Mario van Peebles: Panther
Der afroamerikanische Film hat keine Tradition. Das Kino, das Amerikas Sicht auf die Welt, und so die Sicht der Welt auf Amerika prägte, stammt aus Hollywood. Dieses Diktat ist nicht nur weiß. Es ist Teil des Hegemoniestrebens einer Nation, die schon mit Coca-Cola und McDonald’s den Geschmack internationalisierte, und im Kino die Emotion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner perfektionierte. Wenigen gelingt es, dieses mythologisierte Monopol zu brechen. Einige Völker kopieren den Amerikanismus, Frankreich schottet sich gegen den Kultur-Imperialismus mit immer groteskerem Protektionismus ab. Die amerikanischen Schwarzen aber, denen Elvis Presley den Rock-’n’Roll und John Wayne die Pionierverdienste im Wilden Westen raubte, müssen innerhalb dieses Systems kämpfen, um es zu überwinden oder ein Teil der Macht zu werden. Über den Weg zur eigenen Identität und für mehr Rechte ist die block Community zerstritten. Die Frage, ob den Weißen „by any means necessary“ nach Malcolm X oder mit Martin Ludier Kings „by peaceful means“ zu begegnen sei, hat sich durch die Bandenkriege in den Slums von Los Angeles längst in schwarzer Selbstzerstörung manifestiert. >m Leben und Sterben im Getto erzählen Filme wie „Boyz ‚N The Hood“ und „Menace II Society“, die erstmals einen eigenen Blickwinkel gefunden haben – und vor allem zur Reflexion über die eigene Verantwortung. Weiße kommen hier nicht vor, nicht als Freunde, erst recht nicht als Feindbad. In „Boyz ‚N The Hood“ schlägt und schikaniert ein schwarzer Cop die schwarzen Jugendlichen. Und „Menace II Society“ focussiert schon am Anfang den Brennpunkt als Ausgangspunkt für die Misere: „Im Getto weiß man nie, was passieren wird und kann.“ Ein Wort, ein falscher Schritt können vor dem Lauf LEINWAND Neu im Kinoeiner Pistole enden. Die Gesetzmäßigkeit von Gewalt und Gegengewalt im Getto hat Spike Lee, der Pädagoge und Pate unter Amerikas schwarzen Filmemachern, zuletzt in „Do The Right Thing“ kanalisiert. Aber seine Botschaft erstarrt im schwarzweißen Schema: Weiße und Schwarze passen nicht zusammen. Folglich inszenierte er „Malcolm X“ im Stil eines Hollywoods-Epos als schwarze Variante zu George Washington. Aber nicht einmal die eigenen Leute wollten diesen Film sehen. Auch Mario Van Peebles weiß um das Desinteresse vieler Afroamerikaner an ihrer Historie. Er ist in Hollywood groß geworden, hat in „Heartbreak Ridge“ neben Clint Eastwood gespielt, einen TV-Preis erhalten und 1990 sein Regiedebüt „NewJack City“ gedreht Der Action-Thriller über Gangster-Yuppies und Crack-Dealer war im Rhythmus des Rap montiert, und auch die Motive waren cineastische Samples. Seinen schwarzen Western „Posse“ entlehnte er „Rio Lobo“ von Howard Hawks. Van Peebles eignet sich den amerikanischen Mythos an, um die Rollen der Weißen auf Schwarzen zu verteilen. Er instrumentalisiert Hollywoods Illusionen für seine Interpretationen – und wurde ein Virtuose ohne eigenen Stil. Mit „Panther“ hat Van Peebles einen Abschnitt des schwarzen Widerstands verfilmt, der wie das Wirken von Malcolm X umstritten ist und der Öffentlichkeit oft nur durch weiße Hetzartikel bekannt wurde. 1966 gründeten Bobby Seale und Huey P. Newton in Oakland die Black Panther Party fbr Self-Defense, ebenso militante wie im Alltag praktische Guerillas. Mit dem Gewehr in der Faust organisierten sie einen Frühstücksund Bus-Service und patroullierten nachts auf den Straßen schwarzer Viertel. Weil sie Maos Fibel verkauften, ihre Mitglieder paramilitärisch in hierarchischen Kadern drillten und bewaffnet das Capitol von Sacramento besetzten, wird der Rassismus des FBI-Fürsten Hoover zur kommunistischen Paranoia. Er erklärt die Panther zum Staatsfeind Nr. 1. In der Rap-Gruppe Public Enemy setzen sich Attitüden und Aussagen der Black Panther fort. Und da Rapper als Sprachrohr der Jugendlichen fungieren, setzte Van Peebles sie immer als Identifikationsfiguren in seinen Filmen ein: den Gangsta Ice-T als Cop in „NewJack City“, Big Daddy Kane, Tone Loc und Soul-Sänger Isaac Hayes als Cowboys in „Posse“. Nun spielt Rapperin Nefertiti die ersten Frau bei der Panther-Miliz. Das Drehbuch, verfaßt von Melvin Van Peebles nach seinem Roman, hält sich an die bekannten Fakten. 1970 drehte der Senior „Sweet Sweetback’s Baadasssss“, worin der kleine Mario seien ersten Auftritt hatte, und den die Panther als Lehrfilm empfahlen. „Panther“ beginnt nun mit dem Ruf „We shall overcome“, Dokumentar-Aufhahmen von den Rassenunruhen in den 60er Jahren, schnell geschnittenen Bildern und Zitaten von Malcolm X und Martin Luther King. Dann erklingt James Browns „I Feel Good“, und der Film kippt mit warmen Farben ins pralle Leben. Ein schwarzer Junge schielt nach den Beinen einer drallen Schönen, überquert die Kreuzung – und wird von einem Wagen überfahren. Es kommt zu Protesten der schwarzen Anwohner, die eine Ampel forden, weiße Polizisten knüppeln die Menge auseinander. Als fiktiver Erzähler leitet Vietnam-Veteran Judge (Kadeetn Hardison) durch diese Geschichtsstunde, eine klassische Dramaturgie wie die Anfangs-Sequenz. Er schließt sich Bobby (Courtney B. Vance) und Huey (Marcus Chong) an, die zornig Selbsdiilfe proklamieren. Die Bewegung wächst, das Mißtrauen der weißen Autoritäten auch. Huey wird zweifelhaft unter Mordanklage gestellt. Der demagogische Journalist Cleaver (Andiony Griffith) befehligt einen Anschlag, der zahlreiche Massaker nach sich zieht. Van Peebles deutet die Rivalitäten nur an, die in der Black Panther Party irreparable Krisen auslösten. An den Pranger stellt er symbolisch für weiße Manipulatoren den schwitzenden FBI-Agenten Brimmer (Joe Don Baker), der Judge zum Judas machen und mit Drogen die schwarze Einigkeit und Moral versetzen wilL So bläht er eine Wahrheit zum Fanal auf, und sein Revisionismus verkommt zum Revanchismus. Die eigene Schuld am Verfall der Black PanuSer ist lediglich im Begleitheft nachzulesen. So folgt Mario Van Peebles der Tradition von Oliver Stone. Oliver Hüttmann