Neil Young inseriert: Junge Metzger zum Mitreisen gesucht

Unser Kolumnist Eric Pfeil war zum ersten Mal in seinem Leben auf einem Neil-Young-Konzert. Sein persönlicher Höhepunkt des Abends: Neil Young band sich den Schuh zu!


Eric Pfeils Pop-Tagebuch, neue Folge 9

Ursprünglich sollte dieser Text davon handeln, wie ich einmal von Pfeilen durchbohrt an einer Felsnase über dem Grand Canyon hing. Da ich aber partout keinen musikalischen Bezug in den Text bekam, musste ich ihn verwerfen und schreibe stattdessen nun einfach über Neil Young. Denn es ist ja so: Immer wieder im Leben sollte ein halbwegs gut durchbluteter Mensch etwas tun, was er noch nie zuvor getan hat. Da gibt es ja bei genauerem Nachgrübeln mehr als man zunächst annehmen sollte. Ich für meinen Teil war noch nie beim Bungee-Jumping oder in der Sauna. Auch habe ich noch nie von Pfeilen durchbohrt an einer Felsnase über dem Grand Canyon gehangen. Und ich war eben noch nie auf einem Neil Young-Konzert.

Ich gestehe jetzt einfach mal: Neil Young hat mir, so sehr ich viele seiner Songs und Alben schätze, nie sonderlich viel bedeutet. Das mag daran liegen, dass ich als großer Bob-Dylan-Fan bevorzugt an dessen Altar knie und man als Jünger des Mannes aus Duluth mit allen anderen Songschreibern zwangsläufig einfach ein bisschen streng ist. Mir war Young auch oft zu unverhohlen hippiehaft, kitschig, patriotisch, dudelig, indianisch, wasauchimmer. Trotzdem: Als vor einigen Monaten eine Tournee von Neil Young & Crazy Horse angekündigt wurde, erstand ich sogleich teure Tickets für die Holde und mich und machte mich am vergangenen Freitag auf zum Konzert. Einfach mal Neil Young gesehen haben.

Doch wie unzureichend war ich auf das vorbereitet, was dann kam. Young lieferte nämlich mit seinen drei verrückten Hühnern, pardon: Pferden ein Konzert ab, das ich ganz weit oben in meiner persönlichen Bestenliste einzuordnen geneigt bin. (Einschub: Die im musikschreiberischen Kontext häufig – und soeben auch von mir selbst – verwendete Formulierung „lieferte ab“ ist eklig und träge, weitaus mehr noch als die häufig im Zusammenhang mit Albumveröffentlichungen zum Einsatz gebrachte Wendung „Soundso legt neues Material vor“. Ende des Einschubs).

Der Spaß begann schon beim Bühnenaufbau. „Guck mal, Neil Young hat sogar einen eigenen Metzger dabei“, raunte ich der Holden zu, als plötzlich ein weißbekittelter Zausel über die Bühne latschte. Doch wie sehr ich mich täuschte: Bald waren es etliche in weiße Mäntel gewickelte Zausel, die da herumliefen, zunehmend hektisch gestikulierten und auf albernste Art und Weise vorgaben, miteinander in Streit zu geraten. Und es waren mitnichten Youngs mitgereiste Metzger – es waren vielmehr „Mad Scientist“-artige Gestalten, die da den Aufbau der legendären Crazy-Horse-Bühne vorantrieben bzw. verlangsamten. Gerade als man des Unfugs müde zu werden drohte, erlosch das Saallicht und „A Day In The Life“ schmetterte vom Band. Bald senkte sich ein überdimensionales Mikrofon von der Decke, daran eine zerschnippelte Deutschlandfahne baumelte. Für Menschen, die sich nach wie vor mit deutscher Beflaggung schwertun, setzte es indes noch mehr Material zum Meditieren: Vom Band donnerte nun nämlich auch noch die hiesige Hymne. Und plötzlich stand er da, den Hut in der Hand, mit amüsiertem Gesichtsausdruck: Neil Young. Neil „Fucking“ Young! Er! The Man! Schon eine Schau …

Wer sich womöglich fragte, wann endlich mal wieder das Wort „erratisch“ zur Verwendung gebracht werden könne – im Zusammenhang mit Youngs Konzert gab es reichlich Gelegenheit dazu. Gewiss: Die meiste Zeit wurde herrlich gedröhnt, gesägt, gegniedelt und rückgekoppelt. Wie in der Legende überliefert, verbrachten Young und Crazy Horse den Großteil des Abends auf etwa vier Quadratmeter stehend und einander die Griffbretter zeigend. Irgendwann aber nach einem besonders beeindruckenden Feedback-Gelage, gefiel es dem Sonderbaren ein paar Stücke alleine vorzuführen. Wer nun aber meinte, Young brächte ein paar besonders originelle Stücke im unverstärkten Teil zur Aufführung, dem fiel spätestens jetzt das Vaporisiergerät aus dem Gesicht: Der Meister spielte nun nämlich, während er gemütlich über die Bühne schlenderte, erst „Heart Of Gold“ und dann – Schockschwerenot! – Dylans „Blowin’ In The Wind“! Letzteres wohlgemerkt in einer Version, die Ihr ergebener Chronist so zuletzt an einem Lagerfeuer der Katholischen Jugend Odenthal-Voiswinkels zu hören das fragwürdige Vergnügen hatte.

Noch immer „Blowin’ In The Wind“ vor sich hinsummend, wechselte Young nun ans Piano. Bevor er danach wieder auf den grandios vor sich hintuckernden Crazy-Horse-Donnerrock zu setzen die Güte hatte, kam dann mein persönlicher Höhepunkt des Abends: Neil Young band sich den Schuh zu! Nicht beiläufig oder im Bühnenhinteren. Nein – vorne am Piano, in aller Seelenruhe und von einem Kameramann angemessen auf die Leinwände übertragen!

Danach war eigentlich alles egal. Er hatte mich. Er hatte mich, wie man nur etwas haben kann. Daß er dann auch noch „Hey Hey My My“ ins Publikum bellte, war höchstens noch der Zuckerguss auf dem Schweinebraten. Erwähnte ich Youngs unglaublich volle Stimme? Das wunderbar stoische Geklopfe von Ralph Molina? Das Mädchen mit dem Gitarrenkoffer in der Hand, das irgendwann zum Zwecke der Song-Visualisierung über die Bühne geschlendert kam? Den besten Live-Sound, den man in der schepperigen Kölner Arena je hören durfte? Youngs episches Farewell am Ende? Nur für den Fall, dass sich irgendwer fragt, warum es nie wieder einen Text geben wird: Ich habe mir einen Lederschlapphut gekauft und reise fortan Neil Young hinterher.

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