ROOTS :: VON JÖRG FEYER

Un-Zeit zwischen den Jahren: die beste Zeit, um Liegengebliebenes zu sichten, das es nicht verdient hätte, unter die Räder der Rückblick-Rundumschläge zu geraten, nur um dann mit dem Vermerk „97 – alt“ versenkt zu werden.

Allen voran wären da die formidablen WHISKEYTOWN zu nennen, die dem sog. „No Depression“-Hype mit einem souveränen Major-Debüt trotzen: „Strangers Almanac“ (Outpost/Universal) schließt die Lücke zwischen Wilco-Eklektizismus und tristesse americaine à la Son Volt ganz profund-pointiert. „Turn Around“ heißt der Über-Hit, doch auch die anderen Songs sichern Anführer David Ryan Adams einen Platz in der ersten Reihe der Gram-Parsons-Nachfolgerschaft. 4,5

Was ein James Mc-Murtry für Texas, das ist GREG BROWN für Iowa: ein gnadenlosbegnadeter Chronist des lost american dreant, ein aufregend-unaufregender Nicht-Sänger, ein grandioser Storyteller, ein Gitarren-Minimalist erster Güte. Auch auf „Slant 6 Mind“ (Red House/Fenn), immerhin schon sein 13. Album, hält der Mann sein hohes Niveau recht mühelos, unterstützt zum Beispiel vom geschätzten Kelly Joe Phelps (siehe RS 12/97) an der Lap Steel-Gitarre. 4,0

Verlaß war auch bisher schon auf MATRACA BERG, zumindest als eine der allerbesten Nashville-Songschreiberinnen. Doch erst mit ihrem jüngsten Album gelingt es Berg, diese Qualitäten auch in eigener Interpretation voll auszuspielen und in einer kongenialen Produktion umzusetzen. So ist „Sunday Morning To Saturday Night“ (Rising Tide/ARIS) neben Kim Richeys „Bitter Sweet“ die überzeugendste „Mainstream“-Country-Arbeit des Jahres (weiblich) geworden. 4,0

Ein kräftiges „Aloha Front Nashville“ (Sugar Hill/Fenn) entbietet derweil DARRELL SCOTT – natürlich nicht, ohne sich abschließend über die Banalität des aktuellen Country-Gewerbes zu mokieren. Dieser Guy-Clark-Gitarrist darf so was, verfügen seine ureigenen Songs doch selbst da über Substanz, wo sie leichtgewichtiger daherkommen. File under. Songwriter, gehobene Ansprüche. Was gleichfalls musikalisch gilt. 3,5

Wer sich nach einem der schönsten Butch-Hancock-Songs benennt – und diesen anständig covert -, weckt schon gewisse Erwartungen. Die können BOXCARS alias Christine Albert & Chris Gage mit ihren „Jumpin‘ Tracks“ (Kickback Rec.) im allerschönsten Twin-Harmonies-Sound durchaus befriedigen. Und wer immer schon mal hören wollte, wie James Brown in einem texanischen Honky-Tonk zurechtgekommen wäre, voilà: „I’ll Go Crazy“. 3,0

Eines der besseren 97er-Tribute-Alben kam ganz unvermutet, denn: Wie spannend kann es schon noch sein, die Stones-Songs nachzuspielen? Antwort: so ziemlich. Zumindest, wenn man sich eben nicht damit begnügt, sie schlicht „nachzuspielen“. Auf „Paint It Blue“ (Ruf Rec.) gelingt dies doch einigen der hier versammelten Blues-Größen, allen voran der neuen Akustik-Hoffhung Alvin Youngblood Hart, der mit „Sway“ und „Moonlight Mile“ nicht gerade die gängigsten „Sticky Fingers „-Exponate hinreißend interpretiert. In memoriam: Das Album birgt auch die letzten Studio-Arbeiten der verstorbenen Blueser Luther Allison und Johnny Copeland. 3,5

1997 war natürlich auch das Bob-Jahr. Und was wäre so ein Bob-Jahr ohne Mutmaßungen über jene, die dereinst… große Fußstapfen… bläh? Mit NEAL COTY und „Chance And Circumstance“ (Mercury/PMS) meldete ein Debütant aus Baltimore nachhaltig Ansprüche an. Daß die vielseitige Song-Sammlung jenseits billiger Schablonen ausgerechnet von Keith Stegall (der sonst in Nashville u. a. den Hat-Act-Tbpseller Alan Jackson verarztet) produziert wurde, und das auch noch ziemlich geschmackssicher, gehört zu den Ironien des Jahres. Oder zu den guten Vorzeichen für das kommende? We’ll see… Die Bob-Nachfolge freilich wird sich kaum in Baltimore oder in Nashville entscheiden. Sie wird sich vermutlich überhaupt nicht entscheiden. 4,0

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