Bruce Springsteen :: Tracks: BRUCE ON THE TRACKS

Die Brucology blieb geheim, bis das 4-CD-Set im Laden stand. Dafür sorgte Springsteens Manager Jon „Ich habe die Zukunft gesehen“ Landau, den die Angst vor Internet-Piraterie umtrieb. Es muß diesen Mann körperlich geschmerzt haben, daß sich die zahllosen Bootlegs jahrelang seinem Zugriff entzogen. Womöglich hat er damals auch gar nicht die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen, sondern bloß die Farbe des Geldes.

Bruce, noch nie gut beraten von seinen Vertrauten und Freunden, verdankt Landau und Steve „Miami“ Van Zandt, wie man seit einiger Zeit weiß, „Dancing In The Dark“ und überhaupt die kommerzielle Zurichtung von „Born In The U.S.A.“. Sogar die zehn vorab von Zerberus Landau zur Verfügung gestellten Songs von „Tracks“ waren unglücklich ausgewählt: Mit Stücken aus der unseligen Zeit von „Human R“Touch“, „Lucky Town“ und der anästhesierenden Volkstrauer-Hymne „Streets Of Philadelphia“ ist Springsteen natürlich schlecht repräsentiert. Es erinnert an Phil Collins, der zu seiner Verteidigung kürzlich folgendes anmerkte: Zu behaupten, er, Collins, könne keine Songs schreiben, sei ebenso wahrheitswidrig wie die Behauptung, „Nebraska“ sei Bruce Springsteens bestes Album. Allein, „Nebraska“ ist Bruce Springsteens bestes Album.

„Tracks“ ist für den Brucologen eine wunderbare, eine reiche und erhellende Sammlung. Es ist bewegend zu hören, wie gut Springsteen schon zur Zeit seines Debüts „Greetings From Asbury Park, N.J.“ war: Trotz der offenkundigen Schwächen der Band sind die Fabeln „Seaside Bar Song“, „Zero And Blind Terry“ und vor allem das sagenumwobene „Thundercrack“ (eine Vorstudie von „Thunder Road“, aber mit den Ausmaßen von „Jungleland“) ganz auf der Höhe seines Könnens.

Leider sind diese 66 „Tracks“ nicht streng chronologisch, wohl aber nach Phasen geordnet. Seltsamerweise gibt es fast keine Stücke, die zu „Born To Run“ und „Darkness On The Edge Of Town“( „Iceman“ von 1973 ist eine verblüffende Vorstudie von „Racing In The Streets“) hinfuhren, wohl aber solche aus den produktiven „The River“ Aufhahmen: Mit einigen der Songs hätte man trefflich die plattesten Klischeelieder von „The River“ ersetzen können. Was aus „Born In The U.S.A.“ hätte werden können, erfährt man immerhin am Beispiel des Titelsongs, der später den blühenden Unfug auslöste: Ohne den Einsatz des Schlagzeugers Max „Bummbatsch“ Weinberg und der Produzenten Chuck Plotkin, Landau und Van Zandt ist es ein schlichtes und ergreifendes Lied von derselben Unmittelbarkeit und Schärfe wie die „Nebraska „-Lieder, verhallter Rockabilly. Das „long gone daddy in the USA.“ klingt hier so wie der Verzweiflungsschrei „hi-ho-silver!“ von Johnny 99″.

Manche Songs kennt der Aficionado bereits von B-Seiten oder sonstwie, etwa „Shut Out The Light“, „Janey Don’t You Lose Heart“, „Pink Cadillac“ und „Johnny Bye-Bye“. Die Schwankungen in der Qualität sind bei Springsteen berüchtigt. Einflüsterungen hilflos ausgeliefert und selbst nicht kritisch über das eigene Schaffen unterrichtet, fehlt es ihm an Kontrolle. Die Verklärung Springsteens als Charismatiker und Ekstatiker, natürlich auch von ihm verschuldet, verhindert die Analyse seiner Doppelnatur: So ist die verspottete Apotheose von „Cars & Girls“ bloß die Metaphorik für die spirituelle Suche, ja Metaphysik, die mit „Nebraska“ im blanken Nichts endete, in einer vollkommenen Finsternis und Klarheit, wie selbst Bob Dylan sie nur auf „Time Out Of Mind“ erreichte. Bruce Springsteen gehört wie Thornton Wilder und John Steinbeck, John Ford und Martin Scorsese zu den großen amerikanischen Erzählern.

Man höre die „Fracks“ und danach „Meeting Across The River“, das Finale von „Jungleland“ oder „Atlantic City“. Wenn Bruce Springsteen nie wieder einen Song schriebe – dies wäre genug.

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