Ob synchronisiert oder kopiert – US-TV ist Schirm-Herr

Als Deutschland das große Flimmern kriegte, war Hollywood flugs zur Stelle. Da eigene Produktionen anfangs rar waren, ließ man uns das TV-Paradies USA bestaunen: Menschen! Tiere! Sensationen! Was ARD und ZDF noch heimlich taten, wurde mit Aufkommen der privaten TV-Sender die Regel: der große Klau. Jede US-Soap-, Crimeund Sitcom-Vorlage wurde dreist adaptiert – doch in puncto Witz, Tempo oder Action nie erreicht. Inzwischen lassen Export-Hits ä la „Derrick“ oder „Tatort“ zwar hoffen, doch trotz „Kommissar Rex“ und „Helicops“ – unser TV-Schirm beweist: Hollywood rules! FOTOS: dpa, MARK SELIGEREs gab einmal eine Zeit, da freuten wir uns über jede halbe Stunde aus dem Gelobten Land namens USA. Amerikanische Fernsehserien: Der first contact mit einer anderen „Weit Unser Ersatz für die erste Cola und die ersten Kaugummis, die andere Kids vor uns von den GIs geschenkt bekommen hatten. Die visuelle Umsetzung der Abenteuer von Karl May und Perry Rhodan – Lieutenant Blueberry in echt Amerikanische Serien lehrten uns, wie es drüben in Amerika aussah. Damals kostete der Dollar noch vier Mark, und an einen Urlaub in Florida wagte niemand auch nur zu denken. Abo glotzten, also lernten wir (oder glaubten das damals zumindest): In Amerika gab es gewaltige Städte („77 Sunset Strip“, „Die Straßen von San Francisco“) und naturbelassene Wildnis („Die Waltons“, „Unsere kleine Farm“, „Der Mann aus den Bergen“), wirkliche Schufte und wirklich Gute („Rockford“, „Columbo“), zu Unrecht Verfolgte („Auf der Flucht“) und friedensuchende Humanoiden („Raumschiff Enterprise“), und vor allem gab es richtiges Amerika in Amerika („Bonanza“, „Rauchende Colts“). Doch, es gab diese Zeit, in der wir – Du, Sie und ich – alles geschaut haben, was in der „Hör zu“ in der Unterzeile als „Am. Fernsehserie“ ausgezeichnet war: Auf der Suche nach Helden. Nach Identifikationsfiguren. Oder bloß nach Abwechslung vom drögen bundesdeutschen Fernsehalltag, der damals aus drei Programmen bestand und von überlebensgroßen Gutmenschen wie Hänschen „Das ist Spitze!“ Rosenthal oder Walter Sparbier beherrscht wurde. Die meisten von uns (zumindest die im Westen) sind mit den amerikanischen Serien aufgewachsen: Pfeif mir die Titelmelodie Deiner Lieblingsserie, und ich sage Dir aufs Jahr, wie alt Du bist Und heute? Vergiß es. Die meisten von uns waren inzwischen in den USA, die Lügen sind enttarnt, die Helden entlarvt. Geblieben sind ihre tausendfach replizierten Kinder und Kindeskinder, und die verlieren sich in inflationärer Belanglosigkeit beziehungsweise beim Zapping zwischen den Kanälen. In einer x-beliebigen Woche hat man die Auswahl zwischen – sagen wir – 87 amerikanischen TV-Serien und nicht minder vielen deutschen. Die Namender Schauspieler? Überflüssig, da austauschbar. Die Handlungen? Entbehrlich, da eh meist nicht nachvollziehbar. Hollywood produziert Soaps wie Nashville Countrysongs, und Berlin (SAT1), Köln (RTL) und Unterföhring (Pro7) kaufen das alles und produzieren obendrein längst ihre eigenen role modeis. Und wenn die unendlichen Geschichten im Studio auszugehen drohen, dann greift man mittlerweile auf das „wirkliche“ Leben zurück und dreht Doku-Soaps ab ä la „Der wahre Kir Royal“ (Vöx). Doch, so werden heutzutage Helden gemacht: Die Hauptdarstellerin der BBC-Produktion „Driving School“ – eine Serie über eine englische Fahrschule, die