Neil Young erzählt in seinem schnurrigen neuen Song-Zyklus von einer ganz normalen Familie in der Provinz und dem Terror der bösen Medien-Mächte

MÜNCHEN, PHILHARMONIE. Eben verfolgte er auf den Schwingen einer Taube noch den Satan, jetzt sorgt er sich um das amerikanische Idyll. Onkel Neil, der etwas verschrobene Verwandte mit der Modelleisenbahn-Grille, bringt uns seine Gutenachtgeschichte „Greendale“ (bald auch als Platte, als Film gar und wer „Human Highway“ kennt, der ahnt, was das bedeutet) ins alte Europa. Aufrecht, mit Jackett über dem T-Shirt, stakst er auf die viel zu große Bühne und staunt über den Philharmonie-Saal: „It’s a good place. Wonderful.“ Umständlich appliziert er die Mundharmonika an der Halterung, stöpselt die Gitarre ein und beginnt gedehnt zu erzählen.

Ybn Vater und Mutter Green, dem „double E“, gutmütigen Menschen auf dem Lande. Daddy malt psychedelische Gemälde und hat noch nie eines verkauft. Es gibt auch einen Fischer in dem Hecken, einen Polizisten sogar, der allerdings von Sohn Green erschossen wird, weiß nicht mehr, wieso. Oma und Opa Green werden in ihrem Retiro gestört, als die Medienmeute in Greendale einfällt. Immerzu kreisen Helikopter über dem Örtchen, Opa wird auf der Veranda von einer Herzattacke dahingerafft, nicht ohne es dem Gesindel mit seiner Schrotflinte gezeigt zu haben. Für die Witwe spielt Neu auf dem großen Harmonium einen Hymnus. Dann setzt er sich wieder auf den Schemel, stöpselt die Gitarre ein und erzählt und erzählt Die Texte stehen auf Blättern, die er zwar nicht brauche, so Onkel Neil verlegen, als ein Wisch vom Stuhl heruntersegelt, aber die Worte habe er erst zu den fertigen Instrumentals geschrieben, und ohne diese Krücke sei er nervös. Sein Vater habe viele Bücher geschrieben. Und, wow!, nun floss auch dem Sohn plötzlich Wort um Wort aufs Papier und schließlich, für die Plattenaufnahme, in den Computer. Thoreau ist es nicht. Aber ein echter Neil Young.

Nur der Kautabak fehlt, wenn er überdeutlich und langsam die bescheidene Fabel ausbreitet und ohne das manierierte Falsett und schlamperte Intonation singt. Von „love and affection“ natürlich, von Großmuttern, die auf ihrem Feld die Worte „no war“ anpflanzt, sodass man die frohe Botschaft aus dem Flugzeug bestaunen kann, von der 104-jährigen Urgroßmama, die der Tochter ein Süpplein kocht „Mother earth“ gilt es mal wieder zu bewahren. Onkel Neil glaubt das alles wirklich, und es ist allein seine Autorität, die dieses fromme Kinderlehrstück in eine Art Folklore ohne Tradition verwandelt In den Songs hört man Echos von „Harvest Moon“ und „Silver And Gold“, vor allem aber sind die Stücke Fortschreibungen von „Crime In The City, Part 1“, nur ohne Stadt. Am Ende der Lesung bellt Onkel Neil zum emotionalen Höhepunkt in ein Megafon, um die Natur und die Existenz zu feiern.

In der Pause glaubt man Oma Green am Getränkestand zu erkennen.

Hernach schleicht Onkel Neil wieder zu seinem Schemel, schlägt „Lotta Love“ an, wechselt für „Expecting To Fly“, den schönsten Song des Abends, zum Flügel, gibt „Don’t Let It Bring You Down“, „Old Man“ und am Klimperklavier schließlich doch „After The Goldrush“. Zugabe „War Of Man“. Für, jawohl, „Heart Of Gold“ kehrt er zurück, winkt drei Mal, geht schlendernd ab. Dieser Mann hat keine Eile mehr.

Und war es die 100 Euro wert? Was ist schon Geld.

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