Lasst uns Mythologien vergleichen: Leonard Cohen feiert Geburtstag

Bohemien und Mystiker, Erotiker und Zen-Mönch, Schmeichler und Anachronist, Dichter und Schweiger, Field Commander und Ladies’ Man. Leonard Cohen wird 82 Jahre alt. Von Markus Brandstetter.

Der Wille zur Entschleunigung ist bei ihm keine Alterserscheinung. Das erklärt Leonard Cohen auf dem Eröffnungsstück „Slow“ seines wie gewohnt lakonisch betitelten  letzten Albums „Popular Problems“: „I’m slowing down the tune / I never liked it fast / You wanna get there soon / I wanna get there last“. 82 Jahre wird Leonard Cohen nun alt, sein zum 80. Jubiläum erschienenes 13. Studioalbum war alles andere als ein versöhnliches Alterswerk: „I’ve seen the future, brother, it is murder“, sang er schon 1992.

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Die Welt ist keine bessere, weniger bedrohliche geworden seit damals. Die zwischendurch dominierenden Synthesizer sind spärlicher Instrumentierung gewichen; wie in „Almost Like Blues“, wo er durch die irdischen Dystopien und Katastrophenfelder wandert: „I have  to die a little / Between each murderous plot / And when I finished thinking / I have to die a lot“. Auf „Popular Problems“ ist Leonard Cohen kurz vor seinem neunten Lebensjahrzehnt in Bestform – und die „popular problems“? Das sind unter anderem die eigenen Unzulänglichkeiten, das eigene Scheitern zum einen – und die Unmöglichkeit der eigenen Sehnsuchts- und Erlösungserfüllung zum anderen. Es kann einen entweder verbittert werden lassen, wenn man sieht, dass man letztendlich nur scheitern kann, meinte Cohen mal. Oder es kann einem das Herz öffnen, ihn hätte dieses Bewusstsein eher befreit. Vielleicht ist das ja die Antwort auf „awful truth / that you can’t reveal to the ears of youth / except to say it isn’t worth a dime“ – was er seinerzeit in „Closing Time“ besang, aber zu benennen aussparte.

Von Hydra ins Chelsea Hotel

Als der „Canadien Errant“ 1967 sein Domizil auf der griechischen Insel Hydra verließ und seine Koffer in den Zimmern des New Yorker Chelsea Hotels abstellte, war er 33 Jahre alt. Er hatte zu dieser Zeit bereits einige Romane und Gedichtbände veröffentlicht, der erste – 1957 erschienen – hieß „Let Us Compare Mythologies“.  Cohen, einer wohlhabenden jüdisch-kanadischen Familie aus einem Vorort Montreals entsprungen, entschied sich aus (heute undenkbar) monetären Gründen, seine Poesie lieber in Liedform unter die Leute zu bringen. Judy Collins hatte sein Stück „So Long, Marianne“ bereits kurz zuvor durch ihre Rendition bekannt gemacht – 1967, kurz nach einem Auftritt auf dem Newport Folk Festival, legte Cohen dann nach: „Songs Of Leonard Cohen“ erschien. Es war das Jahr, in dem auch die ersten beiden Studioalben der Jimi Hendrix Experience auf den Markt kamen, David Bowies Debütalbum, Dylans „John Wesley Harding“, „The Velvet Underground & Nico“, das Debüt von The Doors, „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ von The Beatles und „Her Satanic Majesty Requests“ von den Stones. Inmitten dieser Künstler und ihrer Werke schien Cohen eine Art Fremdkörper zu sein: ein Lyriker, der mehr mit dem spanischen Poeten Frederico García Lorca (nachdem er auch seine Tochter Lorca benannte) und Flamenco zu tun hatte als mit Rock’n’Roll. Einer, der das Wort in den Mittelpunkt stellte, ein Schönheits- und Erlösungssuchender, der sich der schlussendlichen Aussichtslosigkeit dieser Suche bewusst war. Keiner konnte wie Cohen über Liebschaften und One-Night-Stands singen. Aber auch mit so scheinbar ruhigem Timbre den Giftbecher reichen (wie sein drittes Album „Songs Of Love And Hate“) belegt. Leonard Cohen: Bohemian und Mystiker, Erotiker und Zen-Mönch, Schmeichler und Anachronist, Field Commander und Ladies’ Man“.

