Mike Figgis: Leaving Las Vegas

Mai Kann es einen Grund geben, sich um seinen Verstand zu trinken? „Ich weiß nicht, ob ich angefangen habe zu trinken, weil mich meine Frau verlassen hat“, lallt der gescheitelte Drehbuchautor Ben (Nicolas Cage) zu einer Hure, die ihm am Finger saugt und dabei seinen Ehering abstreift, „oder ob sie mich verlassen hat, weil ich mit dem Trinken angefangen habe.“ Es ist egal, denn „Leaving Las Vegas“ handelt nicht vom Anlaß zum Trinken, sondern vom Trinken zum Tode. Fatalistisch pfeift Ben ein Lied, während er im Supermarkt Schnapsflaschen im Einkaufswagen stapelt und am Regal mit Mineralwasser vorbeitänzelt. Wer zu ihm sagt, er sei betrunken, dem antwortet er: „Nicht wirklich.“ Ben hat den Punkt erreicht, an dem die Vergangenheit verschwimmt und die Zukunft zerschmilzt wie Eiswürfel im Whiskyglas. Seine Gegenwart ist stets ein Drink mehr.

Den letzten Schluck seines Lebens will Ben in Las Vegas nehmen. Der Hure Sera (Elisabeth Shue) gibt er 500 Dollar für eine Nacht, damit sie mit ihm trinkt. Sie überredet ihn, bei ihr zu wohnen. Er verlangt, sie solle ihn nie bitten, mit dem Trinken aufzuhören. Die Sehnsucht der Hure, die Einsamkeit des Trinkers, a love story ohne Happy-End. Mike Figgis zeigt Verlierer, und Vegas ist ihm nur ein Vehikel als Disney-Alptraum, in dem die Sonnenuntergänge das Fegefeuer ankündigen, und die Postkarten-Romantik schmerzt wie Alkohol auf einer Wunde. Ben will nicht gewinnen, sondern verschwinden. Der Film ist ein einziges Delirium, zerrissen und surreal, voller Blackouts und Bilder seelischer Agonie. „Ich liebe dich“, stammeln beide im Casino. Aber sie können sich nicht gegenseitig halten, keiner den anderen retten – sich selbst jedoch auch nicht. Sera wirft ihn aus dem Apartment, um ihn dann doch wieder zu suchen. Ihre Liebe ist so groß, da ihre Tragik noch größer ist. Ben ruft sie erst an, als sie ihn nicht mehr zurückholen, nur erlösen kann. Erstmals kann und will Ben mit ihr schlafen. So wird die Hure zur Heiligen, der Sex zum Sakrament, der Tod zum Trost. Selten war diese Symbolik so schonungslos bewegend.

Die Liebe und die Liebe zum Leben sind immer Gründe, um vergeben, vergessen, saufen oder sterben zu wollen.

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