„Meine Texte entstehen ja erst beim Singen“

EBEN NOCH HAT STUART A. Staples mit seiner Partnerin Suzanne Osborne für die gemeinsame Ausstellung „Singing Skies“ in einer Berliner Galerie Ölbilder aufgehängt – nun sitzt mir der gut gekleidete Riese in einem Café gegenüber und erweist sich als erstaunlich relaxter, zu Scherzen aufgelegter Gesprächspartner. Selbst die Attacken zahlreich herabstoßender Wespen stören ihn nicht: Mit ruhiger, bernsteinfarbener Stimme sinniert er über das 20-jährige Bestehen der wunderbaren Tindersticks und erklärt, warum sich auf ihrem neuen Album „Across Six Leap Years“ kein einziger neuer Song befindet.

Ihr Bandkollege David Boulter sagt über das neue Album, die Lieder fühlten sich an, als wären sie Coverversionen. Woher kam die Idee, eine Platte mit überarbeiteten Versionen alter Tindersticks-Songs aufzunehmen?

Wir näherten uns unserem 20-jährigen Band-Jubiläum, und da ist es ja nur logisch, dass man darüber nachdenkt, wie man so eine Sache angemessen begehen soll. (lacht) Eine gewöhnliche Best-of-Compilation wäre uns auf jeden Fall zu langweilig vorgekommen.

Haben Sie viel darüber diskutiert, welcher Song noch einmal neu interpretiert werden sollte?

Wir sprachen eher über die generelle Herangehensweise als über die Songauswahl. Es sollten keine „besseren“ Versionen entstehen, es ging uns darum, zu zeigen, was für eine Band wir heute sind und dass wir bestimmten Liedern erst jetzt gerecht werden können. „Marseilles Sunshine“ (von Staples‘ Soloalbum „Lucky Dog Recordings 03-04“ – die Red.) sollte zum Beispiel schon immer ein orchestraler Track sein, aber zur Zeit seiner Entstehung hatte ich erst einmal genug von Orchestern. Damals wollte ich einfach in meiner Garage sitzen und mit Keyboards rumspielen. Oder die beiden Stücke vom Album „Simple Pleasure“ – es waren schon immer gute Songs, aber in der Rückschau hört man doch, wie verzweifelt wir damals versuchten, locker und gelöst zu klingen. (lacht) „Simple Pleasure“ war trotzdem wichtig für uns. Nach den ersten drei Alben brauchten wir 1999 einfach die Gewissheit, dass wir uns ändern und neu beginnen können.

War das Ziel, diese Gelöstheit wiederzufinden, auch ein Hintergedanke bei Ihren Soloalben?

Bei meinem ersten Soloalbum wollte ich einfach alleine im Studio sein und sehen, was passiert. Davor ging es mit der Band oft zu sehr um Details, die ja doch nur wir selbst hören konnten – sechs Musiker, die vor sich hinstarrten; es machte einen verrückt!

Ist das Kapitel der Soloalben für Sie nun abgeschlossen?

Sie wären keine große Sache mehr. Damals war es brutal, mich von der Band zu entfernen und etwas Eigenes zu machen – das ist es heute nicht mehr.

Für den Bildband zur Ausstellung „Singing Skies“ haben Sie das erste Mal seit langer Zeit Ihre Songtexte niedergeschrieben. Wie fühlte sich das an?

Zur Zeit von „The Hungry Saw“ (2008) habe ich schon einmal versucht, meine Texte aufzuschreiben, aber es kam mir schnell wie keine gute Idee mehr vor. Schriftarten, Interpunktion, Computerbearbeitung -all diese Dinge wollte ich immer von der Musik fernhalten. Meine Texte entstehen ja während des Singens; sie auf Papier zu bringen fühlte sich wie ein Experiment an, und ich musste erst die richtige Herangehensweise finden. Anfangs machte ich zum Beispiel immer dort ein Komma, wo ich beim Singen eine Pause gemacht oder tief eingeatmet hätte. Nur um später festzustellen, dass das Ganze so überhaupt keinen Sinn mehr ergab. (lacht)

Fühlen Sie sich neben der Musik nun auch in anderen Künsten zu Hause?

Ich denke, wenn man so lange mit einer Malerin zusammenlebt, beeinflusst das, wie man die Dinge sieht. Seit ich Suzanne kenne, erzählt sie davon, wie ihr das denkende Bewusstsein beim Malen abhandenkommt. Und das passiert auch, wenn man Musik macht. Ich denke, man muss in allen Künsten versuchen, sein Bewusstsein ein Stück weit aufzugeben, damit ein kreativer Fluss entstehen kann.

Verlieren Sie Ihr denkendes Bewusstsein auch auf der Bühne bei Konzerten?

Da funktioniert es besonders gut. In manchen Momenten fallen die Barrieren, es gibt nicht mehr „die Bühne hier“ und „das Publikum da“ – es geht dann vielmehr um eine Gemeinschaft von Leuten, die zusammen etwas schafft. Wenn du bewusst bist und dir klar ist, was du da gerade tust, ist es auch okay -aber das ist nicht, wonach ich auf der Bühne strebe. Ich versuche, mich zu verlieren, eine höhere Ebene zu erreichen.

Würden Sie dieses Gefühl als eine Art von „Transzendenz“ beschreiben?

Ja, vielleicht. Wenn nur das Wort nicht so schrecklich klingen würde. (lacht)

Was können wir von der Jubiläumstour im Herbst erwarten?

Wir möchten die Chance nutzen, um mit alten Weggefährten zum ersten Mal gemeinsam aufzutreten. Außerdem möchten wir zwei getrennte Sets spielen, etwas, das wir nie zuvor getan haben. Mit vielen Songs der letzten 20 Jahre. Es werden dann auch etwas längere Konzerte sein, wir sind dann sozusagen unsere eigene Vorgruppe.

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