The Coral

„Butterfly House“

Für die allererste Reihe waren The Coral jedoch immer etwas zu bieder. Sie riskierten nie eine dicke Lippe wie Oasis, Blur oder die Arctic Monkeys – Bands, für die sie schließlich die Shows eröffnen „mussten“. Stattdessen lieferten sie ordentliche Arbeit, waren immer wieder für eine nette Radiosingle gut („Don’t Think You’re The First“, „In The Morning“, „Who’s Gonna Find Me“), bekamen aber nie ein durchgehend befriedigendes Album hin. Zu sehr tendierten sie mal in Richtung Jingly-Jangly-Pop und dann wieder gen Swamp-Rock. Von einem Klassiker wollen wir hier gar nicht reden.

Nun also – nach der „Singles Collection“ von 2008 und dem Fortgang von Gitarrist Bill Ryder-Jones – Album Nummer 6 und The Coral 2.0. Und siehe da: Hier kommt er, der große Wurf, der Ozeane öffnet und überwindet, der vom ersten bis zum letzten Ton überzeugt! Die Band hat die Traurigkeit als Grundstimmung von Episode 1 abgeschüttelt und sich komplett auf das Sinnbild des Schmetterlingshauses eingelassen. Und auch wenn die Texte durchaus vom Verlust der Unschuld und der Vertreibung aus dem Paradies handeln – die Musik ist genau das Gegenteil.

Wir schreiben nunmehr das Jahr 1967, der Liverpooler Cavern Club hat sich in den Laurel Canyon gebeamt, und fünf Pilzköpfe geben das ultimative Motiv für „Absolut Westcoast“-Postkarten. Klischee-Akkorde? Niemals! „Two Faces“ sind die Byrds in Perfektion, der Titeltrack könnte ohne weiteres aus dem Archiv von Crosby, Stills & Nash stammen (ohne Young, aber Neil ist dann doch noch mit einem Rock-Out zugegen!), „She’s Comin‘ Around“ ist eine feine Variation von Simon & Garfunkels „A Hazy Shade Of Winter“. Verantwortlich für den neuen, weicheren Widescreen- Sound sind neben überraschenden Breaks die schmeichlerischen Vokalharmonien. Da hat wohl Produzent John Leckie (entscheidend für das erste Stone-Roses-Album und den Radiohead-Durchbruch mit „The Bends“) die Initiative ergriffen.

Bei der Single“1000 Years“ erinnert James Skellys Gesang gar an den von Mick Jagger auf „Their Satanic Majesties Request“ (auch hier wieder: 1967!). Ein bisschen mutet es an, als würde er unter Wasser singen. Selbst die außergewöhnlichen Britpop-Jahre 1982-84 sind gegenwärtig: Wir wandeln durch die „Pacific Street“ der Pale Fountains, in der die Gitarren schon mal unmittelbar unter dem Kinn landen. Aktuellere Bezüge, nur mit der Lupe zu finden (The Verve schimmern auf „More Than A Lover“ durch, die Tindersticks auf „Falling All Around You“), vervollständigen das Gesamtbild.

Ach, nicht auszudenken, hätten sie auch noch Geigen hinzugefügt! Was hätte Kaiser Franz dann gesagt? „Auf Jahre hinaus werden The Coral unschlagbar sein!“ (Cooperative)

Frank Lähnemann