The Rolling Stones

Goats Head Soup

Polydor (Universal)

1973 schwankten die Stones gran­dios zwischen Bewährtem und künstlerischem Neubeginn

Es gibt Stones-Alben, über die gibt es keine zwei Meinungen. Gewiss gehören gleich die vier dazu, die diesem damals vorausgingen. Als „Goats Head Soup“ im Sommer 1973 herauskam, verwunderte deshalb der Tenor kaum, das Werk bleibe arg hinter den Vorgängern zurück. Später, nachdem Disco und Punk sie zu „Some Girls“ animiert hatten, hieß es, das auf Jamaika eingespielte Album habe den vorübergehenden Niedergang eingeläutet, von wegen Dekadenz, Jetset und eines von guten Geistern und genialen Riffs, aber nie von irgendeinem Dealer verlassenen Keef.

Losgelöst vom historischen Kontext verblüfft nun, wie gut, sprich unverstellt, „Goats Head Soup“ die Verlorenheit der Stones einfängt, bevor sie sich mit „It’s Only Rock ’N Roll“ lässigem Zynismus hingaben: als Band auf der Suche nach sich selbst und ihrer Musik. Weil für die – Dealer hin, Jetset her – auch immer noch Keith Richards zuständig war, birgt das Album auch einen der, sagen wir, drei großen Keef-Momente.

„Coming Down Again“, eher Stimmungsbild als Song und gerade darin so eindringlich, berührt die Malaise ohne Larmoyanz, egal ob es nun um eine Pallenberg/Jones-Nachlese geht oder doch „nur“ um Nadel und Löffel unten im Keller. „Coming down again. -Where are all my friends?“, will Richards wissen und singt nicht nur das so gut wie kaum je zuvor und danach, subtilst begleitet, seine Zerbrechlichkeit in Watte packend. Mick Taylor spielt einen tollen Bass!

Toll Gitarre spielt er auch noch mal, auf seinen letzten Metern mit der Band. Allein diese acht Solotakte Saitenpoesie in „Heartbreaker“! Die Charlie-Sternstunde bleibt, wie er Jaggers „Angie“ mit fix geöffneter Hi-Hat gegen den Beat akzentuiert. Und wie er es dann einmal nicht macht, während man längst genau darauf wartet.

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Wenn sie nicht das schöne Wah-Wah-Clavinet von Billy Preston fanden, suchten die Stones einfach Zuflucht im Bewährten. Der Slide-Rocker „Silver Train“ schnurrt noch mal souverän ins Ziel, derweil im Swamp-Blues „Hide Your Love“ ein wenig „Exile“-Atmosphäre nachschimmert.

„Goats Head Soup“: Viele unveröffentlichte Tracks sind verzichtbar

Ja, die Stones tasteten schon damals im Dunkeln. Was besonders gut auf den Punkt gebracht wird von „Can You Hear The Music“, das (auch ob seiner Abmischung) immer noch so verhangen klingt, wie Jagger auf dem Cover abgelichtet ist. In der Frage schwingt auch Autosuggestion mit, als wollten sie sich selbst versichern, ihre Musik doch immer noch hören zu können, trotz allem.

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Am Ende hörten sie dann aber doch wieder „nur“ ein Chuck-Berry-Riff, weshalb es denn auch eigentümlich konsequent ist, dass „Goats Head Soup“ mit „Starfucker“ – Verzeihung, „Star Star“ schließt, einem Testosteronbolzen, der wohl auf jedem anderen Album im ersten Drittel gelandet wäre und heute natürlich im Shitstorm ambivalenzbefreiter Schnelldenker untergehen würde.

Im Bonusprogramm hätte das vorab gepushte „Scarlet“ dem Hook-Faktor des Albums gutgetan, bringt sonst aber nur die Erkenntnis, dass erstens Richards zunehmend Richtung Funk/Reggae riffte und zweitens Jimmy -Page auch mit den Stones ein brauchbares Solo spielen kann.

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Die anderen, bisher unveröffentlichten Tracks („Criss Cross“, „All The Rage“) sind verzichtbar. Umso erhellender der Blick in die Studiowerkstatt, zumal mit einer feinen Jagger-plus-Klavier-Version von „100 Years Ago“, die das Stück noch heller strahlen lässt.

Während „Dancing With Mr. D“ als Instrumental, von Slide und Bläsern getrieben, den guten Mick plötzlich sehr verzichtbar aussehen lässt. An den ganzen angestrengten Murks von Tod und Teufel hat er doch ohnehin nicht geglaubt, oder?

Polydor (Universal)