Mary Chapin Carpenter treibt der Glaube, daß Countrymusik nicht mehr lokalisierbar ist

Kann es sein, dass einer der größten Country-Stars dieser Dekade aussieht wie die nette Deutschlehrerin aus der Reihenhauszeile gegenüber? Wer Nashville-Glamour will, ist bei Mary Chapin Carpenter an der falschen Adresse. Dafür avancierte sie seit Anfang der 90er Jahre zum Idealfall für alle, die sonst das schlechte Gewissen plagte, wenn sie Country mal gut fanden: Sie schreibt kluge Songs! Sie hat einen College-Abschluss! Sie lebt seit 25 Jahren in Washington, D.C.! Und ihre PR-Bio listet nicht nur Hit-Platten und Grammy-Meriten, sondern auch eine stattliche Bilanz ihrer „social contributions“ für den einen oder anderen guten Zweck. Nach Hymnen wie „He Thinks Hell Keep Her“ kürte sie der US-Autor Bruce Feiler („Dreaming Out Loud“) prompt zum „Sprachrohr für emanzipierte Vorstadt-Frauen“.

Ein Schulterzucken, ein schön herablassendes Lächeln. Dann sagt Carpenter, dass sie „nicht unbedingt eine Vorort-Persönlichkeit“ sei, dass sie „immer wieder an die Wand genagelt worden“ sei als „das Aushängeschild für starke, unabhängige Frauensongs“.

Dass ihr das Klischee stinkt, muss sie nicht mehr betonen; man sieht es ihr an. Tatsächlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sie „He Thinks He’ll Keep Her“ ausgerechnet mit dem bekannten Nashville-Schreiber Don Schlitz verfasste. Sie habe „nie verstanden, dass dieser Song als anti-Mann ausgelegt wurde. Sicher ist die Protagonistin eine Frau, weil das nun mal meine Perspektive ist Aber es kamen ebenso viele Männer zu mit, die das nachvollziehen konnten. Denn es geht nicht speziell um eine Frau, sondern um irgendeine Person, die an einem Ort festhängt, der nicht besonders gesund für sie ist Und viele überhören einfach den Humor, der auch in diesem Song steckt.“

17 Songs wählte Carpenter jüngst für „Party Doll & Other Favorites“ aus, eine Karriere-Zwischenbilanz der etwas anderen Art „Greatest Hits-Platten“, sagt sie, „sind meist austauschbare Wegwerfware zwecks Vertragserfüllung. Ich musste dieses Album nicht machen, ich wollte es machen, schon lange, um verschiedene Enden meiner Karriere an einem Ort zusammenzuknüpfen.“

Kommerziell mag Mary Chapin Carpenters Stern im Sinken begriffen sein, seit die Bauchnabel-Offensive von Shania Twain und Co. Nashville den Restverstand raubte. Statt Triple-Platin (1992 für“Come On Come On“) gab es zuletzt „nur“ noch Gold (1996 für „A Place In The World“). Erstaunlich genug, dass sie überhaupt so weit gekommen ist, wo sie doch allein räumlich immer hübsch auf Distanz blieb zum Country-Establishment. Ihre Platten macht sie mit Stammproduzent John Jennings in Virginia, das Management sitzt in Maryland, Grundeigentümerin in Nashville war sie „etwa fünf Minuten lang“.

Als sich der Flirt mit einem lokalen Lover als emotionaler Flop entpuppte, war das gemeinsame Nest ebenso schnell verkauft, wie sie es erworben hatte. „Es spielt doch gar keine Rolle mehr, wo du heute lebst“, sagt Carpenter, der Emmylou Harris ein „leuchtendes Vorbild“ ist, wenn es darum geht, in diesem Geschäft in Würde zu altern. „Ich fliege ein paar Mal im Jahr nach Nashville, um geschäftliche Dinge zu regeln, ein paar Co-Writing-Sessions beispielsweise. Das war’s dann aber auch schon. Ich könnte genauso gut in Tahiti leben, es würde gar keine Rolle spielen.

Country ist heute einfach kein hermetisch abgeriegelter Club mehr, den nur hemdsärmlige Burschen aus dem ländlichen Süden ohne College-Abschluss betreten dürfen. Dieses alte Stereotyp hat ein für alle Mal seine Schuldigkeit getan.“

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