Live-Charakter vorgaukelt – ist nach zwanzigmaligem Durchfallen im Königreich bei einem Marktanteil von 50% beinahe so populär wie weiland Diana. Sie transit gloria mundi. Angefangen hat das alles mit „Dallas“, der Mutter aller Soaps: das Urgestein, aus dem so ziemlich jede „Leidenschaft vs. Intrigen-Serie der letzten zwanzig Jahre gemeißelt wurde. In den Staaten war die 1978 angelaufene Reihe derart populär, daß sich Jimmy Carter im Wahlkampf 1980 ernsthaft Gedanken über die J. R. For President“-Plakate machte (und dabei offensichtlich seinen Gegenkandidaten Ronald Reagan übersah). Der Texas-Tycoon J. R. log und betrog sich anschließend zur Ikone der Reagan-Jahre hoch, ein „human slick of oil“ („Time Magazine“), ausgestattet mit sämtlichen hervorstechenden Petsönlichkeitsmerkmalen der beginnenden Yuppie-Ära. Selbst IngmarBergman verpaßte keine Folge und fand es „irre witzig“. Und die Deutschen liefen im Karneval mit Stetson-Hüten herum und nannten ihre Gattinnen plötzlich nicht mehr Häschen, sondern Pamelachen. Auf „Dallas“ folgte dann alsbald „Dynasty“ (bei uns „Der Denver Clan“ betitelt), und „Dynasty“ war so schlecht, wie „Dallas“ immer sein wollte: Die Deko die geschmackloseste seit den innenarchitektonischen Verbrechen Marie Antoinettes im Petit Trianon, die Schauspieler Kreisklasse und der Plot haarsträubend (man erinnere sich nur an jene Hochzeit, die von Kalaschnikow-schwingenden Söldnern gesprengt wurde!). Immerhin verblüfften die „Dynasty“-Autoren mit wahren Bravourleistungen, wann immer es darum ging, neue Charaktere nach der serieneigenen Logik als verschollene Verwandte auf dem Set einzuführen. Und das Dynastien-Ende erinnerte in seiner geradezu nihilistischen Vollkommenheit an ein griechisches Drama aus der Antike: Krysde im Koma, Blake erschossen, Alexis vom Balkon gefallen – Vorhang bitte. Nach den Erfolgen von „Dallas“ und „Denver“ raffte man in Deutschland erst einmal alles an sich, was sich nicht schnell genug in Deckung bringen konnte (und produzierte mutig auch eigene Quotenbringer wie „Die Schwarzwaldkünik“ oder „Das Traumschiff). So zum Beispiel „Miami Vice“: Die MTV-Cops Crockett und Tubbs in ihren pink- oder pfirsichfarbenen Sakkos gelten nicht ganz zu Unrecht als die Pioniere aller „Style over Substance“-Serials – daran änderten auch Drehbücher auf der Grundlage von DEA-Akten, echte Drogenbarone in den Nebenrollen und Glenn-Frey-Soundtracks nichts. In Deutschland – „Duhu – nach Meiämie müssen wir aber auch bald mal…“ – funktionierten sie trotzdem. Dann gingen die Goldenen Achtziger zuende, und in den Staaten produzierten sie immer mehr – und die deutschen Fernsehsender mußten sich den Einkauf einer amerikanischen Produktion aus verschiedenen Gründen sehr genau überlegen. Zumindest bei den Sitcoms war und ist der wichtigste geographisch-soziologischer Natur: Amerikaner und Deutsche lachen nicht über die gleichen Witze (wie denn auch: Los Angelenos lachen noch nicht mal über die gleichen Witze wie New Yorker, von Menschen in Appleton/Illinois oder Shoshone/ Wyoming ganz zu schweigen). Beispiel „Seinfeld“: Die am Ende erfolgreichste US-Sitcom der Neunziger war bei ihrem Sendebeginn vor zehn Jahren ein Ding der Unmöglichkeit: zu gemein, zu zynisch, too New York, toojewish. Daß es in einer Sitcom inhaltlich im Grunde um nichts gehen konnte (bzw. um die über 30 Minuten diskutierte Frage, warum nun der zweite Knopf von oben der