Niels Frevert und Justin Balk waren die Leadsänger deutscher Rockhoffnungen. Nachdem die Bands zerbrachen, sind beide nun solo zurück

„Irgendwann kommt der Moment, in dem man merkt: Das war’s dann wohl.“ So simpel erklärt Justin Balk, warum es die Cucumber Men nicht mehr gibt, die Band, mit der er immerhin zwölf Jahre verbracht hat. Man hatte das Gefühl, alle Möglichkeiten ausgereizt zu haben – und deshalb ist der Hamburger jetzt solo, ein Singer/Songwriter sozusagen.

„Justin Balk“, sein Debüt, nennt er eine „deutschsprachige Westcoast-Platte“, mit dem Funkrock von einst hat das gar nichts mehr zu tun. Und das ist besser so, denn erst jetzt merkt man, dass er ja richtig singen kann und einen feinen Sinn für Melodien hat. Ob’s am Alter liegt oder daran, dass er als Vater von zwei Kindern schon genug Lärm zu Hause hat? Justin muss lachen. „Man wird halt ein alter Sack, und dann ist es nur ehrlich, wenn man ‚Alte-Säcke-Musik‘ macht Ich wollte auf einmal Klang statt Krach. Leichtere Melodien statt heftigem Rhythmus.“ Zeitlos, aber nicht belanglos.

Und er wollte weiterhin deutsch singen, das war klar. Obwohl er weiß, dass Liebeslieder dann schnell als Kitsch bezeichnet werden und nur einer wie Jochen Distelmeyer sich die ganz großen Gefühle leisten kann, ohne dafür ausgelacht zu werden. Aber im Grunde ist ihm das auch ganz egal. Sollen sie eben lachen, wenn sie die so zarten wie einprägsamen Lieder nicht verstehen. „Daraufkann ich keine Rücksicht nehmen“, das sagt Justin Balk oft. Es ist keine Phrase, sondern eine (Über-)Lebensstrategie. Die große Plattenfirma, bei der er früher unter Vertrag war, hat er nie vermisst. Ihm war es immer suspekt, dass man dort dauernd „den großen Wurf“ erwartete. Jetzt sucht er nicht mehr nach dem fetten Chorus oder der Monster-Single, er schreibt instinktiv, über das Leben und die Liebe und all das. „Ich weiß, dass es das Wort nicht gibt, aber die Lieder sind .durchfühlt‘, nicht durchdacht“ Und wahrscheinlich genau deshalb viel näher am großen Wurf als alle früheren Versuche.

Das frage ich mich auch immer wieder, wie diese sechs Jahre so schnell rumgehen konnten“, murmelt Niels Frevelt – ihm scheint sein lange währender Weg-vom-Fenster-Status selbst unheimlich zu sein. Dabei sind die Gründe eher prosaisch, branchenüblich. Schon vor vier Jahren war ein Nachfolger zum 97er Solo-Debüt geplant, doch „ein Tag, nachdem ich bei Intercord unterschrieben hatte, bekam die Firma von EMI mitgeteilt, dass sie geschlossen wird“.

Es war für Frevert das zweite Mal, dass ein A & R-Wechsel seine Pläne durchkreuzte. Und es hielt den Hamburger Sänger nicht davon ab, seine Solo-mit-E-Gitarre-Performance vom sporadischen Opening Act zum abendfüllenden Programm auszubauen. Mit Ex-Selig-Gitarrist Christian Neander bildet er zudem seit drei Jahren ein Gespann, das unter anderem für Heinz Rudolf Kunze und Popstar Marion komponiert. Die Wende zum Positiven vollzog sich also in kleinen Schritten, und 2002 war es soweit, dass mit Tapete Records ein frisch gegründetes Hamburger Label direkt auf ihn zukam.

Auf den richtigen Zeitpunkt zu hoffen und sich darin in Geduld zu üben, ist für Niels Frevert nichts Neues, musste er sich doch schon mit seiner Band Nationalgalerie Jahre lang Vorbehalten gegenüber deutschsprachiger Rockmusik aussetzen, bevor das Quartett 1991 das erste ernstzunehmende Angebot bekam. „Indiana“ (1995) entsprach von allen vier Nationalgalerie-Alben zwar am meisten der eingeforderten Internationalität, doch leider um den Preis, dass viele die Single „Himmelhochjauchzendzutodebetrübt“ erst beim dritten Hinhören als deutsches Lied identifizierten – so angloamerikanisch klang Freverts Phrasierung.

Eine unterstellte Absicht, die er von sich weist: „So wie ich spreche, singe ich auch. Da kommt es schon mal vor, dass ich nuschle.“

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