WM-Blog

Müde Hipster gegen blonde Recken – wie knacken wir den Schwedenriegel?

Die deutsche Elf ist gegen Mexiko so aufgetreten wie der FC Bayern vor dem Halbfinale gegen Madrid - und vor dem Pokalfinale. Sorgen die Niederlagen des Bundesliga-Champions nun auch für den Rückschwung von Jogis Jungs?

„Wir werden uns nicht mit Platz zwei zufrieden geben!“
Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident

„Im Finale 2006 haben die Italiener manchmal ganz schnell weiter gespielt. Aber mit welchem Erfolg? Null. Diese reine Zahlenlogik ist absurd. Wie viele Duelle verliert Zidane in so einem Spiel, aber wenn er im entscheidenden Moment Erfolg hat, wie bei der WM im Viertelfinale gegen Brasilien, reicht das aus.“
Harun Farocki, Filmregisseur

„Das Mexiko-Spiel hat ein Gutes: Es war so schlecht, dass man es nicht mehr schönreden kann.“
Marcel Reif

„Gelb und Blau schmückt die Sau“ hieß es ja mal früher in der Tanzstunde. Für das heutige Duell Deutschlands gegen Schweden führte der Sinnspruch nicht weit. Schon vor dem Spiel wird man die Hymne der Schweden hören, die wie ein protestantisches Kirchenlied klingt, und in frischgewaschene, saubere, inbrünstig laut mitsingende Spieler und den Trainerstab mit seinen Lehrergesichtern sehen. Sofort werden innere Bilder in einem aufsteigen, die an einen nichtexistierenden Bergman-Film erinnern, in dem Frauen, die wie Liv Ullmann aussehen, Spitzenhäubchen aufhaben, und pazifistische Sinnsprüche aufsagen.
Dieser friedfertige Eindruck könnte in die Irre führen.

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1958 gewannen die Schweden zum letzten Mal ihr Auftaktspiel einer WM, vor dem vergangenen Montag, als die Skandinavier Südkorea mit 1-0 schlugen, und das nur mit Hilfe eines Foulelfmeters. Seinerzeit war es ganz anders, man gewann mit 3-0 und das ist schon deswegen bemerkenswert, weil der Gegner der Schweden ausgerechnet Mexiko hieß. Andererseits fand die Weltmeisterschaft in diesem Jahr in Schweden statt, die blaugelben Kicker hatten also den Heimvorteil und eine ähnliche Euphoriewelle auf ihrer Seite, wie gerade die Russen.

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An 1958 müssen aber Samstag aus einem anderen Grund erinnern: Damals und zwar fast auf den Tag genau vor 60 Jahren, am 24. Juni 1958 spielten die Schweden nämlich auch gegen Deutschland. Und es war ein Spiel das Folgen hatte: Das WM-Halbfinale endete mit einer Niederlage und dem Ausscheiden des amtierenden Weltmeisters, und es ging als „die Hölle von Göteborg“ oder „Schlacht von Göteborg“ höchst martialisch in die bundesdeutsche Fußballgeschichte ein. Nach der „Wir-sind-wieder-wer“-WM von 1954 war ’58 ein Rückschlag, ein Moment in dem die niederen Instinkte der deutschen Nachkriegsseele und das beträchtliche aggressive Potential des deutschen Fußball-Patriotismus zum Vorschein kamen. Erst 13 Jahre nach Weltkrieg und Völkermord waren die Schweden nämlich etwas weniger gut auf Deutschland zu sprechen, als vier Jahre zuvor die netten Schweizer.

Die Atmosphäre im Göteborger Ullevi-Stadion war überaus aufgeheizt, schwedische Einpeitscher skandierten mit Megaphonen fortwährend „Heja, Sverige“. Die Deutschen fühlten sich dagegen mal wieder ungerecht behandelt, zumal der Schiedsrichter aus Ungarn kam, dem unterlegenen Gegner des Finales von ’54, und dieser – sehr verdient – beim Stand von 1-1 den deutschen Verteidiger Juskoviak vom Platz stellte. Die Deutschen verloren 1-3 und, empört über die Skandinavier und das Unrecht, das ihnen vermeintlich widerfahren war, die Contenance: Die „Saar-Zeitung“ schrieb: „Das offizielle Schweden hat hämisch genießend zugelassen, dass rund 40 000 Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale oder völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, den Hass über uns auskübelte, der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt. Es ist der Hass eines Volkes, dem man das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen Säufern würde.“