wichtigste an einem Hemd ist) war dabei weniger entscheidend als die Konfrontation mit der Jung’schen Seite des kollektiven Ichs anhand der moralischen Integrität der vier Hauptfiguren. Die zogen über Potenzprobleme bei Krebskranken her oder diskutierten die Vorteile eines Ficks nach einer Beerdigung. In einem Sequel „The Contest“ – wurde mal ausschließlich über die Kunst des Masturbierens diskutiert (ohne das Wort selbst dann auch nur ein einziges Mal auszusprechen). Und Elaine, die Frau unter drei Männern, führte sich regelmäßig derart bitchy auf, daß ihre Darstellerin Julia Louis-Dreyfus irgendwann tatsächlich forderte, „man sollte dieser Schlampe einfach die Röhre zuschweißen“. „Seinfeld“ lief in den USA im vergangenen Frühjahr aus – begleitet von einem Medienrummel, der nur noch übertroffen werden könnte, wenn Saddam Hussein mit Monica Lewinsky in ein Appartement am Sunset Boulevard ziehen würde. Bis dahin hatte die Serie den Lebensrhythmus der Amerikaner verändert (donnerstagabends lief Seinfeld und nix anderes), ihr Bild von New York und ihre Spreche dazu: Wer auf den Parties in Chicago oder L. A. mitreden wollte, mußte jetzt möglichst viele Serien-Sprüche in möglichst gedehntem Noo-Yaahwk-Slang aufsagen können. Und Imitatoren gab es mittlerweile so viele, daß man bequem das Yankee Stadium mit ihnen hätte füllen können. Bei uns aber kam „Seinfeld“ von Anfang an nicht an: Seitenhiebe auf New Yorks Bürgermeister Giuliani oder auf die Umwandlung der skidrows am Times Square in ein antiseptisches Disneyland versteht man ja in Dortmund oder in München nicht unbedingt. Und selbst wenn der eine oder andere hierzulande noch eine Portion neo-jiddischen Humors besäße – die Synchronisation macht jedweden Ansatz kosmopolitischen Verständnisses zunichte. Wenn Seinfeld mal bepackt nach Hause kommt und in diesem Zusammenhang von „schleppen“ redet, dann versteht man das in New York (und in anderen jüdisch geprägten Teilen Amerikas) auch als Anspielung auf jüdisches Kaufgebaren am Tag vor dem Sabbat Im Deutschen hingegen bedeutet „schleppen“ halt schleppen – konnotationsund damit witzlos, ein Begriff, über den man schnell hinwegübersetzen kann. Die Bearbeiter der australischen Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ lösten ein ähnliches Problem, indem sie der quotenschwachen Serie ein Drehbuch-make-over angedeihen ließen. „Seinfeld“ jedoch floppte. Pro7 versucht sich gerade an einer Reanimierung – zumindest auf kult-verdächtigen Sendeplätzen: sonntags und montags, um 23.43 Uhr oder um 1.48 Uhr oder um 2.13 Uhr. – Gut‘ Nacht, Marie™ Auch deshalb haben es manche US-Serien bei uns schwerer als andere: Die Bösartigkeit, einzelne Folgen als variable Lückenbüßer im Programm hinund herzuschieben (oder – noch verheerender – an divergierenden Wochentagen zu senden), führt bei chronologisch aufeinander folgenden Episoden zuerst zu erheblichen Dechifrrierungs-Schwierigkeiten und irgendwann zur Kapitulation des Zuschauers. Obendrein macht sie sinnvolle Synergie-EfFekte zunichte: In den Staaten setzt man beispielsweise das Crossover (gegenseitige Besuche der Darsteller aus verschiedensten Serien) als probates Mittel ein, um die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben. Kelly aus „Beverly Hills 90210“ ging im „Melrose Place“ ein und aus, „Melrose Place“-Bewohner flirteten im Gegenzug mit den Schönheiten von „Models, Inc.