Vor 50 Jahren erschien Stephen Kings „Carrie“

Seinen Frieden mit Carrie hat King nie gemacht. Sie sei vom selben Schlag wie die Amokläufer von Columbine

Stephen King – Das Ranking

37. Carrie (1974) ★★★½

Kings Debütroman ist in Wirklichkeit sein vierter, allerdings der erste veröffentlichte. Die pubertierende Carrie White sollte eine der typischsten Figuren in Kings Universum werden: eine mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattete Außenseiterin, die über ihre Feinde hinauswächst.

Carrie diente – hässlich, dick und wohl leider auch nicht sehr intelligent – zumindest als halbwegs adäquates Abziehbild jener Teenager in den Siebzigern, die von Love, Peace und Happiness nicht mehr all zu viel hielten, und die dennoch ihre Eltern verteufelten, deren moralisches Getue und übertriebene Religiösität.

King selbst betonte, dass William Peter Blattys Roman „The Exorcist“ als auch dessen Verfilmung von 1973, die ebenso die Rebellion des Nachwuchses abbilden, ihn nicht beeinflusst hätten.

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All das macht „Carrie“ zu einem Roman, dessen Bedeutung für seine Zeit wahrscheinlich noch höher einzuschätzen ist als seine tatsächliche literarische Qualität. Der deutsche Filmtitel „Carrie – des Satans jüngste Tochter“ hat zwar einen heutzutage in der Industrie arg vernachlässigten Genitiv-Filmtitel, verkennt jedoch die Thematik. Mit Satan hat Carrie nichts zu tun. Sie ist ein Opfer. Es ist ihre Adoleszenz, die Periode, die zu den Schwankungen führt. Vor seiner Schriftsteller-Karriere arbeitete King als Lehrer. Er hat mitbekommen, was Mitschüler anderen Mitschülern antun können.

Zwitter aus Roman und Doku-Fiktion

Hier jedenfalls bringt Carrie am Ende ihre wahnsinnige Mutter um, die ihr Tochter am liebsten als Jungfrau konservieren würde. Das böse Ende der Matriarchin ist sowohl King gelungen, als auch Regisseur Brian De Palma, der „Carrie“ zwei Jahrs später ins Kino bringen sollte. Im Film wird Margaret White (Piper Laurie) ausgerechnet von Kruzifixen durchbohrt, die Carrie telepathisch abfeuert. Der Roman ist nicht minder brutal – darin redet die Tochter mantra-artig auf Mama ein und verlangsamt damit deren Herzschlag bis zum Stillstand.

Im Gegensatz zur Hollywood-Version, in der Carrie (Sissy Spacek) zumindest Mitgefühl erregt, bleibt man zum Roman-Charakter in erstaunlicher Distanz; vielleicht, weil sie sich selbst kaum in den Mittelpunkt stellt und die wenigen Hilfestellungen ihrer Mitschüler kaum zu nutzen weiß. Stattdessen werden Sue Snell und Tommy Ross zu Identifikationsfiguren.

Möglicherweise war Stephen King sich selbst nicht darüber im Klaren, wie er „Carrie“ am besten erzählen sollte. Er entschied sich für eine bisweilen sperrig zu lesende Zwitterform aus Roman und Doku-Fiktion, anhand von Zeitungsberichten, die vom mörderischen Treiben der übersinnlichen Carrie berichten.

Bereits in seinem Debüt aber dreht King die Story so, dass es nicht nur einzelne Personen, sondern eine ganze Gemeinschaft ist, von der das Schlechte Besitz ergriffen hat. Am Ende fliegt, den Nachbarorten Derry („It“) und Haven („The Tommyknockers“) sollte es später ähnlich ergehen, fast die ganze Stadt Chamberlain in die Luft.

Ein Jahr nach Veröffentlichung hatte der 28-Jährige von seinem Roman mehr als eine Million Taschenbücher verkauft. Der Mann, der in einem Wohnwagen zuhause war, war nun ein gemachter Schriftsteller. Sein Frieden mit Carrie hat er jedoch nie gemacht. Er mochte sie nicht, schrieb er in seinen Memoiren „On Writing“, sie sei vom selben Schlag wie die Amokläufer Eric Harris und Dylan Klebold.

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