Tarantino XX
Eine DVD-Box mit Quentin Tarantinos Gesamtwerk offenbart mehr als seinen Fetischismus. Ein Blick auf faszinierende Frauenfiguren
Pam Grier, Uma Thurman
Regie: Quentin Tarantino
Es gab einiges zu bestaunen in Quentin Tarantinos „Django Unchained“. Zum Beispiel die Chuzpe, mit der sich Tarantino über die amerikanische Geschichte hinwegsetzte, um sie mit seiner eigenen Privatmythologie kurzzuschließen. Oder die zahlreichen Perspektivwechsel in seinem Blick auf Amerika, Mitte des 19. Jahrhunderts (und implizit auch heute), die mit jeder Wendung neue Gewaltverhältnisse offenlegten. Und natürlich das Blut, das gleichzeitig an das europäische Genrekino und das historische Unrecht erinnerte.
Tarantino hat mit jedem Film sein Gesamtwerk vertieft und erweitert. In einem Punkt allerdings enttäuschte „Django Unchained“ im Vergleich mit seinen Vorgängern: Ihm fehlte eine interessante Frauenfigur. Kerry Washington empfahl sich jedenfalls nicht für die Ahnengalerie tougher Tarantino-Darstellerinnen. Ihre Auftritte drängten sich auch nicht unbedingt auf, Filmgeschichte zu schreiben. Diesen Part hat inzwischen Christoph Waltz übernommen, von dessen musischen Qualitäten Tarantino öffentlich schwärmt. Früher hat er so von Uma Thurman gesprochen.
Zum Kinostart von „Django Unchained“ ist nun eine DVD-Box mit all seinen Filmen erschienen, inklusive Tony Scotts „True Romance“, dem besten Tarantino-Film, den Tarantino nicht gemacht hat (von ihm stammt das Drehbuch). Die Edition bietet noch einmal erschöpfend Gelegenheit, zu überprüfen, was diesen Sound ausmacht, mit dem er vor 20 Jahren das amerikanische Independent-Kino aufmischte. Das früheste Zeugnis von Tarantinos Befindlichkeiten ist die Diner-Szene in „Reservoir Dogs“, in der der Regisseur selbst zunächst mit sämigem Lächeln eine freie und hochgradig schwanzfixierte Interpretation von Madonnas „Like A Virgin“ zum Besten gibt und die, als einer aus der Männerrunde das Trinkgeld verweigert, in einem kurzen ökonomischen Exkurs über die Rolle von weiblichen Servicekräften im US-amerikanischen Niedriglohnsektor endet. Und das in einem Film über Anzuggangster mit Sonnenbrillen.
Tarantinos Frauenfiguren stammen aus dem Exploitation-Kino seiner Jugend, das weibliche Rachefantasien standardmäßig auf männliche Rollenmodelle projizierte. Filme wie „Mrs 45er“, „Lady Snowblood“, „Ich spuck auf Dein Grab“ oder „Confessions Of A Concubine“ tauchen bei ihm als vage Referenzen auf, aber sein Zugriff auf die Filmgeschichte ist nicht – wie bei Fanboys sonst üblich – klebrig-fetischisiert. Seine Referenzen sind bereits Zitate zweiter Ordnung. Er nimmt die amazonenhaften Attribute einer Foxy Brown und bringt diese in „Jackie Brown“ würdevoll zur Reife. So zieht Pam Grier, wenn sie in der Eröffnungssequenz mit strammem Schritt durch die Flughafenkorridore marschiert, nicht nur ihr Rollköfferchen hinter sich her, sondern hat dazu ein ganzes Repertoire an Filmgeschichte (des Blaxploitation-Kinos) im Gepäck. Griers stolzer Gang ist halb Selbstermächtigung, halb Trotzreaktion. Ihre Geschmeidigkeit und Eleganz können nicht über die Erschöpfung angesichts der verlorenen Kämpfe der Vergangenheit hinwegtäuschen. Tarantinos Filme denken die Geschichte ihrer Figuren immer schon mit.
Der Regisseur nimmt also den umgekehrten Weg des Exploitation-Kinos: Er projiziert sozusagen männliche Rachefantasien auf weibliche Rollenmodelle. (So wie er in „Django Unchained“ die „weiße Schuld“ in Form eines Rachefeldzugs auf ein afro-amerikanisches Rollenmodell überträgt.) Das ist besonders schön in „Death Proof“ zu sehen, dem vielleicht besten Mädchenfilm aus der Feder eines ewigen Jungen. Tarantino schreibt Mädchendialoge zum Verlieben, sie klingen im Gegensatz zum pointendichten Hipster-Slang einer Diablo Cody („Juno“) auch nicht wie ausgedacht, sondern wie belauscht. Reinhören – mehr macht Tarantino eigentlich nicht, wenn seine ‚“Girls“ in einem originalen 1970er Dodge Challenger (der amerikanische Klassiker, mit dem Barry Newman in „Grenzpunkt Null“ die Polizei narrte) eine Spritztour unternehmen. Und Zoe Bell ist eine Macht, wie sie auf die Motorhaube geschnallt den wütenden Attacken Kurt Russells trotzt. Das ist dann doch wieder eine zwangspubertäre Jungsfantasie. Tarantinos Mädchen fahren Musclecars und lesen die italienische „Vogue“.
Einen Fetisch offenbart die DVD-Box dann allerdings doch. Frauenfüße sind in Tarantinos Filmen ein wiederkehrendes Motiv; am prominentesten in der „Wackelzeh-Szene“ aus „Kill Bill“, in der Uma Thurman nach vierjährigem Koma wieder Leben in ihren Körper bringt. In „Death Proof“ versucht Kurt Russell sogar, die Füße von Rosario Dawson zu lecken. Eine Vorstellung, die Tarantino zu beschäftigen scheint. Gerüchten zufolge steht eine Rückkehr von Uma Thurman übrigens kurz bevor; es gibt Pläne für einen dritten Teil von „Kill Bill“. Vielleicht dann ja auch wieder ohne Christoph Waltz.