“ – die Ratings erreichten bei jedem Crossover stets schwindelerregende Höhen. Das funktioniert natürlich nur, wenn diese Serien bei einem Sender (was in Deutschland bei den meisten ja der Fall ist) und an nachvollziehbaren Sendeplätzen laufen (was in Deutschland nicht immer so ist) – und wenn man sie chronologisch wiederfindet (was in Deutschland offenbar immer seltener wird). Deutsche Zuschauer wissen beispielsweise bis heute nicht, wie wohl „Ausgerechnet Alaska!“ (im Original „Northern Exposure“) ausgegangen ist: Zuerst sendete RTL unter Ausschluß der Öffentlichkeit nach 23 Uhr, dann übernahm Vbx, dann war die Serie verschwunden. „NYPD Blue“, in den USA mit inzwischen 14 Emmies prämiert und eine der besten Cop-Serials, die je gedreht wurden, wurde ähnlich lieblos behandelt: Der tapfere Detective John Kelly durfte zwar noch ein kryptisches „Wir telefonieren“ sagen – ward fortan aber nicht mal mehr telefonierend gesehen. Im amerikanischen Original bekam der Zuschauer das selbstverständlich genau erklärt in Deutschland hingegen fehlte die Folge. „NYPD Blue“ steht exemplarisch für die Schwierigkeit von Übernahmen aus dem amerikanischen Fernsehen. Ahnlich wie in den Polizisten-Krimis von Sjöwall/Wahlöö lassen die Drehbuchschreiber dieser Serie ihren Charakteren Zeit zur Entwicklung: „NYPD Blue“ ist vielschichtig, dröselt die klassisehe Trennung von Gut und Böse episodenweise neu auf- was naturgemäß den regelmäßigen Zuschauer verlangt Und den geduldigen Sender, der der Geschichte Zeit zum Entfalten läßt Für eine erfolgreiche Übernahme reicht es deshalb eben nicht, wenn die deutschen Bearbeiter der äußerst realistischen Serie (denen schon mit der Lektüre von Autoren wie Kinky Friedman oder Robert Adcock geholfen wäre) nach einem fünftägigen Pauschaltrip an den Hudson nebst zweistündiger Betriebsbesichtigung eines Polizeireviers glauben -ja doch -jetzt hätten sie den Alltag der Cops in Manhattan voll und ganz intus. Und so ganz nebenbei reicht diesbezüglich auch kein Marc Conrad (Ex-Programm-Direktor bei RTL), der mal freimütig zugab, sich jedes Jahr für ein Wochenende in einem Hotelzimmer in New YotK zu verschanzen und nun pausenlos TV zu gucken. So sieht das Resultat im deutschen Fernsehen später dann auch aus. Spielt aber bald alles keine Rolle mehr: In Berlin wird soeben die Wachablösung vorbereitet. Wenn man seinem Fernseher Glauben schenken darf, ist Deutschlands einzige Metropole seit ein paar Monaten dabei, Gotham City als der Hauptstadt des Verbrechens den Rang abzulaufen. Noch nie wurde in einer deutschen TV-Stadt so viel und so aufwendig geballert: Für „Wolfls Revier“, „Die Straßen von Berlin“ und die „Helicops“ standen wahlweise Serien wie „Kojak“, „Die Straßen von San Francisco“ oder so was wie .Viper“ mit dem vor künstlicher Intelligenz strotzenden Ami-Schlitten Pate. Mittlerweile ist der Andrang der Teams so groß, daß beim Berliner Polizeipräsidum eine „Krimiberaterin“ Equipment verleiht: Das Polizei-Krad für nur 17 Mark die Stunde, den Knast an der Keibelstraße für 120, den Hubschrauber für 2200. Bei Produktionen wie den angeblich 40 Millionen schweren „Helicops“ (SAT1) berappt man solche Peanuts aus der Portokasse. Bei solchen Investitionen erscheint es fast konsequent, daß die „Helicops“ für den deutschen TV-Markt zum knatternden Aufbruchs-Fanal geworden sind: Denn das technisch perfekt inszenierte Hinund Hergezische am Himmel über Berlin wurde ja lange vor