SHORT CUTS :: von Lau & Hüttmann
FORMIDABEL
Ausgerechnet der japanische Elektroniker Haruomi Hosono bezieht sich im Design des neuen Albums seiner Band WORLD STANDARD auf Harry Nilssons „Nilsssson Sings Newman“, nennt es im Untertitel nach Van Dyke Parks „Discover America“ und listet als Vorbilder John Hartford, John Fahey, Bruce Cockburn und Mississippi John Hurt auf. Mit elektronischen Wüstenlandschaften, durchzogen von einsamen Banjos und Klangschatten ferner Lieder, erinnert „Country Gazette“ (Asphodel/RTD) eher an gute Ry-Cooder-Soundtracks. Electro für Leute, die Electro nicht mögen.
Es geht auch anders rum: Die Musik von DZM PROJECT MADOSINI klingt, ab hätte sie ein irrer Programmierer auf selbstgebauten Relais eingespielt, wozu auch zwei Dub-Mixe von Greg Hunter (The Orb) passen. Doch auf „Power To The Women“ (EFA) machen die Südafrikaner nur genuine Zulumusik mit bizarren, aber traditionellen Instrumenten. Lieder voll Loops, rollenden Rhythmen und komplexen Vokalnetzen fern aller Ethno-Klischees.
Sam Coombes ist ein Kumpel von Elliott „Oscar-Nacht“ Smith und Janet Weiss, Mitglied bei Sleater-Kinney. Im gemeinsamen Projekt QUASI verbinden sie das beste ihrer Hauptarbeitgeber zu einem eigenen Mix. Auf „Featuring Birds“ (Domino/RTD) treffen sich wilde Gitarren, milde Melodien, aberwitzige Vokalarrangements, brillantes Songwriting und hemmungsloses Experimentieren. Neo-New-Wave.
Der Labelname Lounge Music sagt es bereits: Diese Musik kann man auch im Sitzen hören, auf Zimmerlautstärke. Und zwar elektronische. Auf „Music For Modern Living Vol. 2“ (Lounge/ 99) gibt es House, Drum’n’Bass, Ambient und andere moderne Clubmusik in mild poppiger Form. Eine hübsche Abhang-Sammlung auch für Leute die ihre Feierabendrolle sonst traditionell zu Westcoast-Pop rauchen.
Wer ihn getroffen hat, weiß nicht nur Nettes über ihn zu sagen, auf Platte ist LINTON KWESI JOHNSON aber immer noch eine Freude. 20 Jahre nach seinem legendären Debüt J>read, Beat An Blood“ erfreut der Londoner Reggaepoet auf „More Time“ (WEA) mit schlau gereimten und elegant gesprochenen Monologen über warmen Reggae-Grooves, die auch mal einen leichten Hang zu Karibik-Pop haben.
Martin Gretschmann hat gerade erst elektronisch die vielgelobten The Notwist unterstützt. Als CONSOLE setzt er auf seinem zweiten Album „Rocket In The Pocket“ (Community Records/ Virgin) allerlei Sounds, Schnipsel und Seltsamkeiten zu schrägen Songs zusammen, in denen Techno, House und Ambient widerhallen und Spezialisten postmoderne Reliquien wie Casio-Sequenzen und Simmons-Beats heraushören werden. Ob analog oder digital: Console macht Geräusche zu Songs, recycelt quasi Audio-AbfalL Ich war ein Byte. Selbst was wie das Funksignal einer Apollo-Raumkapsel klingt, schmeichelt hier wie eine Ballade.
AKZEPTABEL
Für ihre Debüt-EP „Union South Carolina“ bekamen RED STAR BELGRADE in den USA begeisterte Kritiken. Auf dem ersten Langalbum „End Of The Line“ gibt es allerdings nur unauffälligen Americana-Rock, mal folkig, mal hart, mal ambitioniert, mal schluddrig. Eine nette, aber wenig spannende Provinzband.
Alles, was schick, neu und modern ist, fähren SCALA auf ihrem Debüt-Album „To You In Alpha“ (Too Pure/ RTD) vor doch es hilft nichts. Zwischen Breakbeats, Samples, bratzigen Gitarren, sphährischem Gesang, Elektrogrooves und tausend anderen Fusseln verlieren sich die mageren Songs im Nichts. Konzeptlose Gemischtwaren, aber prima Sound.
