M83: Vom Olympiastadion in den Club

Am Montag absolvierten M83 im Gretchen in Berlin ihren einzigen Deutschland-Auftritt in diesem Jahr. Es gab Shoegaze, Dream Pop und Tanztempel-Beats.

„Midnight City“ spukt schon im Kopf, während kurz nach halb zehn vor dem Gretchen noch die Hornbrillen-Diskussion darüber läuft, wie sich Leute den Prenzlauer Berg vorstellen, dass man da selber wohnt und eigentlich mal nach Kreuzberg ziehen woll…bla-bla-blabla, „waiting in a car / waiting for a ride in the dark / drinking in the lounge / following the neon signs / waiting for a ride / looking at a milky skyline / the city is my church“ – mehr Zeilen brauchte M83-Mastermind Anthony Gonzalez nicht für DEN Song auf seiner jüngsten Veröffentlichung „Hurry Up, We’re Dreaming“.

Hall- und Hit-Faktor von „Midnight City“ schmeicheln allerdings nicht jedermanns Gehör. Andreas Borcholte jedenfalls stellte sich bei seiner Besprechung des Songs für Spiegel Online die Band The Killers im Flugzeughangar vor – eine Imagination, deren Niederschrift er ein „leider“ vorausschickte. Und ob der folgende Herr das extrem eingängige Synthie-Riff von „Midnight City“ aus purer Begeisterung nachkreischt…?

Sei’s drum, das Konzert im Gretchen ist ausverkauft. Es ist erst das zweite in Berlin, und der Rahmen ist diesmal deutlich kleiner – 2009 sind M83 noch im Olympiastadion aufgetreten. Aber Anthony Gonzalez hat ja im ROLLING STONE-Interview verkündet, dass er nicht mehr scharf darauf sei, im Vorprogramm zu spielen – und 2009 war er halt noch im Gepäck von Depeche Mode unterwegs.

Diesmal also als Hauptattraktion: 22.15 Uhr beginnen M83 mit dem Intro ihres aktuellen Albums, auf dem sich alles um Träume, Kindheit und Reisen durchs Weltall dreht. Zudem ist der Name M83 ja, wie wir dank Wikipedia wissen, die Abkürzung für eine Spiralgalaxie im Sternbild Wasserschlange. Dementsprechend ist der Bühnenhintergrund mit einem Sternenhimmel aus kleinen Lämpchen versehen. Dazu stehen auf der Bühne diverse leuchtende und blinkende Dekorationen.

Gonzalez und seine Mitstreiter sind die meiste Zeit nur als Silhouetten im Kunstlicht-Nebel sichtbar. Für Konzerte wird aus dem Projekt des in Los Angeles lebenden Franzosen eine Band: mit Schlagzeuger, Bassist und einer singenden Keyboarderin, die sich zwischen den Songs in den Haaren rumspielt und aus deren stylish zerschlissenem Oberteil (das muss wahrscheinlich so) hinten der BH rauslugt. Gonzalez singt, spielt Gitarre und dreht Knöpfchen an elektronischen Geräten.

M83 starten ihre musikalische Reise mit „Teen Angst“ und „Kim & Jessie“. „Reunion“ ist dann das erste aktuelle Stück im Set. Immer wieder werden Passagen im Vergleich zu den Studio-Versionen gestreckt, variiert, mit Effekten aufgeladen. Klangflächen werden angehaucht, Melodiefetzen drübergerubbelt; Shoegazing trifft auf Dream Pop und wird plötzlich von stampfenden Tanztempel-Beats abgelöst. Leider versinken einige Details im Klangbrei. Besonders wenn die Kompositionen anschwellen, entwickelt sich manchmal ein rauschender und zischender Strudel, der alles mitreißt und auf dem Höhepunkt nur noch Lärm ist. Das mag bis zu einem gewissen Punkt gewollt sein. Aber wenn die Keyboarderin ins Mikro singt und man ahnt es mehr, als dass man es tatsächlich hört, ist das nur bedingt gekonnt.

„Dü-dü-düdü…“ Da ist er! Spontan aufjaulend begrüßt das Auditorium nach 50 Minuten den Beginn von „Midnight City“. Die Live-Version – ohne Saxophon-Sampel, dafür mit noch mehr Beats’n’Keys – gerät etwas grob und wird im regulären Teil als vorletzter Song überraschend unprominent eingesetzt. Erinnerungswürdiger sind die Zugaben: „Skin Of The Night“ verbreitet Breitwand-Atmosphäre, bevor eine sehr tanzbare Variante von „Couleurs“ bis zum hinteren Bar-Bereich die Zuschauer in Bewegung versetzt. Der Bassist sorgt für die Mitklatscheinlage und Gonzalez ruft „Berlin! Berlin!“. Den Rest des Abends hatte man dagegen auf Publikumsanimation verzichtet, was zur entrückten, leicht unterkühlten Atmosphäre passte. Zum Schluss formen einige Zuschauer über ihren Köpfen Herzen mit den Händen.

Kurz nach 23.20 Uhr ist schon alles vorbei. Nur knapp 70 Minuten also, obwohl Gonzalez auf Songs von drei seiner letzten vier Alben zurückgriff und „Hurry Up…“ sogar ein Doppelalbum ist. 2012 spielen M83 in Hamburg, Köln, München und – Berlin. Dann gerne mehr. Wir sind hier doch nicht im Vorprogramm!

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