Serienstart ungesehen von Ländern gekauft, in denen die amerikanische Hochpreis-Politik beim Handel mit Serien längst die Grenzen der Belastbarkeit überschritten hatte. Allein in den vergangenen vier Jahren sind die Kosten für amerikanische Lizenzen um über 250% gestiegen; jetzt sinkt der Bedarf auch deshalb, weil die zunehmende internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Produktionen die Abhängigkeit anderer Kunden von Hollywood reduziert. Anders gesagt: Wer bei den Deutschen „Kommissar Rex“ kauft (bislang 35 Länder; in Italien zieht der Köter regelmäßig bis zu sieben Millionen vor die Geräte), muß diesen Sendeplatz nicht mehr mit „Lassie“ aus den USA teuer bestücken. Noch erwirtschaften die Amerikaner zwar den Hauptanteil ihres seriellen Außenhandels in Europa (ca. 3,5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr), und die hiesige Unterhaltungsindustrie gab 1997 noch satte 1,7 Milliarden für amerikanische TV-Ware aus – das aber war bereits ein Drittel weniger als im Jahr zuvor. Vor allem beim Handel mit den sogenannten „Volume Deals“ ist man geschmäcklerisch geworden: Anno 1999 kauft kaum einer noch zähneknirschend die komplette Produkt-Palette, nur weil er ein einziges partout haben möchte. Und spätestens seit letztem Oktober, als sich viele der amerikanischen Lizenzhändler auf der Programm-Messe „Mipcom“ in Cannes in Ermangelung von Interessenten gelangweilt mit „Command 8C Conquer“-Spielen auf ihren Notebooks die Zeit todschlugen, sollten bei den US-Networks sämtliche Alarmsirenen schrillen – stattdessen verschanzt man sich hinter einem Panzer aus Arroganz. Lediglich einige US-Medienforscher sprechen angesichts der blockadeartigen deutschen Verkäufe von „Schimanski“ (in über hundert Länder) bis zur ZDF-Doku „Hitlers Krieger“ mittlerweile bereits vom „Chrysler-Syndrom“: Auch der Automobil-Riese wäre fast in Konkurs gegangen, weil er das Potential japanischer Autos völlig unterschätzt hatte und glaubte, weiterhin Uralt-Technik für teures Geld an den Mann bringen zu können. Auf dem englischsprachigen Markt selbst mögen die aus dem Deutschen synchronisierten Programme nach wie vor chancenlos sein — überall sonst aber unterminieren Rex & Co. emsig den einst ubiquitären Nimbus der HoUywoodianer. Und mitderweile wird vieles aus Deutschland in weiser Voraussicht gleich in Englisch co-produziert: So hat z. B. Pro7 mit der anstehenden Fantasy-Reihe JRaven“ auch den amerikanischen Markt im Visier. Abgesehen davon halten Experten wie der Produzent und TV-Berater Peter Gerlach das Argument, das amerikanische Publikum nehme synchronisierte Filme aus Prinzip nun mal nicht an, sowieso für vorgeschoben: Es fehlten, so Gerlach, empirische Beweise für den Wahrheitsgehalt dieser Argumentation. Ergo werde inden USA so nur geschickt der eigene Markt abgeschottet. Fazit: Man sollte es vielleicht einfach noch einmal probieren. Auch im technischen Bereich, über Fernseh-Generationen unangefochtene Domäne der Amerikaner, hat die Aufholjagd längst begonnen. Seit Jurassic Park“ und „Godzilla“ das Geheimwissen der computeranimierten Effektkunst zur öffentlichen Ware gemacht haben und die Preise für FX innerhalb der letzten zehn Jahre auf (nicht um!) ein Zehntel gefallen sind, ersetzen auch in Köln, Berlin und München Festplatten die Stuntmen: Morphing (ermöglicht es z. B., aus einem Kind blitzschnell einen Greis zu machen), Crowd Replication (vom