Mit Alter kommt Reife

Früher hat PJ Harvey Interpretationen ihrer abstrakten Texte jedem selbst überlassen. Mit ihrem neuen Album zeigt sie sich wesentlich zugänglicher

Polly Jean Harvey ist wieder da. In Vergessenheit geraten war die 30jährige, so gern als „schwierig“ titulierte Sängerin aus Dorset zwar nicht. Dennoch waren ihre beiden letzten Arbeiten, eine Kollaboration mit ihrem alten Weggefährten aus Automatic Dlamini-Tagen, John Parish, „Dance Hall At Louse Point“, (1996) sowie das Studioalbum „Is This Desire?“ (1998) selbst für langjährige PJ Harvey-Anhänger nicht so leicht zu verdauen.

„Die beiden letzten Alben waren sehr hart und düster“, gesteht Harvey ein, „ich fand es selbst schwierig, sie mir anzuhören, doch sie mussten gemacht werden. Die Atmosphäre dieser Platten entstand größtenteils durch die Sound-Experimente, wobei ich diesmal wieder zu einem simplen, direkten Songwriting zurück wollte.“ Nun, das Kind hört auf den Namen „Stories From The City, Stories From The Sea“ und Polly hat sich dazu entschlossen, wieder Interviews zu geben, während derer sie so gut gelaunt ist, dass man schwerlich glauben kann, dass sie auch heuer wieder für Sentenzen wie „I’m immortal when I’m with you / but I want a pistol in my hand“ („Big Exit“) zuständig ist. Sprechen möchte Polly über ihre Texte allerdings immer noch nicht, auch wenn sie weiß, dass eben diese seit ihren ganz frühen Songs wie „Hook“ oder „Dress“ auf besonderes Interesse stoßen. Einen gewissen Teil seiner Persönlichkeit müsse man einfach „ganz für sich allein“ haben, und die Interpretationen der früher oft sehr abstrakten Texte Harveys seien, man ahnt’s schon, jedem selbst überlassen“.

Lachend rät die Harvey, die Fragen über ihre Texte einfach alle zu vergessen. Recht hat sie, bietet das in nur fünf Wochen in der Dreier-Besetzung Polly Jean Harvey/Mick Harvey/Rob EUis eingespielte und wieder deutlich zugänglichere neue Dutzend an Songs doch genug anderen Gesprächsstoff. Als da wäre: Ein formvollendetes Duett mit Radiohead-Sänger Thom Yorke, passend mit „This Mess We’re In“ betitelt „Bei diesem Song habe ich, als ich ihn schrieb, an Thom gedacht und daran, dass er ihn unbedingt singen muss. Ihm gefiel dieser Titel dann auch, und so sangen ihn gemeinsam ein. Zuvor standen wir zwar schon in Briefkontakt, aber im Studio trafen wir uns dann das erste Mal. Mittlerweile sind wir beide gute Freunde.“

„Stories From The City, Stories From The Sea“ ist tatsächlich Harveys bestes Werk seit dem formidablen 1995er-Opus „To Bring You My Love“, dessen verstörende Wirkung man noch gut in Erinnerung haben dürfte. Diese Gefilde aber hat Polly längst verlassen: „Ich hätte an gewissen Neigungen zur Selbstzerstörung leicht zerbrechen können, doch heute bin ich älter und vermeide solche Situationen einfach.“ Stattdessen hat sie sich während eines New York-Aufenthalts im letzten Jahr einen Marianne Faithfull-Auftritt angesehen, der sie „zutiefst beeindruckt“ hat: „Diese Stärke. Sie brauchte sich nicht einmal zu bewegen, die Leute waren einfach von ihr gefangen.“

In den Achtzigern hörte Polly Spandau Ballet, Duran Duran und Tears For Fears. Heutzutage sitzt sie vielleicht zu „Broken English“ an neuen Gedichten, die sie nun verstärkt verfassen möchte. Manchmal merkt man schon am sich geänderten Musikgeschmack, dass man reifer geworden sein muss.

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