Von BUFFALO TOM gibt’s ein neues Album namens „Smitten“(Beggars Banquet), auf dem kräftig, melodisch und absolut überraschungsfrei gerockt wird. Ein totsicherer Kauf für alle, die Rock für eine Dienstleistung halten.
Das britische Männerquintett FLYING PICKETS ist der Primus unter den A-cappella-Bands. Auf „Vox Pop“ (Arcade) unterhält es wieder mit üblichen Gassenhauern: natürlich „Time After Time“ von Cyndi Lauper und „Every Little Thing She Does Is Magic“ vom stets gerne genommenen Sting, Sam Browns „Stop“, „Eternal Flame“ der Bangeis, „If I Coud Fly“ von R. Kelly und – „Dream A Little Dream“! Aber auch Noel Gallaghers „Stand By Me“, Neil Youngs „Southern Man“ und Neil Diamonds „Girl, You’ll Be A Woman Soon“, das zuletzt von Urge Overkill famos für „Pulp Fiction“ interpretiert wurde. Kurzweiliger Kehlkopf-Kaminfeuer-Pop. Voxpopuli.
Die MAD CADDIES aus Santa Barbara dreschen auf „Duck And Cover“ (Fat Wreck Chords) launigen Ska, also knappe, schnelle Kracher mit Bläsern, Punk-Schwung, Pop-Einschlag, lateinamerikanischen Rhytmen sowie Gesangs- und Brüllkaskaden. Fetentauglich mit ’ner Kiste Bier.
Ebenso schallt es „Made A Move“ (Dogsteady Records/SPV), dem siebten Album der zwölfköpfigen Ska- und Rocksteady-Kapelle THE BUSTERS aus Deutschland. Vermeidet Kaufen.
Der Trendforscher und Tausendsassa Michael Reinboth glaubt weiterhin an die „Future Sounds Of Jazz“ (Compost Records) – oder eher an die elektronisch zum Schwingen gebrachte Attitüde des Jazz. Auf „Vol. 5“ seiner Talentreihe experimentieren Bands wie Chaser, Calm, Nonplace Urban Field, Fauna Flash, Marshrnellows und andere mit allen neutönenden Spielarten woraus womöglich wirklich neue entstanden sind. Wer vermag das schon zu sagen. Jedenfalls sind es – wie gehabt – Club-Sounds für die nächtliche Autobahnfahrt. Oder für Sex.
Saxophonist Reiner Witzel blies bereits für Udo Lindenberg und Fury In The Slaughterhouse. Auf „Perceptions“ (Lipstick Records/EFA) seines Projektes WITZEL’S VENUE spielt er mit seinem Kollegen David Sanborn, Living-Color-Gitarristen Vemon Reid sowie Percussionisten, Programmierern und Rappern esoterischen Edino-Jazz-Pop. „Jungle Rain“ „Earth Creation“, „Desert Sun“ und „Dance Of The Ants“ müssen die Songs daher heißen. Beim besten Stück, „Goddess Of Greatness“, das mit lässigem Rap an den Acid Jazz der Digable Planets und Dream Warriors erinnert, stört das Saxophon ganz gewaltig. The rest is gone with the wind.
Er war Psychologe, wollte aber Popstar werden, machte Dumpfbacken-New-Wave mit Fischer Z, später dann mistigen Mainstream. Auf „Bigbeatpoetry“ (Motor) entdeckt JOHN WATTS nun die „neue“ Musik, sprich „phatte“ Beats, Samples etc. Dazu reimt er wichtig. Sounds mit Worten von einem erstaunlich unmusikalischen Mucker.
BOSSA CUCA NOVA nennen sich drei brasilianische DJ’s, die auf „Revisited Classics“ (EFA) uralte Meisterwerke von Carlos Lyra, Os Cariocas oder Claudia Teiles einfallslos „remixen“: Die Lieder laufen schlicht durch, und darunter liegt ein stumpfer Beat. Das schreit nach einem neuen Genre: dem Entmixen. Wer macht’s? Westbam?