Computer geschaffene Menschenmassen machen die teuren Komparsen-Heere obsolet) oder 3D-Tracking (damit läßt sich z. B. das von der Kamera eingefangene Bild einer baumlosen Landschaft bewalden) – alles kein Problem mehr. Der Hubschrauber der „Helicops“ ist 28 Zentimeter lang. Die Landschaften, die die Fahrgäste der neuen „CityExpress“-Bahn-Soap (ab Ende Februar bei der ARD) am Waggonfenster vorbeiziehen sehen, stammen komplett aus einem Großrechnet Und bei der Pro7-Produktion „Operation Noah“ war – trotz allem Wellengang – noch nicht einmal die Nordsee echt. Neben ihrer vorhaltenden Trendsetting-Position (gekoppelt mit dem offensichtlich genetisch verankerten Charakterzug der Deutschen, alles hip zu finden, was in den USA Hype ist) kann die amerikanische TV-Industrie langfristig nur auf das setzen, was deutschen Produktionen noch viel zu oft abgeht: Qualität! – Obwohl die doch so humorlosen Deutschen in den Siebzigern ausgerechnet mit der Adaption einer US-Sitcom gekonnt bewiesen hatten, daß sie durchaus können, wenn sie nur wollen – und die richtigen Leute ans Drehbuch und vor die Kamera lassen: Blaupause für die von Wolfgang Menge perfekt in die verkarstete teutonische Spießerlandschaft verpflanzte „Ekel AIfred“-Kultserie war nämlich „All in the Family“, ein US-Sitcom-Klassiker, dessen viele Folgen seit den Sechzigern bypublic demand immer wieder als reruns das TVVolk begeistern. „Amerika ist aber immer noch der professionellste Markt für Entertainment“, sagt Pro7-Programmleiter Borris Brandt, der auch „weiterhin die interessantesten Lizenzserien und Produktionen einkaufen“ will. Nicolas Hainzl, bei RTL verantwortlich für amerikanische Serien, schwärmt vom Kult-Potential seines USA-Shoppings. Und für Tina Ziegler von SAT1 steht fest, „daß der deutsche Markt diese Qualität noch längst nicht zum gleichen Preis finanzieren kann“. Für einen Selbst- und Dauerläufer wie „Star Trek“ beispielsweise (incL solcher Spinoffs „The Next Generation“, „Voyager“ und „Deep Space Nine“ immer noch eine der wohl lukrativsten Schöpfungen diesseits des Andromeda-Nebels) hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Multi-Millionen-Dollar-Maschinerie entwickelt – für eine deutsche Produktion fast unvorstellbar. Auf der anderen Seite nehmen sich deutsche Arzte-Soaps wie „Auf alle Fälle Stefanie“ oder „Stadtklinik“ (RTL) gegen die Spielberg-Lebensretter aus dem „ER“ (Pro7) immer noch aus wie das Ohnsorg-Theater beim Kuraufenthalt in Baden-Baden: Dem exzellenten Niveau von George Clooney und Kollegen können selbst aphoristische Programmheft-Schlagzeilen wie »Auf der Unfallstation tragen die Götter Grün und keine Karos“ nichts anhaben. Auch im Bereich Mystery ist die amerikanische Stellung nach wie vor unangefochten (RTL schickt mit „Operation Phoenix“ gerade die erste deutsche Produktion ins Rennen). Mystery begann mit der Leiche von Laura Palmer – schön, blau angelaufen und in Plastik gewickelt Mit seinem bizarren „Twin Peaks“ hatte David Lynch für die ABC eine Serie entwickelt, die – „Welcome to Spookyville!“ – in diesem Format zum ersten Mal den Blick hinter die Heile-Welt-Fassaden amerikanischer Kleinstädte wagte und das Auffassungsvermögen der meisten Zuschauer sichtlich überforderte. Aber schon knapp zwei Jahre später pirschten Mulder und Scully auf den Spuren von Special Agent Dale „Ein wunderbarer Kirschkuchen!