Kollektiv nahm Deutschland in einer antischwedischen Welle Rache: Schwedische Autofahrer bekamen an deutschen Tankstellen kein Benzin, Autoreifen wurden zu hunderten aufgeschlitzt, sogar die Huren auf St. Pauli malten auf Pappschilder „Schweden unerwünscht“, und in Restaurants wurde die beliebte „Schwedenplatte“ von den Speisekarten gestrichen – wobei letzteres die deutsche Esskultur vielleicht sogar weitergebracht hat: „Schwedenplatten“ bestehen aus gebutterten Weißbrotscheiben mit Salatblättern, Ei, Lachs mit Zwiebelringen, Forellenmus mit falschem Kaviar, Krabben in Cocktailsoße, Matjes mit Ananasecken, Forelle mit „Tomatenreiter“, Sahnemeerrettich und Oliven.

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Es dauerte Jahre, bis die deutsch-schwedischen Beziehungen wieder unbelastet waren. Ganz wesentlich dazu bei trug eine bewußte Kulturoffensive durch die schwedische Botschaft in Bonn. Botschafter Ole Jödahl argumentierte, bei jüngeren Deutschen müsse man „das Bild Schwedens als eines modernen Industrielandes verbreiten“. Mehr Filme und mehr Literatur aus Schweden sollten in Deutschland bekannt werden. So eroberte Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga die deutschen Kinderzimmer, Abba die Teens in der DIsco und Ikea besiegte den Gelsenkircher Barock. Schwedische Fußballspieler spielten in der Bundesliga,

Es gab auch in späteren Jahren immer wieder erinnerungswerte K.O.-Duelle gegen Schweden: An das 4-2 während der WM 1974 muss man hier ebenso erinnern, wie an das 2-0 im Achtelfinale des „Sommermärchens“ 2006. Podolski hatte bereits nach 12 Minuten mit zwei Toren den Endstand hergestellt. Aber es gab auch mindestens ein Spiel, dass zeugt, welche Gefahr von den Schweden drohen kann: Das 4-4 nach 4-0 Führung in der WM-Qualifikation 2012 vor drei Jahren ist in Erinnerung – ein Deaster, bei dem immerhin sechs Spieler in der Mannschaft waren, die auch Samstagabend mitspielen werden: Unter anderem „Unantastbare“ wie der heilige Manuel Neuer und der engelsgleiche Marco Reus.

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Wie werden die Schweden Samstag spielen? Mit zwei bleiern Vierer-Abwehrriegeln werden sie das Unentschieden halten wollen und darauf setzen, dass die Deutschen, die einen Sieg brauchen im Laufe der Zeit nervös werden und fehleranfällig.
Können sie von den Mexikanern lernen, die immerhin vorgemacht haben, wie es geht? Eher nicht. Schweden hat keine schnellen Konterspieler und auch keinen der den deutschen Mittelfeld-Strategen Kroos in Manndeckung nehmen könnte.

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Und die Deutschen? Allzu optimistisch darf man trotzdem nicht sein. Es geht mit der Sprache los: Hört man die deutschen Spieler in Interviews, dann reden sie nicht vom gewinnen, sondern im Stil eines CDU-Sprechers davon, „die Arbeit erfolgreich zu gestalten.“

In den letzten Spielen ist die Mannschaft erkennbar unabgestimmt aufgetreten, ohne Matchplan, und die Fähigkeit einen Plan B zu entwickeln, falls das Spiel nicht läuft, und ohne die Fähigkeit zum direkten Spiel nach vorn. Es gibt keine erkennbare Kommunikation in der Mannschaft.
Wichtig wird vor allem sein, dass es Samstag nicht wieder ein blutleerer Auftritt wird, und dass die Deutschen ihrer Abwehr mehr Stabilität verleihen. Und dass Deutschland gelegentlich auch mit der Brechstange angreift, in der Lage ist ein Powerplay vor dem schwedischen Strafraum zu veranstalten.

