikum, sondern, wenn nicht in Richtung Technik, nur in Richtung Boden. Radius: einen Meter. Oder, wie die Kollegen von der „Welt“ bei der voran gegangenen „Cast In Steel“-Tour schon treffend schrieben: Harket wirkt wie ein Sänger, der sich auf einem Parkplatz verirrt hat und auf dem Boden nach seinem Autoschlüssel sucht. Dabei kommt der enge Bühnenaufbau ihm jetzt gar entgegen. Die Mitstreiter sind derart eng um ihn drapiert, dass er keine Spurensucher-Spaziergänge mehr lostreten kann.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

In dieser Rezension ging es bislang nur um Morten Harket. Das erscheint ungerecht, aber A-ha-Konzerte stehen und fallen immer noch mit seiner Performance. Auch, wenn die wichtigsten Songs Pal Waktaar, und die zweitwichtigsten Songs Magne Furuholmen geschrieben hat. Über die vermeintlichen Klangprobleme  sagt Harket im Konzert: „I Don’t Know Where I’m Driving.“ Keyboarder Furuholmen greift das süffisant auf: „Well, I’ll Get Into The Backseat Then“. Klare Botschaft: Das Problem kannst Du mit Dir selbst austragen.

Mehr muss man über die Band-Chemie, 36 Jahre nach Initiation, nicht mehr wissen.

Dabei gäbe es sonst so tolle Dinge in den Vordergrund zu stellen. Die Einzigartigkeit, mit der A-ha Naturbeobachtungen in Worte fassen können. Dass die Art, wie wir handeln, auch von den Gezeiten abhängt. „Stop Calling Her Restless / She Moves In The Sun“, heißt es in Waktaars „Over The Treetops“, planetarisch sonderbar, entrückt, und doch in Harmonie mit der Natur. „The Sun Always Shines On T.V.“: Der dramatische Keyboard-Part der zweiten Songhälfte wird nicht minder dramatisch ins Xylofon gehämmert. So simpel, so unplugged, und doch so groß. „The Living Daylights“ mit der existenzialistischen Songzeile, für die Ian Curtis Pal Waktaar vielleicht beneidet hätte, und die Nick Cave bis heute nicht gelungen ist: „Set your hopes up way too high / The living’s in the way we die“.

Und nicht zuletzt: diese „Unplugged“-Tournee. Nicht in einem kleinen Sendesaal, nicht in einem Aufnahmestudio. Sondern in einer Arena. Unplugged in einer Arena. Mehr als 10.000 Zuschauer. Gab es so ein „Unplugged“ zuvor schon mal, bei Eric Clapton, Pearl Jam oder Kiss?

Dominic Pencz
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates