NATALIE MERCHANT – Interview

Nach dem Ende der lOOOO Maniacs und ihrem ersten Soloalbum „Tigerlily“ präsentiert Natalie Merchant auf dem zweiten Werk „Ophelia“ ihre romantisch-geheimnisvolle Seite und zeigt dabei überraschend viel Humor. Neben der Tourchefin Sarah Mc-Lachlan war sie die Attraktion des diesjährigen „Lilith Fair“-Festivals.

Vor Erscheinen Deines neuen Albums warst Du bei Billy Braggs Guthrie-Projekt zu hören, und Du wirst generell gerne ins Studio oder auf Benefizbühnen gebeten. Weißt Du warum?

Es erstaunt mich selbst immer wieder. Ich halte mich nämlich nicht für eine besonders gute Sängerin. Ich habe auch keine besondere Stimme. Oft rutsche ich in falsche Tonarten, weil ich auf der Bühne so schrecklich gern tanze. Aber das Opfer muß ich wohl bringen.

Für eine ausgezeichnete Schwimmerin, wie Du es ja bist, klingt es widersprüchlich, ein Album ausgerechnet nach „Ophelia“ zu benennen, dieser tragischen Figur der Literatur, die sich vor Kummer ertränkte.

Ich kann mit wachsender Begeisterung stundenlang schwimmen. Wasser ist mein Element. Am liebsten hätte ich überall einen Pool, auch Backstage. Und ich träume immer davon, mal im Ozean zu schwimmen, aber Steven Spielberg hat mir – wie vielen anderen – mit seinem weißen Hai auf ewig die Lust dazu genommen.

Du engagierst Dich sehr für die Umwelt, bist Mitglied beim „Humanistic Reform Movement“: Fließt das auch in Deine Musik ein?

Es lohnt sich immer, Menschen für Umweltthemen zu sensibilisieren. Natürlich versuche ich das auch mit manchen Songs. Um die Natur zu verteidigen, muß man sie aber erst mal kennenlernen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten 45 Prozent der Amerikaner auf dem Land, heute sind es noch drei Prozent. Und von denen arbeitet kaum einer noch auf Farmen. Das sind ja keine Bauernhöfe mehr, eher agrarindustrielle Komplexe. Städter wissen gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, von der Sonne geweckt zu werden, frische Luft zu atmen, Vogelstimmen zu hören: ‚Wenn ein Baum stirbt – was soll’s!‘ Ich habe in einem Naturkunde-Museum mal die Scheibe eines 2000 Jahre alten Baumes gesehen. Dessen Ringe waren mit historischen Daten markiert. In der Mitte stand: Jesu Geburt. Und sowas wird einfach abgeholzt.

Und die Rentner aus New Jersey ziehen nach Florida, weil sie im schönen Wetter Heizkosten sparen; und wird es zu heiß, schalten sie in ihren Wohnmobilen die Klima-Anlage ein.

Nicht nur das: Sie brauchen für ihre Wohnmobile keine Grund- und Bodensteuer zu zahlen, obwohl die Dinger dort fest plaziert sind. In den USA wird aber das Schulsystem durch diese Steuer finanziert. Also gibt es in Florida die schlechtesten Schulen und die höchste Rate bei der Jugendkriminalität Und die Alten spielen Golf.

Hast Du Deine detaillierten Kenntnisse als langjährige Abonnentin der Zeitschrift „The Nation“ erhalten?

Und aus dem „Progressive“. „The Nation“ ist seit 130 Jahren ein traditionell linksorientiertes Magazin mit historisch wichtigen Informationen. Für viele war sie während der McCarthyÄra eine lebensnotwendige Informationsquelle. Ich dadurch habe sehr viel über Amerika begriffen. Ich bin nicht lange zur Schule gegangen. Meine Bildung habe ich selbst nachgeholt.

Trotz engagierter Texte und trauriger Themen sind Deine Songs zwar melancholisch, aber leicht, ja fest heiter. Mußt Du den Inhalt süß verpacken?

Ich mache das auch für mich, um die Dinge des Lebens zu akzeptieren, die vielleicht eher abstoßend, eklig sind. Leid, Überlebenskampf- all das darf man nicht ignorieren. Vielleicht hängt das auch mit dem Älterwerden zusammen. In 15 Jahren bin ich 50. Hilfe, ich fange am besten gleich an, heftig zu leben! Meine Mutter kann erst heute ihr Leben richtig genießen. Sie hatte mit 21 drei kleine Kinder und war natürlich ständig überfordert. Ich wußte früher nie, warum ausgerechnet unsere Mami immer so fertig war. Ich schaffe es heute gerade, als Künstlerin meinen Ansprüchen zu genügen. Mit drei kleinen Kindern wäre das unmöglich. Ich hätte nie Musik machen können.

Du hast „Ophelia“ dem verstorbenen Alan Ginsberg gewidmet, einem Buddhisten, der sich wie Du für Tibet einsetzte. Bist Du religiös?

Ich traf ihn auf einer tibetanischen Veranstaltung, ein wunderbarer Mann. Trotz seiner Krankheit immer engagiert und wach. Er stand für alles, was Revolutionen in Amerika an Gutem bewirkt haben. Aber ich folge keiner einzigen Religion, ich will nur viel lernen. Ich bin, was ich bin: weiß, Mittelklasse mit einem Schuß heißblütiger Sizilianerin und einem introvertierten, reservierten Teil aus Neu-England. Ich brauche keinen Cocktailparty-Buddhismus, weil das gerade so in ist. Und ich suche auch keinen Guru.

Durch Deine neuen Songs ziehen sich fünf Kunstfiguren verschiedener Frauentypen: die russische Artistin, die spanische Nonne, die amerikanische Sufragette, die deutsche Turnerin, die italienische Mafia-Schlampe. Dazu ein entsprechendes Video. Ich finde Dich als Nonne und Schlampe am besten. Und Du?

(Lacht, spricht fuchtelnd italienisch) ‚Journalisti americani sono stupidi, Madonna!“ Das haben wir aus dem Film rausgeschnitten, haha…

Du betonst stets moralische Werte wie Treue, Güte, Ehrlichkeit. Bist Du altmodisch?

Ich respektiere die Tradition. Werte ändern sich ständig. In diesem Land war es mal normal, Sklaven zu halten. Musikalisch bin ich auch Traditionalist lieber echte Instrumente statt Computer. Ich liebe die Leidenschaft, mit der Menschen ein Instrument lernen und spielen. Ich erfinde mit meiner Musik sicher nicht das Rad neu. Aber innerhalb der Struktur westlicher Popmusik kann man weiterhin Originalität beweisen. Ich will die Leute emotional berühren. Leute wollen wieder Authentizität keine ironische Qeverness. Und ich liefere ihnen dieses Handwerk.

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