„Women have been exceptionally kind“

„Es ist eine Stimme von den Klauen des Kupidos geformt, eine Stimme, raugerieben vom Stein der Philosophen. Eine Stimme, in Kirschwasser, Schwefel, Muschus und Schnee mariniert, bandagiert mit Sackleinen von einem zerstörten Kloster; gewärmt von den glühenden Aschen, die nahe am Fluß überblieben, nachdem die Gypsies weitergezogen sind“, schrieb der US-amerikanische Schriftsteller  Tom Robbins 1995 über Cohen. Dass keiner das Wort „nackt“ nackter aussprechen kann als Cohen, der Ladies Man, der Erotiker: das ist mittlerweile ein Standard-Satz im Laudatio-Baukasten, sobald es um Cohen geht. Dieser nahm dieses Image eher spielerisch, sagte, er würde zwei Sachen nicht diskutieren, und das seien seine Geliebten und seine Schneider. Nannte ein Album „Death Of A Ladies’ man“, blieb jedoch stets diskret. Bis auf dieses eine Mal, als er in „Chelsea Hotel“, später „Chelsea Hotel No.2“ recht explizit über seine Affäre mit Janis Joplin sang.

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2004 legte Cohen, im Alter von 70 Jahren, mit dem Song „Because Of“ in puncto „Ladies’ Man“ noch einmal ordentlich nach:  „Because of a few songs / Wherein I spoke of their mystery / Women have been exceptionally kind / Tom y old age / They make a secret place / In their busy lives / And they take me there / They become naked / In their different ways and the say / Look at me Leonard / Look at me one last time (…)“

Der geheime Akkord des David

Cohen hatte im Laufe der Jahre viel versucht, um die eigenen psychischen Dämonen einigermaßen zu bändigen. Alkohol, Drogen, ein kurzes Intermezzo bei Scientology in den frühen 1960ern – den radikalsten Schritt aber setze er, als er (nach einem missglückten Versuch) für einige Jahre ins kalifornische Zen-Kloster „Mt. Baldy“ zog und dort als ordinierter Mönch lebte. Als er nach Jahren wieder ins profane Leben zurückkehrte, bemerkte er, dass sein Konto leer geworden ist: Seine ehemalige Managerin Kelley Lynch hatte ihn um sein Vermögen gebracht, das Gericht sprach Cohen zwar acht Millionen Dollar zu, jedoch war ihm klar, dass Lynch ihm dieses Geld niemals zurückzahlen würde können. Finanziell sanieren konnte sich Cohen mit einigen immens erfolgreichen Touren ab dem Jahr 2008. In der Zwischenzeit war sein Song „Halleluja“ – in den 1980er Jahren von Cohens Plattenfirma abgelehnt – durch einige Coverversionen wieder auf vorderen Charts-Plätzen und erlebte ein geradezu inflationäres Revival. Nach einigen textlich gewohnt hochklassigen, aber klanglich obskuren, von Sharon Robinson auf dem Computer verantworteten Alben, allen voran „Dear Heather“, veröffentlichte er 2012 nach acht Jahren mit „Old Ideas“ einen Longplayer, der ihm auch musikalisch wieder gerecht wurde. Auf „Old Ideas“ nahm er sich schon im ersten Song ein wenig selbst auf die Schippe: „I love to talk to Leonard / he’s a sportman and a shepard / he’s a lazy bastard living in a suit“, und fand – mehr denn je – zum Blues. Der Blues ist auf „Popular Problems“ musikalisch noch um ein ganzes Stück gegenwärtiger. Seine Stimme, die „golden voice“, ist über die Jahre immer tiefer geworden, so rau, dringlich und grollend, so nahe auch an Tom Waits, würde man die beiden vergleichen wollen; wie im Song „Did I Ever Love You“ allerdings hat man sie noch nie gehört.

Sing another song, boys

Er ist nicht optimistischer geworden in all den Jahren, im Gegenteil – aber Cohens Spätwerk zeugt von einer humorvollen Gelassenheit gegenüber dem Unabänderbaren. „Lighten up, that’s what enlightenment means“, sagte er einst in einem Fernsehinterview. Erleuchtung? Vielleicht nur die lächelnde Akzeptanz, dass am Ende bei der Nicht-Erfüllung bleiben wird, von Sehnsüchten, Erlösungsphantasien, Hoffnungen. Und dennoch: das Dranbleiben, das Versuchen. Oder um es mit seinem Song „Anthem“ zu sagen: „Ring the bells that still can ring / Forget your perfect offering / There is a crack, a crack in everything / That’s how the light gets in“.

Ob Cohen noch einmal auf Tour gehen will, ist fraglich. Wenn ihm aber ein ähnlich langes Leben beschieden ist wie seinem Freund Kyozan Joshu Sasaki, dem Oberhaupt des Mt. Baldy-Klosters, der dieses Jahr im Alter von 107 verstarb, dann könnte es durchaus sein, dass er noch einmal in seinen alten Notizbüchern kramt und mit einem neuen Album überrascht, so wie er das jetzt mit „Popular Problems“ gemacht hat. Und wenn nicht, dann hat er mit „You Got Me Singing“ den vielleicht perfekten Schluss-Song gemacht. Um es mit einem anderen Lied des neuen Longplayers, „ A Street“ zu sagen: „So let’s drink to when it’s over, and let’s drink to when we meet / I’ll be standing in the corner / Where there used to be a street“.

Joyeux anniversaire, Canadien errant.

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