Alternativen :: VON MICHAEL RUFF

Nicht allein, was die Schaffung von Arbeitsplätzen angeht, hinkt Deutschland hinterher: Auch wenn es darum geht, moderne Musikstile mit der klassischen Songwriter-Kunst zu verbinden, gab es bislang kein hiesiges äquivalent zu Beck, Alanis Morissette oder Baby Bird. Das wird nun wohl anders, denn jetzt gibt es „Letzte Tanke vor Babylon“ (Disko Grönland/ Indigo), das Longplay-Debüt von LOTTE OHM (aüas Vincent Wilkie). Die reiche Palette von einprägsamen Songs („Komm rein“ etwa oder das auch wunderbare „Wenn sie will“), kraftvollen Grooves und intelligenten Raps (ohne irgendein Reimlexikon) klingt so frisch wie ein Sonnenaufgang. Oder wie ein neuer Generationenvertrag. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe. 4,5

Da der Titel dieser Kolumne oft mit „Alternative Rock“ verbunden wird, sei an dieser Stelle eine Band genannt, für die es SubPop, Seattle und auch Schrotflinten anscheinend nie gegeben hat: KNAPSACK machen auf JDay Thne In My Life“ (RTD) dort weiter, wo Nirvana seinerzeit aufhören mußten. Bevor man die drei Kalifbrnier in die Pfanne haut, daß sie einem veralteten Format nacheifern, muß erst einmal festgestellt werden, daß sie ihren Kurt perfekt gelernt haben. So hat sich lange niemand mehr das Herz aus der Seele geschrien bzw. den Arsch abgespielt. 3,0

Zeitgenössischer Alternativ-Rock hört sich allerdings anders an. Der Anspruch des Berliner Labels Kitty-Yo (Indigo), „Organisationsmethoden elektronischer Musik innerhalb des Rock-Instrumentariums anzuwenden“ (Label-Info), klingt recht akademisch, aber als Resultat ist – wie im Falle des süddeutschen Trios COUCH – teils gefällige, teils spannende Instrumentalmusik zu verzeichnen, die sich von dem herkömmlichen „Rock“ hauptsächlich dadurch unterscheidet, daß sie auf Verzerrung, Feedback und sonstige emotionale Emphase verzichtet. Insgesamt ist der Plattentitel „Etwas Benutzen“ als gelungen zu bezeichnen. 3,5

Große Fortschritte hat die neuseeländische Keller-Band KING LOSER mit ihrem dritten Album „Caul Of The Outlaw“ (RTD) gemacht: Besonders die bedächtigeren Songs klingen wie eine charmante Lo-fi-Version von Nancy Sinatra & Lee Hazelwood mit Kim Fowley an den Reglern. Reichlich Ironie ist auch dabei: „Everything you’ve always heard about Rock’n’Roll-bands is a lie“ verkünden sie mit Grabesstimme, bevor dann wiederum denkbar lustselig weitergeschrammelt wird. 4,0

Auch BLITHE stehen für sleazy Rock’n Roll, allerdings auf eher literarischer Ebene. Vor durchgängigem, coolem Midlempo und vielen Gitarren sind Texte zu hören, bei denen sich Joner“ auf „boner“ auf „phone her“ reimt, es geht um „smoking pot and reading (!) porn“, doch so richtig laut werden die Schweden nie. Gerade diese freundlich-defensive Haltung ist es, die „Verse Chorus Verse“ (Alias/RTD) zu einem völlig unpeinlichen Hörvergnügen macht. 3,5

Das gleichnamige Debüt von STUMPWHOOPT ist beispielhaft für ein Problem, das viele Epigonen und Kenner der amerikanischen Musikgeschichte zu haben scheinen, wenn sie eine Platte machen: Sie klingen hundertmal altmodischer als ihre Vorbilder. Natürlich ist alles amtlich und liebevoll gemacht, doch gegen eine derart blasse Version von „Big River“ wirkt selbst Johnny Cash wie ein junger Gott (Strange Ways/Indigo). 2,5

Ein Hauch von Zynismus umweht die vorliegende Doppel-CD der Hamburger Gruppe DIE ERDE (WSFA/Indigo). Immerhin mußte Sänger Tobias Gruben im November letzten Jahres erst an einer Überdosis Heroin sterben, bevor das Gros dieses Materials der Veröffentlichung wert befunden wurde. Dabei erweist sich diese postume Werkschau als Produkt eines nachdenklichen Songschreibers zwischen dylanesken Einflüssen und Elektro-Grooves, dessen Ziel es gewesen ist, seinen Mitmenschen Mut zu machen („Leben den Lebenden“). Nun aber hat er nichts mehr davon. Und Altvater Alfred Hilsberg auch nicht. 3,0

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