Paul Auster :: Winterjournal

Niemand wird bei der Lektüre ins Stolpern geraten. Es gibt keine doppelten Böden, kein Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, keine postmodernen Verästelungen. Statt auf das für Auster so typische Kabinett aus Falltüren, Fantasien und Spiegeln blicken wir auf den Schriftsteller, Mitte 60, wie er sich wohl selbst im Badezimmerspiegel betrachten würde. „Du bist in den Winter deines Lebens eingetreten“, hören wir Paul Auster im „Winterjournal“ sagen. Ein beschädigter, verletzter, dem Alkohol nicht abgeneigter Mann.

In den Jahren der „phallischen Besessenheit“ – als junger, armer Poet – war er noch ein ausgewiesener Hurenfreund, insbesondere, wenn das schöne Pariser Straßenmädchen nach vollbrachtem Akt „absolut fehlerlos“ Baudelaire vortrug („einer der glücklichsten Augenblicke deines Lebens“). Jahre später endlich die Begegnung mit der zweiten Ehefrau, der Autorin Siri Hustvedt, „einer der intelligentesten Menschen, denen du jemals begegnet warst“.

Die konsequent durchgehaltene Selbstansprache befeuert den Eindruck einer assoziativen, autobiografischen Selbstentblößung. Wir erfahren aus Listen, was die rechte Hand in den 21 ständigen Wohnsitzen – außer dem Schreiben – so alles getrieben hat: den Hintern abgewischt, masturbiert, Pickel ausgedrückt, den Kindern das Gesicht gestreichelt. Und sehen plötzlich Paul Auster vor uns, wie er vom Spiegel wegtritt und lächelt. Er hat uns wieder einmal an der Nase herumgeführt: Nach dem Winter kommt ja auch für ihn wieder der Frühling. (Rowohlt, 19,95  Euro)

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