“ Cooper. Die „Akte X“ (Pro7) zählt im siebten Jahr neben „Baywatch“ weltweit zu den erfolgreichsten US-Serien – die Einschaltquoten in Deutschland pendeln regelmäßig zwischen drei und vier Millionen. Die X-Files leben vor allem von der Erkenntnis, daß die Welt einem gigantischen Regierungs-Cover-up aufsitzt – ein dramaturgischer Geniestreich, der im Laufe der Folgen eher plausibel als absurd zu werden beginnt und unendliche Variationsmöglichkeiten ermöglicht Mittlerweile schreiben so Stars wie Stephen King („Chinga“) oder Cyberspace-Erfinder William Gibson („Kill Switch“) für die Akten, das Merchandising brummt, und die Weisheiten von Fox und Mulder haben sich tief in Amerikas Kultur und Alltag gegraben. Sogar ein literarischer untouchable wie Don DeLillo jongliert heute in seinem Epos „Underworld“ mit dem „The Trudi Is Out There“-Motto der Special Agents. Getreu dem allerobersten TV-Gesetz, daß mindestens noch vier Staffeln lang erfolgreich ist, was einmal erfolgreich war, liegt die Zahl der Nachahmer mittlerweile im dreistelligen Bereich: „Millenium“ (PRO 7), „The Pretender“ (Vox), „PSI-Factor“ (Vox), „Profiler“ (Vox), „Outer Limits“ (Pro7) und noch ein paar mehr. Und seit Herbst „98 auch noch Buffy: „Buffy, The Vampyre Slayer“, in der Pro7-Übersetzung jugendfreundlich zu „Buffy: Im Banne der Dämonen“ eingedeutscht. Buffy ist 17, trägt T-Tbps und violetten Lippenstift und macht auch ansonsten da weiter, wo Magazine wie „Sassy“ Mitte der Neunziger aufgehört haben: bei Girlies, die mehr vom Leben wollten als die Autogrammkarte von Take That und den aktuellen Duft von Calvin Klein. Daher umgibt Buffy (Sarah Michelle Gellar) eine Aura von Camilla-Paglia-Feminismus, die wohl so etwas postulieren soll wie: Sei clever! Sei erfolgreich! Aber kauf dir ruhig auch die Schuhe aus der „Vogue“! Ansonsten muß das Gör Privatinteressen und Berufsleben in Balance halten – und nebenbei auch noch erwachsen werden: Ein Dilemma, das Millionen sicher bekannt vorkommt (wenn auch die wenigsten von ihnen dem Beruf des Vampir-Schlächters nachgehen dürften). Im Gegensatz zu anderen Mystery-Serien gibt es hier keine irdischen Erklärungsversuche für außerirdische Probleme: Die Dinge sind nun mal, wie sie sind, und Du mußt verdammt nochmal mit ihnen fertig werden – auch das ist Buffys Botschaft. Dazu kommen ein Soundtrack mit Düsternis-Vasallen ä la Ozzy Osbourne, sarkastische Einzeiler sowie angedeutete Brustwarzen unterm hautengen Top. Dem kränkelnden TV-Giganten ABC hat sie damit endlich zum langersehnten und bitter nötigen Quotenhit verholfen; das erste Spin-off, „Angel“, läuft im Herbst an. Bei uns schaut am Samstagnachmittag bislang schon eine Million Bufiys Treiben zu. Buffy ist aber auch erfolgreich, weil hier zwei der drei erfolgreichsten Serien-Thematiken miteinander verzwirbelt werden: die Last und Lust, nicht allein im All zu sein mit der Last und Lust, nicht allein jung zu sein. Buffy ist der quotenträchtige Zwitter aus Mystery und Single-Soap (die dritte, medizinische Erfolgsthematik liegt beim munteren Vampirmeucheln zwar nahe, wurde bisher aber noch nicht genutzt), und vor allem letztere ist die gewiß sicherste Bank der letzten Jahre. Statistiken aus Bad Eins zählen zur Pflichtlektüre der deutschen Programmmacher, und deshalb konnten sie auch kaum etwas falsch machen, ab sie den elf Millionen Alleinlebenden in Deutschland ihre ersten Serien vorsetzten. Seitdem hatten/haben wir „Melrose Place“, „Beverly