Pokey LaFarge live in Berlin: Die wonnigste Musik der Welt

Was mag uns diese beseelte Musik über das Jahr 2015 sagen? Vermutlich wenig. Doch diese Frage führt, wie bei jeder generationsübergreifenden Pflege tradierter Kunst und etablierter Genres, ins Abseits. Pokey LaFarge spielt zeitlose Americana und amerikanische Klassik.

„Good evening! I’m Bruce Springsteen and this is the E-Street Band!“ Wer in einem waschechten Rockabilly-Club wie dem Berliner Roadrunner‘s das stilecht gewandte Publikum so begrüßt (und nicht Bruce Springsteen heißt), richtet sich offenkundig auf ein Heimspiel an einem Ort ein, der für den Abend zum lauschigen Wohnzimmer wird.

Nach zwei Jahren war Pokey LaFarge endlich mal wieder Gast in dieser Stadt. Und er brachte Freunde mit. „Ja“, liest man erfreut auf seiner Homepage, „wenn Du eine Ankündigung siehst, dass ich in Deiner Stadt spiele, dann kannst Du stets davon ausgehen, dass ich meine volle Band mitbringe“. Sechs gestandene Musiker, die jeder für sich so viel Persönlichkeit und Charisma auf die Bühne bringen, dass man kaum weiß, wohin Blicke und Ohren gerade schweifen sollen. Etwa Ryan Koenig, ein stämmiger Bärentyp mit rauschendem Vollbart, der Banjo, Waschbrett, Kastagnetten und vor allem seine Mundharmonika mit stupender Virtuosität zu traktieren weiß. Oder Adam Hoskins, der mit seiner Gitarre von Country-Schmelz bis Surf-Twang über die gesamte Klangkartographie des Americana hinwegfliegt. Oder die zierlich-kokette Chloe Feoranzo, die mit ihrer Blüte im Haar und dem 20er-Jahre-Dress direkt von der Leinwand eines späten Woody-Allen-Films entstiegen scheint, vor allem aber mit ihren süffigen, gelegentlich auch kratzbürstigen Klarinetten- und Saxophon-Soli die Performance um köstliche Swingnoten bereichert.

Jazz und Blues, vom Staub befreit

Charaktere also allesamt, die sich die Coen-Brüder für „O Brother, Where Art Thou?“ nicht besser hätten ausdenken können. Und alle dürfen reichlich solieren, doch Pokey behält den Zepter stets in der Hand. Ein verschmitzer Charmeur und unangestrengter Entertainer aus dem Mittleren Westen, der es auf der Bühne wie auf seinen mittlerweile sieben Alben auf unvergleichliche Weise versteht, Country, Western Swing, Jazz und Blues vom Staub der Jahre zu befreien. Vom rastlosen, lebensgierigen Dust-Bowl-Sound eines Jimmie Rodgers oder Bob Wills über sehnsüchtige Tex-Mex-Grenzballaden bis zum juvenilen Rockabilly-Sound der 50er Jahre – hier schwingt buchstäblich alles mit, wird von Patina befreit und verliert seinen sepiafarbenen Stich.

Das ausverkaufte Haus dankt es ihm, johlt, jubelt und singt, in den ersten Reihen kommt gar Ballhaus-Stimmung auf. Und über den ganzen Saal legt sich schnell ein – zumindest für einen nasskalten Berliner Mittwochabend im Herbst – gar nicht mal so typischer Flor von entspannter Freundlichkeit, Harmonie und sonniger Gemütsverfassung. Songs wie „Drinkin‘ Whiskey Tonight“, „Something in the Water“ oder „Wanna be Your Man“ klingen, als habe es sie schon immer gegeben, „Central Time“ bietet die Gelegenheit für einen ausschweifenden Jam und der für Berlin einstudierte Country-Standard „Fraulein“, diese Ode an die „old German daughter by the banks oft the old river Rhine“, wird flugs an die Spree verlegt.

Was mag uns diese so schillernde, verspielte, beseelte und warmherzige pochende Musik über das Jahr 2015 sagen? Vermutlich wenig. Doch diese Frage führt, wie bei jeder generationsübergreifenden Pflege tradierter Kunst und etablierter Genres, ins Abseits. Pokey LaFarge spielt zeitlose Americana, amerikanische Klassik und, für Momente, die wonnigste Musik der Welt.

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