Aerosmith :: A Little South Of Sanity

Live-Alben haben für nicht weniger Gruppen oft nur die Funktion, entweder Zeit schinden zu können, um eventuell doch aus der Kreativ-Talsohle herauszufinden, oder die, vor dem sich abzeichnenden Aus noch ein allerletztes Mal Kasse machen zu dürfen. Was man Aerosmith beim besten Willen nicht nachsagen kann, denn 1. steht „I Don’t Want To Miss A Thing“, ihr Beitrag zur „Armageddon“-Untermalung, seit Wochen auf Platz 1 der US-Singles-Charts, und 2. hat die LP „Nine Lives“ zum Erstaunen aller wieder in die „Billboard“-Charts zurückgefunden. Crisis? What crisis?

Ergo ist dies Live-Doppelalbum (insgesamt 23 Tracks, davon viele über fünf Minuten lang) weder Lückenbüßer noch das letzte Lebenszeichen vor dem Exitus, zumal hier ein paar alte Haudegen zu einer solch kompetenten und umwerfenden Form auflaufen, daß einem schlagartig aufgeht, warum man mit den Live-Statements so mancher Bands ähnlichen Kalibers nicht richtig warm wurde. Man konnte zwar nicht sagen, was es war, wußte aber, daß etwas fehlte. So wie bei Muttis Exkursionen in Küchen fremder Länder.

Hier jedoch vermißt man definitiv nichts, denn hier ist alles so hundertprozentig da, wie man es von den geläuterten Aerosmith der Neunziger nach Rock-Referenz-LPs wie „Pump“, „Get A Grip“ oder „Nine Lives“ mit Fug und Recht erwarten darf und muß: Tyler schreit wie eine ganze Armada fanatischer Muezzins und läßt sein einzigartiges Organ zwischen waidwund und brünftig changieren, was den Kollegen Perry zu sukzessive brachialeren Breitsaiten animiert. Und anders als die Stones, die live lieber auf die sichere Bank ihrer bewährten Klopfer setzen, haben die Herren aus Boston null Probleme damit, die rundum überzeugenden Titel ihrer jüngsten Alben – von „Love In An Elevator“ und „Janie’s Got A Gun“ bis zu „Hole In My Soul“ – als orgiastische Konzertversionen zu präsentieren. Aber daß ein Verzicht auf alte Killer à la „Rag Doll“, „Dude“, „Sweet Emotion“ oder „Walk This Way“ anschließende Brandanschläge, Plünderungen und Straßenschlachten zur Folge hätten, muß man solch alten troupern nun wirklich nicht mehr stecken. Erst recht nicht, wenn die ihre eigenen Hymnen auch beim 7364. Mal noch mit solcher Inbrunst zu zelebrieren verstehen.

Noch einmal zeigen, ja zelebrieren Aerosmith, wo der Konzert-Hammer zu suchen ist. Nämlich nicht bei milchbärtigen und dünnblütigen Epigonen und Eintagsfliegen. „A Little South Of Sanity“ ist ein derart pralles, funkenstiebendes und einnehmendes Live-Dokument, daß man glatt geneigt ist, die Aerosmith-Phase, in der man in puncto Plattenflops und Konzertpannen alle Tiefflug-Rekorde zu brechen verstand, ins Reich der Fabeln zu verweisen.

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