Drucksachen
„TO HELL AND BACK WITH CATATONIA“(FirefyPub.), ca. 40 Mark) von Brian Wright ist wohl eines der wenigen leidlich lesenswerten Bücher über Künstler, deren Karriere noch keine zehn Jahre auf dem Buckel hat. Was könnte so ein angebrochenes Leben schon bieten an großen Erkenntnissen? „The Wit And Wisdom Of Mariah Carey“: das kürzeste Buch aller Zeitenl Nein, Wright bläst nicht auf, er erzählt nur, entwaffnend ehrlich, aus der Perspektive eines Süchtigen, der sich seiner Krankheit stellt. „My name is Brian and I am a Cataholic“, beginnt seine Beichte. Hi Brian. 3,0
„LEXIKON DER SINGER & SONGWRITER“ (Lexikon Imprint, 30 Mark) von Christian Graf ist Schubladen-Geschreibsel mit Fleiß, jedoch ohne Sorgfalt. Der Autor, der bereits mit dem „Punk-Lexikon“ am Markt ist und derzeit ein „Lexikon der Neuen Deutschen Welle“ vorbereitet und ein „Deutschrock-Lexikon“, arbeitet offenbar nach dem Prinzip Pi mal Daumen. Anders ist die exorbitante Fehlerquote nicht zu erklären. Allein im Eintrag zu Emmylou Harris finden sich zwei Dutzend falsche oder halbwahre Aussagen, darunter veritable Klopse. Emmys spröde folkrockendes Frühwerk „Gliding Bird“ deklariert Graf zur „Country-LP“, während „Bluebird“, ihr wohl mainstreamigster Country-Rock-Erguss mit E-Gitarren und allerlei Synth-Kleister hier als „rein akustisches, schwermütiges Album“ firmiert. Schlimm wird’s, wenn die Angel Band zur Hot Band mutiert, noch schlimmer, wenn „Boulder To Birmingham“, Emmylous erschütternder Abschied von Gram Parsons, unmittelbar unter dem Eindruck seines Todes verfasst, Dolly Parton gutgeschrieben wird. 1,5 „CALLING OUT AROUND THE WORLD – A MOTOWN READER“ (Heiter Skelter, ca. 45 Mark) herausgegeben von Kingsley Abbott, erweist sich als hochinformatives und phasenweise vergnügliches Lesebuch zum Motorcity-Soul, seinen Wurzeln, Produktionsbedingungen und seiner Rezeptionsgeschichte in den USA und im UK. Besonders erhellend sind die Beiträge zu Junior Walker, Kim Weston und den Marvelettes. Top-Ten-Listen und eine komplette UK-Discographie befriedigen den Trainspotter und Info-Freak in uns. Tamla-Magie, fein portioniert. 4,5 „STAMMBAUME UND DISKOGRAPHIEN 5“ (Star Cluster, 70 Mark) von Heinz-Dirk Zimmermann ist wie stets ordentlich recherchiert, mit Akribie kompiliert und diesmal ein Muss für Fans der Grateful Dead sowie von Jefferson Airplane/Starship, Ouicksilver Messenger Service und Moby Grape, verdienstvollerweise inklusive sämtlicher Soloaktivitäten der involvierten Musiker. 4,0
„POSITIVELY 4TH STREET“ (Bloomsbury, ca. 70Mark) von David Hajdu liefert mehr als nur ein paar Mosaiksteinchen für das Verständnis eines Quantensprungs in der Musikgeschichte: die Rockwerdung des Folk in Amerika. Das formidable Gerüst dafür hatten vor langer Zeit bereits Jim Rooney und Eric Von Schmidt gebaut mit „Baby Let Me Follow You Down“, dem essenzieilsten aller Bücher über den Komplex Folksong und Politik in den Fifties und Sixties. Hajdu nimmt „The Lives And Times Of Joan Baez, Bob Dylan, Mimi Baez Farina And Richard Farina“ so der Untertitel, als Pars pro toto, setzt die Lupe an und studiert en detail. Vier Beatniks im Greenwich Village, ebensoviele Träume und was aus ihnen wurde bis 1966, als Richard Farina bei einem Motorradunfall ums Leben kam.
Die Rollenverteilung des Dramas, so der Autor, drängte sich auf: Farina, der Visionär, unangepasst, kühn, souverän. Dylan, der Dieb, aufmerksam, egoistisch, unsolidarisch. Mimi & Joan Baez, die Dulderinnen, beseelt, hilfsbereit, idealistisch. Vieles von dem, was Hajdu mithilfe zahlreicher Zeitzeugen unters Brennglas legt, ist bekannt und verbürgt. Doch gewährt er auch Einblicke ins Privateste, macht den Leser zum Komplizen bei Schlüssellochattacken auf die Intimsphäre der handelnden Personen. Der Brief, den Joan aus London an ihre Schwester schreibt, verzweifelt und ratlos ob der Allüren Dylans. Und dessen intrigantes Treiben beim endlich erfolgreichen Mühen, die lästige Ex-Geliebte loszuwerden. Am Ende muss der Leser seine kritischen Fakultäten versammeln, um das Urteil anzufechten, das diese Biografie fällt: Bob Dylan ist ein opportunistisches Arschloch. 4,0 „TONABNEHMER“ (Daedalus,39 Mark) ist ebenfalls ein Reader, über „Populäre Musik im Gebrauch“. Die Herausgeber Harald Justin und Nils Plath haben rund 25 Texte aufgeboten, die sich auf höchst unterschiedlichsten Abstraktions-Plateaus bewegen und deren Lektüre nur ausnahmsweise mit Gewinn verbunden ist. Nicht einmal so sehr wegen der spätstuden- tischen Semiotikhuberei und Theoriebeflissenheit, das auch. Vor allem, weil der geschraubte Gestus selten mit dem Wesen des Beschriebenen korrespondiert oder, wie im Falle Fußball/Pop, bereits völlig ausgelutscht ist. Den entgegengesetzten Weg gehen Thomas Meine-cke und Thomas Palzer, deren treudoofer, „Was war eigentlich an Amanda Lear gut?“ betitelter Dialog das Profane feiert, als könne man am Kot erkennen, wie nahrhaft das Essen war. Stinken tut’s halt, gell? P.: „Was war denn damals an ihr gut?“ M.: „Sie war auf jeden Fall nicht zu gut. Deswegen war sie gut, sozusagen. Also, man sucht ja das Schlechte im Guten, sozusagen.“2,0