Hills 90210“, „Friends“, „Central Park West“ und „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, und da der Bedarf damit anscheinend noch nicht ganz gedeckt war/ist. überdies eine Reihe ebenfalls ziemlich erfolgreicher deutscher, brav dem ewigen Cliffhanger-Diktat folgenden Epigonen wie „MarienhoP, „Verbotene Liebe“ oder „Unter uns“. Auch das: nichts Neues. Die Fernseh-Dramaturgie hat den Single-Status wegen seiner Entfaltungsmöghchkeiten seit jeher präferiert: „Männerwirtschaft“ lief schon Anfang der 70er Jahre (und zur Zeit wieder auf SATI), bei uns schlampte kurz darauf Horst Janson alias „Der Bastian“ im großmütterlichen Haushalt herum, und „Mork vom Ork“ fand seine Bleibe bei Single Mandy. Aber während bei diesen Vorläufern immer nur einzelne Zuschauergruppen angesprochen wurden (Männer vor der Scheidung, Omas, Aliens), zielt seit „Thirtysomething“ (vom ZDF damals in „Freunde fürs Leben“ umkopiert) jede Single-Soap gezielt auf die werberelevante Gruppe der Post-Slacker-Generation. Die Soziologen machen übrigens weder Amandas Collagen-Lippen noch die role model-Fuaktion der diversen Großstadt-Cliquen für den anhaltenden Erfolg der Single-Soaps verantwortlich, sondern eher das „Dilemma des Vorabends bzw. des Samstagnachmittags“: alldressedup – but no place to go. Demnach kollidieren die Erlebnis-Erwartungen mit Entschlußlosigkeit und der Angst, etwas zu verpassen ergo bleibt man erst einmal zu Hause, hängt ab, verliert sich in meist undurchschaubaren Handlunglabyrinthen und glaubt irgendwann hoffentlich nicht wirklich, daß Sätze wie „Ich hätte gern Sex mit ihm, aber ich muß einfach zu oft an den Knoten in meiner Brust denken“ oder „Ich dachte, Du wärst tot!“ zum amerikanischen Alltag gehören. Obwohl das rein faktisch natürlich zutrifft. „Neue Maßstäbe in puncto Eskapaden und Intrigen!“ (RTL-Werbung für die aktuelle, sechste „Melrose Place“-Staffel) bedeuten hierzulande aber dann gottlob kein kollektives Ausrasten ganzer Bevölkerungsschichten: Denn dazu schnallt der deutsche Zuschauer in der Regel dann doch noch das: daß Fernsehen nun mal nicht ein l:l-Spiegelbild der Realität ist. In den USA wäre das eine gewagte These: Als die beiden „Friends“ Rachel und Ross endlich gepoppt hatten, präsentierten die NBC-Nachrichten im Anschluß einen Psychologen, der Amerika mit der Frage „Sollte Freundschaft bis ins Bett reichen?“ konfrontierte. Die neue Frisur von Jennifer Anis ton (ebenfalls „Friends“) beschäftigte nicht nur monatelang die Boulevardpresse – eine Agentur pflasterte obendrein noch Manhattan mit Aniston-Postern zu. Und die US-Figaros fühlten sich an Zeiten erinnert, als jedes weibliche Wesen Farrah Fawcetts „Drei Engel für Charlie“-Löwenmähne haben mußte. Nein: Egal, wie die pompös angekündigten Neustarts (etwa „V.IJP.“ mit Pamela Anderson oder „L. A. Docs“ – beide auf SAT1 – oder, und darauf darf man gespannt sein, „South Park“, ab Sommer auf RTL) ausfallen: Amerikanische Verhältnisse wird es bei uns vorerst nicht geben. Als dort am 30. April ’92, dem zweiten Tag der L. A. Riots, die letzte Folge der „Cosby Show“ lief, appellierte Bürgermeister Tom Bradley an die Bürger, doch bitte daheim zu bleiben und sich das Serien-Finale anzusehen. Was die auch taten – wenn auch nur in Maßen. Bei uns gab’s ähnliches zuletzt bei Durbridge. Und damals hießen die Quotenbringer noch Straßenfeger. J3

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