Anaïs Mitchell :: Young Man In America
Ein fabelhaftes Konzeptalbum, perfekt instrumentiert
Vor zwei Jahren hat Anaïs Mitchell ein viel beachtetes Album namens „Hadestown“ veröffentlicht, ein komplexes Werk mit vielen Charakteren und großartiger Musik. So erstaunlich war die Folk-Oper der New Yorker Sängerin und Gitarristin, dass unter anderen Ani DiFranco, Justin Vernon (Bon Iver) und Ben Knox Miller (The Low Anthem) Gesangsrollen übernahmen.
Auf diesem neuen Album, „Young Man In America“, ist das Konzept nicht so hehr, und den Gesang übernimmt die Künstlerin selbst. Gleichwohl ist Mitchells viertes Werk wieder fabelhaft: Mit New Yorks Geheimtipp-Produzent Todd Sickafoose kreiert sie einen lehmigen, toffeefarbenen Klang aus akustischen Saiteninstrumenten, reduzierter Perkussion, toll gesetzten mehrstimmigen Gesängen und abgedunkelten Bläsersätzen. Wie das Banjo mit den Trompeten zusammenspielt, das ist ein bisschen wie bei Sufjan Stevens, während Mitchells erzählerischer, gleichzeitig mädchenhafter und scharfsinniger Ton freilich wiederum an Ani DiFranco erinnert, die Mitchell einst einen Plattenvertrag gab.
Der Kern des Albums ist das Titellied, eine Studie des jungen amerikanischen Mannes, den Mitchell mit einer Mischung aus Anteilnahme und Beklemmung als gefährliches Muttersöhnchen beschreibt. Um dieses Lied gruppieren sich Kompositionen, die oft mit nur einer Akkordfolge auskommen, vollendete Skizzen, die das Werk ein wenig wie ein Konzeptalbum wirken lassen (es ist wohl auch eines). Mütter, Väter, Hirten, Vater Abraham: Mitchell braucht archaische Worte für archaische Zusammenhänge und macht ein großartiges Album, das dem jungen Jahr einen frühen Höhepunkt beschert. (Wilderland) Jörn Schlüter
Beste Songs: „Young Man In America“, „Shepherd“