Roger Waters :: The Collection
Gesamtwerk-Box mit den Alben des englischen Grüblers seit 1984
Seit „Animals“ hat Roger Waters es mit dem Stückwerk: „Pigs On The Wing 1“, „Pigs On The Wing 2“, „Pigs (Three Different Ones)“. Auf „The Wall“ gibt es zwei Teile von „Another Brick In The Wall“. Auf seinem ersten Solo-Album hören wir „The Pros And Cons Of Hitch Hiking Part 10“. Auf „Amused To Death“ gibt es zwei Teile von „Perfect Sense“ und „Late Home Tonight“ sowie drei von „What God Wants“.
Und ist das Werk von Roger Waters mehr als die Summe seiner Teile? Ein Teil jedenfalls fehlt hier: „The Final Cut“ von 1983, das letzte Album mit Pink Floyd, Waters‘ schmerzliche und schmerzvolle Katharsis, die von seinem Vater handelt, der aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückkehrte, und dem kleinen Roger, der für immer am Southampton Dock wartet. Zum zweiten Lebensthema wurde das Verdämmern des Freundes Syd Barrett, mit dem der junge Waters als Songschreiber in Konkurrenz stand. Schon bei „A Saucerful Of Secrets“ hatte Waters das Kommando übernommen und nicht nur „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ geschrieben – er wird schnell unfroh, wenn er heute nach dem Genie des toten Freundes gefragt wird.
Das dritte Lebensthema des Roger Waters ist auch das Thema des letzten Jahrhunderts: die Kommunikation. Wie ein Marshall McLuhan ohne theoretisches Rüstzeug stürzte sich Waters nach dem Misserfolg mit dem wirren, nur psychoanalytisch zu deutenden Irrsinnswerk „The Pros And Cons Of Hitch Hiking“ (1984, x{2605}x{2605}) in seine Medienkritik. „Radio K.A.O.S.“ (1987, x{2605}x{2605}x{2605}) enthält verhältnismäßig konzise, kurze Songs, nach Art der Zeit mit Synthesizern und Saxofon instrumentiert, und handelt von einem Radiosender in Los Angeles, der naturgemäß wenig gute Nachrichten zu verkünden hat; am Ende immerhin „The Tide Is Turning (After Live Aid)“ – da wurde Waters ein einziges Mal vom Optimismus getäuscht.
Vier Jahre arbeitete der Monomane an dem Großwerk „Amused To Death“ (1992, x{2605}x{2605}x{2605}1/2), einem ebenso verquasten wie wahnwitzigen Konglomerat von symphonischer Hybris, elegischen Gitarren-Soli, Pop-Fragmenten, Meldungen aus dem Off, kitschigen Chören und unverschämter Anmaßung. „Amused To Death“ bleibt Waters‘ Wunde: Eine Enttäuschung war es, wie diese Lektion über die Seinsvergessenheit des modernen Lebens rezipiert wurde. „Here we are now, entertain us“, sang ein junger Gammler, während Waters Song auf Song türmte, sein Baby am Tianmen-Platz verlor und konstatierte, dass diese Spezies sich zu Tode amüsiert. Der Weltuntergang ließ sich Zeit und war wohltönend.
Im Jahr 2002 raffte Waters ein paar Stücke der Solo-Alben, die noch seine Gnade fanden, zusammen und veröffentlichte die reduzierten (Live-)Versionen samt eines „new demo“ (was das bei ihm sein mag?) als „Flickering Flame“ (x{2605}x{2605}1/2), eine britisch-korrekte Fassung von „Knockin‘ On Heaven’s Door“ inbegriffen. Nun je.
Die Oper „Ca Ira“ (2005, x{2605}x{2605}x{2605}), wiederum ein rotes Tuch für die Pop-Kritik, gestattete Waters den großen erzählerischen und kompositorischen Atem: Vorabend und Ausbruch der Französischen Revolution waren sein Thema – und hier sind seine Pauken und Trompeten, seine Stimmungsumschwünge und Rezitative, seine Geräusch-Collagen und Rokoko-Räusche am rechten Platz. Hier hat sich der Bombast seinen Schöpfer gesucht.
Versöhnlich bringt „In The Flesh“ (2006, x{2605}x{2605}x{2605}x{2605}), die Dokumentation der späten Konzerte, alles zusammen: „Set The Controls“ und „Time“, „Wish You Were Here“ und „Shine On You Crazy Diamond“, „Pigs“ und „Another Brick“, „Amused To Death“ und „Each Small Candle“. Endlich haben wir den idiosynkratischen und pathetischen, den megalomanischen und sensiblen, den populistischen und den intellektuellen, den zweifelnden und den überheblichen, den ganzen Roger Waters. Und wenn aller Pomp, alle Schönheit verklungen sind, spricht sein Werk: Seht, ein Mensch! (Sony) arne willander