Richmond Fontaine :: The High Country
Willy Vlautin entwirft eine nuancenreiche Americana-Geschichte.
Was so klingt wie die trivialste aller Schundliteratur-Romanzen, entpuppt sich auf „The High Country“ als ergreifende Beziehungsstudie: Zwischen der Angestellten eines Auto-Ersatzteillagers und einem Mechaniker entspinnt sich eine zarte Liebe. Willy Vlautin, Sänger und Songschreiber von Richmond Fontaine, hat diese Geschichte im rauen Milieu von Portland angesiedelt. 2006 erschien bereits sein an Carver und Steinbeck geschulter Debütroman „The Motel Life“, der gerade mit Emile Hirsch verfilmt wird. Ähnlich existenzialistisch erzählt Vlautin auch in musikalischer Form.
Deborah Kelley von den Country-Rockern The Damnations übernimmt die weibliche Hauptrolle in zerbrechlichen Stücken wie „Inventory“ und „The Girl On The Logging Road“. Bis Vlautin in seiner Werkstatt lospoltert, den Garage-Rock auspackt und den verharschten Rohling mimt. „The Chainsaw Sea“ kommt so ungestüm daher wie der ruppige Americana von Whiskeytown. Und Ryan Adams scheint mal wieder nicht weit, wo es balladesk wird, etwa im schön elegischen „The Eagles Lodge“ mit Pedal-Steel.
„The High Country“ ist mehr Soundtrack als Album, Vlautin mehr Storyteller als Songwriter. So sind es weniger die einzelnen Songs als vielmehr die Kapitel einer melodic novel, die hier bis in kleinste Nuancen ausformuliert werden – und am Ende einen eigentümlichen, wehmütigen Eindruck hinterlassen. (Decor/Indigo) Max Gösche
Beste Songs: „The Chainsaw Sea“, „The Eagles Lodge“
Helgi Jonsson****
Big Spring
Der Isländer geht seine zarten Folk-Lieder etwas klarer an.
Big spring: Mit seinem neuen Album lotet das Winterkind Helgi Jonsson den Frühling aus. Natürlich waren die letzten Werken dieser schönen Diskografie von Einkehr und Innensicht bestimmt; das liegt in der Natur dieser sehr isländischen Musik. Nun will Jonsson ein bisschen aus der Introspektion heraus und geht seine Lieder klarer an. Hier und da klingeln die E-Gitarren, nicht selten spielt ein wuchtiges Schlagzeug. Die geschärften Konturen und das etwas weniger verspielte Songwriting tun Jonsson gut, der nichts von seiner zarten Brillanz verliert, von seinem musikalischen Vermögen ohnehin nicht. Die Grenzen weiten sich aber schon: Einiges auf „Big Spring“ ist fast reguläre Popmusik. Ein Lied explodiert zu Glam-Gitarren, eines wird sogar im Reggae-Rhythmus gespielt!
Die bewegendsten Momente dieses wieder famosen Albums bescheren jedoch nicht die Grenzerweiterungen, sondern der gewohnte Folk in Liedern wie „Salt“, „Careful People“ oder dem selbstverlorenen, kathedralengroßen Finale „The Lake“. Jonsson singt die nordischen Balladen manchmal mit Langzeitkollaborateurin (und nun auch Labelchefin) Tina Dico, mit der er seit Jahren auf Dauertournee ist. An jenen Abenden gibt Jonsson erst seine eigenen Lieder zum Besten und verzaubert dann Dicos Programm mit allerlei Instrumenten und scheinbar endlosem melodiösen Gespür. Ebendas prägt auch „Big Spring“. (Finest Gramophone) Jörn Schlüter