Tokio Hotel :: Kings Of Suburbia
„Kings of Suburbia“ sei „das Gefühl, das alles bedeutet und gar nichts“, sagt Bill zum Albumtitel. Nach Hören des Albums möchte man ihm nicht grundsätzlich widersprechen.
„Wir mussten erst mal unseren Kopf freimachen und einen radikalen Neubeginn riskieren“, erklären Tokio Hotel derzeit zur Veröffentlichung ihres neuen Albums „Kings of Suburbia“ Fünf Jahre liegt das letzte Erfolgsalbum der Magdeburger Teeniebopper zurück, eine lange, kathartische Zeit, die das vom Erfolg übermannte Quartett in der relativen Anonymität von Los Angeles verbrachte. Dort haben sie auch das Album eingespielt.
Wenn Jungs sich den Kopf leer machen, bleibt offenbar eins unberührt: Das Video zu „Girl Got A Gun“, einem lauten, gummiartigen Elektroglam-Riffrock mit Stimmverfremdung, zeigt ein Plüschtier, das einen schlaffen Penis sowie buntbemalte Menschen, die Pistolen masturbieren. Das Cover der neuen, dritten Single „Love Who Loves You Back“ ziert eine aus zwei gespreizten Damenfingern und einer Computermaus stilisierte Vagina, die, mit Verlaub, gespaltene Reaktionen der Hörerschaft provoziert. Musikalisch hört man einen mäßig federnden, ungefähr sehnsüchtigen Eurosynthie-Pop, den man sich als die zweite, quasi-balladeske, Gangart des Albums vorstellen darf. Interessant immerhin, dass gerade die wenigen international erfolgreichen deutschen Bands – man denke ans „Virgin Killer“-Album der Scorpions oder Rammsteins „Pussy“ – den Erfolg gern mit im Zweifel stramm misogynen Hypersexualisierungen zu steigern suchen. Das Video zu „Love Who Loves You“ illustriert jedoch zunächst Sänger Bill Kaulitz’ Berichte, man habe die Flucht vor dem Hype in Deutschland vor allem in den Clubs der Westküstenmetropole vollzogen. Dort bekommt man offenbar großzügig MDMA in die Drinks gemischt – wir sehen die Vorstadtkönige in einer nebligen, blau belichteten Kuschelorgie, sparsam bekleidete Damen, die sich trockensexend an jungen Herren reiben oder mit Sänger Bill Kaulitz’ diversen Nasen-, Mund- und Nippelpiercings spielen. Am Ende der dichtgedrängten, schwülen Szene zieht der grell blondierte Sänger einen glatzköpfigen, runden Türsteher in den Aufzug, dessen Kopf er, während die Tür sich schließt, in Richtung seines Schoßes drückt – da wird es wieder einige Gerüchte zur sexuellen Orientierung zu dementieren geben.
Statt der früheren Anleihen bei japanischer Visual-Kei-Androgynität bevorzugt man nun schwarze Neo-Punk-Fashion mit Bartschatten, Metallketten und Netzhemden. Im Sound äußert sich das in einer aufgepumpten Reminiszenz an den fetten L.A.-Klang eines Billy Idol, die Gitarren von Bills Bruder Tom werden von der Elektronik meist überlagert, von vage zeitgemäßen Studiotricks und sogenannten Beats, die sich ohne größeren Widerstand der rhythmischen und harmonischen Harmlosigkeit fügen.
„Kings of Suburbia“ sei „das Gefühl, das alles bedeutet und gar nichts“, sagt Bill zum Albumtitel. Nach Hören des Albums möchte man ihm nicht grundsätzlich widersprechen.