Baby Bird – The Original Lo-Fi :: Sanctuary

Der Musiker Stephen Jones hat mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass er jemals ernst genommen wird. Er hat es geschafft. Kein Mensch wird die fünf Alben mit den alten Kassettenrekorder-Aufnahmen, die in diesem Box-Set nach sieben Jahren endlich unlimitiert erscheinen, als leidlich interessante, sonderliche Vorstufen zu den folgenden HiFi und Band-Platten betrachten: Sie sind schon die Essenz seines Werkes. „If someone eise had been in the room, the freedom to experiment would never have been there“, schreibt er selbst über die masturbatorische Aufhahmesituation, und spätestens bei „You’re Gorgeous“ war die Bude eben voll.

Angeblich wohnte der Langzeitarbeitslose im Sozialblock in Nottingham, vertrieb sich mit Instrumenten vom Dachboden die Zeit und nahm zwischen 1988 und 1995 über 400 Stücke auf. Im aufschlussreichen Booklet der Box dankt er dem Freund, der in seinem Auftrag entscheiden musste, welche davon für die Veröffentlichung taugten. Eine Einzelbeurteilung der damals im Selbstverlag erschienenen Platten macht kaum Sinn, weil kein Song datiert wurde und die thematischen Zusammenhänge beliebig wirken: Geburt („I Was Born A Man“), Jugend („Bad Shave“, die ich für die beste halte), Reife („Fatherhood“, die viele andere für die beste halten), Lebensherbst („The Happiest Man Alive“). Allein die Todes-Platte „Dying Happy“ klingt tatsächlich wie eine Himmelfahrt, mit ätherischen Stimmen, verhallten Xylofonen, ähnlichen Ambient-Stilmitteln wie bei Sigur Ros.

Man merkt schon, Baby Bird geht es nicht um die gewohnte Lo-Fi-Motivation, Gefühlszustände oder ungeduldige Inspiration so unmittelbar wie möglich einzufangen. Obwohl die 82 Stücke (plus 16 bisher unveröffentlichte, unbetitelte auf der Bonus-CD) am Stück so schwer durchzustehen sind wie fünf Stunden Alkoholikertherapie oder Beichtstuhl, ist Jones um maximale Verkünstelung bemüht, die nur durch die Unzulänglichkeit seines Instrumentariums begrenzt wird: um gewaltigen, verzerrten Rock’n’Roll-Sound, um scherzhaften Manierismus, um Illusion. Er singt als eingesperrter Engel blasphemische gregorianische Choräle mit sich selbst, imitiert grandios Johnny Cashs Sprechdiktion, bringt pointierte Pop-Hits, Bing-Crosby-Romantik („I’m drugged up the eyeballs with this natural caffeine called love“) und Comedy (im Song „Bad Jazz“, der genau das ist).

Freilich trübt im Durchschnitt jede banale Zwischendurch-Dudelei das Bild, deshalb: Nutzwert klein, Repertoirewert hoch. Vielleicht das einzige dokumentierte Pop-Werk, in dem der Nihilismus eines Künstlers so mystifiziert und sinnhaft wirkt, weil er auf derart manische Art zu Musik gemacht wurde.Jones sagt, die Aufnahmen seien eigentlich nicht für fremde Ohren bestimmt gewesen. Das ist gelogen.

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