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Allerdings hat sich Jogi Löw sich gegen Mexiko vercoached. Er hat weder mit dem mexikanischen Konterspiel gerechnet, noch damit, das ein Gegner Toni Kroos auch mal in Manndeckung nehmen könnte. Löw ist zu feige in seinen Aufstellungen und wenn es schlecht läuft, zu spät mutig.
Wird er diesmal den Mut haben, ein 4-6-0-System zu spielen, eine Kopie der großen Phase der Spanier mit Özil, Reus, Müller und Draxler (den beiden letzteren vor allem, weil keine besseren Spieler mitgenommen wurden).

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„Die DNA ist entschlüsselt“ sagte Olli Kahn im ZDF. Die deutsche Taktik sei nicht flexibel genug, sondern „leicht auszurechnen“.
Aber um was für eine DNA handelt es sich? Ist es womöglich das Bayern-Gen, das hier für den Misserfolg verantwortlich ist? In der derzeitigen Nationalmannschaft gibt es ein Bayern-Übergewicht wie lange nicht. Aber es sind alternde Stars, müde und satt: Thomas Müller, Mats Hummels, Jerome Boateng, Manuel Neuer, Toni Kroos noch am wenigsten.

Die deutsche Elf ist gegen Mexiko so aufgetreten wie der FC Bayern vor dem Halbfinale gegen Madrid, und vor dem Pokalfinale.

Das Bayern-Gen zeigt sich äußerlich vor allem an der diffusen Ratlosigkeit aller Seiten, der Unfähigkeit, überhaupt fassen zu können, dass man wieder nicht gewonnen hatte, obwohl man auf Siege und Titel doch ein gottgegebenes Recht zu haben scheint.
Das Bayern-Gen ist ein Arroganz-Gen. Bei der Nationalmannschaft ist es die Arroganz des „wenn es losgeht, dann sind wir da.“

Es gibt zu viele Spieler des FC Bayern in der DFB-Mannschaft. Nicht weil einer von ihnen schlecht wäre, „an sich“ schlecht. Nein. Aber weil auch keiner von ihnen in der Lage ist über sich hinauszuwachsen. Weil keiner von ihnen das Charisma des Sieges, des absoluten Glaubens an den Erfolg in sich trägt. Nicht mehr. Zu schlecht, und zu vielfältig schlecht und zu wiederholt schlecht waren die Erfahrungen der letzten Jahre gewesen. Nicht nur die letzte Saison.

Misserfolge in der Championsleague, zuletzt das Desaster im Pokalfinale – sie alle haben sich in die Glieder und Gesichter, und vor allem in die Gemüter einiger Spieler eingeschrieben. Sie sind nicht schlecht. Aber sie sind auch nicht so gut, wie sie sein könnten, und das spüren sie. Sie selbst vor allem. Das Bayern-Gen ist zum Zweifel- und Verlierer-Gen geworden. Sie ahnen, dass es nicht klappen wird, sie glauben nicht unumstößlich an sich.
Das Bayern-Gen ist zur Zeit ein Loser-Gen.

Das Bayern-Gen ist aber auch ein Rabauken-Gen. Wieviel CSU steckt im FC Bayern und damit in der deutschen Nationalmannschaft? Samstagabend werden wir es sehen: Die CSU ist zur Zeit, ähnlich wie die deutsche Mannschaft von Unsicherheit beherrscht. Die CSU scheint darauf mit Aggression zu reagieren, die DFB-Elf bisher nur mit Medien-Boykott.

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Wenn am Samstagabend die müden deutschen Hipster gegen 11 blonde Recken antreten, denen Historisches gelingen kann,. und die das wissen, dann brauchen sie mehr Glück als Verstand. Einstweilen spielen sie wie die perfekten Repräsentanten eines verunsicherten Landes.

Es wird ein verkrampftes Gekicke werden, Rumpelfußball mit einem knappen deutschen Sieg am Ende, etwas so vergnüglich wie eine Schwedenplatte. Wenn es anders kommt, dann folgt, was früher oder später sowieso folgen muss: Jogidämmerung. Samstagabend werden sich ein paar Dinge entscheiden.

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