Sado Opera Live in Bukarest: Ein Leuchten im Südosten

Mit einigen Jahrzehnten Verspätung formiert sich nun auch in den ehemaligen Ländern des Ostblocks eine eigenständige Popszene. Mit Festivals, Turbo-Folk-Sternchen, regionalen Rap-Grüßen und internationalen Branchentreffen. Ein Besuch bei der Mastering The Music Business (MMB) in der rumänischen Kapitale Bukarest

Die Festivalsaison startet so richtig erst Mitte Mai. Wer aber bereits im März wissen möchte, was das neue Jahr so an Poptrends auf der Pfanne hat, blickt immer häufiger in den Osten. Im estländischen Tallinn steigt in diesen Tagen bereits zum 11. Mal die Tallinn Music Week (TWN), mit einem traditionellen Schwerpunkt auf Bands und Solisten des Baltikums sowie Skandinaviens. Bereits Geschichte ist der Showcase-Convention Mastering The Music Business (MBB), die an diesem Wochenende nach drei Tagen zu Ende ging. „Uns geht es in erster Linie darum, professionelle Strukturen aufzubauen und Wissen zu vermitteln. Drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bildet sich in Rumänien und den Nachbarländern eine eigenständige Szene heraus“, sagt MMB-Chefin Anca Lupes. „Wir wollen nicht zuletzt unseren Bands und Künstlerinnen eine Chance zu bieten, sich vor internationalen Gästen zu präsentieren.“

Mit etwa 40 Showcase-Konzerten und rund 500 Fachbesuchern aus 15 Ländern sind die Dimensionen in einer pittoresken Hotelanlage am Rande des Big-Business-Quartiers von Bukarest noch vergleichsweise bescheiden. Das Gute daran: Der multifunktionale Fratelli Social Club erwies sich mit seinen drei Bühnen als kompakte Soundzone. Man musste nur von der riesigen Zentral-Theke durch das halboffene Raucher-Areal in eine großzügige Lounge wechseln, um etwa Zoli Toth (einst Nummer Eins in den Mainstream-Charts!) mit seinem Soloprogramm bewundern zu können. Electro trifft Percussion. Ein Analog-Digital-Clash.

Die britische Krawallband Tokyo Taboo („No Pleasure Only Pain“), deren nur leicht bekleidete Sängerin Dolly Daggerz  sorgte bei einigen späten Gästen für Verwirrung. Sie warf sich kurzerhand VOR der Bühne auf den Boden. Und raunzte im Liegen zwischen den Beinen der Leute weiter ihr Mikrophon an. Soviel Punk-Ethos schien den rumänischen Indie-Größen Monojacks oder Byron eher suspekt. Sie hielten sich an gepflegten Gitarren-Pop/Rock.

So blieb es den Kollegen Sado Opera aus dem fernen St. Petersburg (mit Residenz in Berlin) überlassen, für Budenzauber zu sorgen. Ihre wilde Mixtur aus Turbonegro, Amada Lear und Frankie Goes To Hollywood wurde zwar eingeschränkt, weil im Fratelli Social Club der Drummer und somit die härteren Nummern fehlten. Doch die üppigen Provokationen der „queer music band“ in Richtung Putin und Co hatten es in sich. Man bekommt eine Ahnung, was es bedeutet, in einem Land ohne Meinungsfreiheit überdrehten Metal-Disco-Barock zu machen. Eigentlich „nur“ kurzweilig unterhaltsam, könnte aber auch im Knast enden. Sado Opera als russische Peking Oper 2019.

Silvija Valeišaitė Photography
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