Bob Dylan :: The Bootleg Series Vol. 5 – Live 1975
Die vielumjubelte und medial ausgeschlachtete Comeback-Tour mit The Band 1974 war Bob Dylans Ding nicht. Eine nostalgische Reise in bessere Zeiten, auf der jede noch so uninspirierte Version eines Klassikers frenetisch gefeiert wurde. Alles schien aus dem Ruder zu laufen, die alten Songs waren ihm fremd geworden. Auf der Suche nach seiner künstlerischen Inspiration, die er irgendwo auf dem Weg verloren hatte, flüchtete er sich zunächst in die Malerei, lernte allerhand über Perspektiven und Schattierungen und arbeitete damit auch musikalisch – das Ergebnis: „Blood On The Tracks“. Mehr als nur ein Lebenszeichen.
Kurz darauf kehrte Dylan aus seinem Haus in Malibu zurück nach New York, ins Village, wo alles angefangen hatte. Die Freunde aus Folk-Tagen fand man noch immer auf Partys und in den Clubs. Mit dem Off-Broadway-Komponisten und McGuinn-Kollaborateur Jacques Levy erkundetete er hier lyrisch neues Terrain. Die Songs, die später auf „Desire“ landen sollten, waren Erzählungen, kleine Filme gar: „Isis“, „Joey“, „Romance In Durango“. „Hurricane“ hatte gar wieder was vom alten Protest-Gestus, den Dylan wohl hauptsächlich dazu nutzte, den alten Geist heraufzubeschwören, kurz: die Folkies wieder für seine Zwecke zu mobilisieren. Er ging mit einigen Freunden und der Geigerin Scarlett Rivera, die er auf der Straße auflas, ins Studio und nahm die neuen Songs unter chaotischen Umständen auf. Doch am Ende triumphierte er, war wie elektrisiert, konnte nicht mehr still sitzen, packte die seltsamsten Leute, die er in New York finden konnte – Folkies, Hippies, Beatniks – in einen Bus und zog mit ihnen durch Schulaulen, Sporthallen und Eishockey-Arenen im Nordosten der USA bis rauf nach Kanada. Diese seltsame Mischung aus Theater, Poetry-Lesung, Folk-Abend und Rock-Show nannte er „The Rolling Thunder Revue“.
Dylan schien endlich seine alten Songs wieder im Griff zu haben, spielte mit ihnen, deutete sie in große Narrationen um. Zu hören ist dieses Schauspiel jetzt auf „The Bootleg Series Vol. 5 – Live 1975“. Vor allem „Simple Twist Of Fate“ und „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ gewinnen durch die Bearbeitung, „Tonight I’II Be Staying Here With You“ und „A Hard Rain‘ A-Gonna Fall“ erscheinen im Rock-Outfit. „He sounds like an emperor of sound“, jubelte Allen Ginsberg. Dylans energischer Gesang funktioniert bei diesen Stücken mit voller Band-Begleitung, wo er sich in die oft tumultartigen Backings fallen lassen kann, weitaus besser als bei vielen der reduzierten Darbietungen – zumindest wenn diese nicht die narrative Dichte eines „Tangled Up In Blue“ besitzen. Wenn Folkschnatze Joan Baez, die schon bei den Proben immer nur die alten Protestsongs tirilieren wollte, einsetzt, wirkt Dylan wie angeleint. „Blowing In The Wind“ gerät so zum Debakel. Die neuen Songs strahlen hier dagegen schon heller als auf den Studioaufnahmen zu „Desire“, das wenig später erschien.
„Live 7975“ ist keine Dokumentation der „Rolling Thunder Revue“, auch wenn das auf dem Cover steht und die hier enthaltenen Songs von vier Konzerten der Tour stammen. Denn die Performances der anderen Künstler, von Mick Ronson bis Ramblin‘ Jack Elliot, die in den etwa dreieinhalbstündigen Shows ihre kleinen Solosets hatten, fehlen hier. Wenn man die ausführlichen liner notes von Larry „Ratso“ Sloman oder gar sein Buch „On The Road With Bob Dylan“ gelesen hat, bedauert man das. Nichtsdestotrotz liegt hier ein Dokument vor, das eindrucksvoll zeigt, wie Dylan auf der Bühne zur schöpferischen Kraft der 60er Jahre zurückfindet. „Thanks für coming. We’ll be in the alley fora few days, maybe we’ll see you tomorrow night“, raspelt Dylan am Ende heiser. Auch in unserer Gegend treibt sich der Alte heut noch gelegentlich rum, ob er die alte „Rolling Thunder“-Magie noch mal zurückholen kann? Of course he can.