„Sein Image war zu überzogen!“

Ihre französische Karriere verdankte Petula Clark auch den Stücken, die Serge Gainsbourg für sie schrieb. So konnte sie seinen Wandel zum Bürgerschreck aus nächster Nähe verfolgen.

Petula Clark, Sie haben in den frühen 60er-Jahren intensiv mit Serge Gainsbourg zusammengearbeitet und mehrere Lieder gesungen, die er für Sie geschrieben hat. Sie müssten es eigentlich wissen: Was hatte er, was andere Männer nicht haben?

Ich war nicht mit ihm im Bett, falls Sie das meinen. Aber obwohl ich glücklich verheiratet war und das für mich überhaupt nicht in Frage kam: Er war in der Tat ein sehr attraktiver Mann. Ich glaube, es war das, was man heute als Woody-Allen-Prinzip kennt: die spezielle Mischung aus Intelligenz, Schüchternheit und wahrem Talent. Ein sehr wirksames Rezept, um Frauen zu erreichen.

Bevor wir da ins Detail gehen: Wie kamen Sie nach Frankreich? Man kennt Sie im Rest der Welt vor allem als Sängerin britischer Hits wie „Downtown“ oder „Don’t Sleep In The Subway“.

In England war ich Ende der 50er längst ein Star und hatte alles, was ich brauchte: einen tollen Freund, einen Sportwagen und so weiter. Aber die Franzosen hörten nicht auf, bei mir anzurufen und zu betteln, dass ich nach Paris kommen sollte. Also gab ich irgendwann nach. Es war im November 1958, ich war nur Teil einer All-Star-Show im Olympia, sang drei Stücke auf Englisch, konnte nicht mal „Bon soir“ oder „Merci“ sagen. Aber es war ein Riesenerfolg.

Die Franzosen wollten Sie gleich behalten?

So ähnlich. Am nächsten Morgen bat der Chef von Vogue Records um ein Gespräch und fragte, ob ich nicht Lust hätte, auf Französisch zu singen, aber ich wollte nur schnell nach Hause. Bis ich Claude (Wolff, d. Red.) begegnete, dem PR-Mann der Firma, der dann später mein Ehemann wurde. Zwei Wochen später war ich zurück in Paris, mit meiner ersten französischsprachigen Platte.

Obwohl Sie zu Hause in London ihren tollen Freund hatten?

Ja, aber das ging damals eh gerade zu Ende.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Gainsbourg?

Ich kannte seine Musik aus dem Radio. Besonders ein Stück namens „La Javanaise“ begeisterte mich – weil es völlig anders klang als alles andere, was damals in Frankreich lief. Seine Stimme war sehr ungewöhnlich, die Melodie wundervoll. Und während alle anderen auf Johnny Hallyday standen, wurde ich Gainsbourg-Fan. Eines Tages bekam ich dann einen Anruf: Serge wolle sich mit mir treffen, weil er ein Lied für mich geschrieben habe.

Welchen ersten Eindruck hatten Sie von ihm?

Er war Anfang der 60er noch der Hässliches-Entlein-Typ, sehr schüchtern. Wir saßen zu zweit in meiner Pariser Wohnung und wussten erstmal nicht, was wir reden sollten. Ich fragte ihn, ob er etwas zu trinken wolle, er bat um ein Bier. Und er schaffte es tatsächlich, vor lauter Nervosität den Inhalt des Glases in meinen Konzertflügel zu kippen.

Eine ähnliche Geschichte gibt es über sein erstes Treffen mit Juliette Gréco.

Ja, das war noch seine alte Persönlichkeit, bevor es zur großen Metamorphose kam. Er entschuldigte sich tausend Mal, dann setzte er sich an das besagte Klavier und spielte „Vilaine Fille, Mauvais Garçon“, und ich fand’s großartig. Offenbar erzählte er hinterher seinem Verleger, er habe alles vermasselt, mit dem umgekippten Bier. Aber natürlich war das der Anfang unserer Zusammenarbeit.

Waren Sie nur eine von vielen in seinem Sängerinnenclub?

Nein, er schrieb für mich ja völlig andere Stücke als zum Beispiel für Jane (Birkin). „La Gadoue“, „O O Shérif“ – er versuchte, beim Schreiben das zu berücksichtigen, was er für meine Persönlichkeit hielt: dieses niedliche, ladyhafte Engländerinnen-Image, das ich in Frankreich hatte, wegen meines Akzents und meiner vorherigen Songs.

Großartig ist zum Beispiel ihr gemeinsamer TV-Auftritt als Clochard und Dame mit Hund, bei dem sie auf der Parkbank „La Gadoue“ im Duett sangen.

Ja, genau das waren die Stereotypen. Mein Snobbismus war natürlich nur gespielt! Seine Rolle als saufender Underdog allerdings wurde damals immer realer …

Was war passiert?

Weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Als wir im Studio an „La Gadoue“ arbeiteten, hatte er sich schon verändert: Er rauchte viel, trank und machte wahrscheinlich noch ein paar ganz andere Sachen … Zur selben Zeit wandelte sich auch seine Musik. Er nahm ja alle seine Platten in London auf, wie die meisten Leute damals: Das war der Sound, den wir wollten, und den bekamen die französischen Musiker nicht hin. Serges Songs veränderten sich, sein Gesang auch. Er erschuf sich eine neue Persönlichkeit, deren Wurzeln oder Hintergrund ich nicht kannte.

Hatten Sie nie Angst, dass er Ihnen ein paar Schweinereien in die Texte schummelt, die Sie als Nicht-Französin nicht bemerken?

„La Gadoue“ hatte keine sexuellen Untertöne – höchstens ein paar.

Was dachten Sie, als Sie „Je T’Aime … Moi Non Plus“ zum ersten Mal hörten?

(lacht) Als erstes dachte ich: Was für eine toll produzierte Platte! Worum es da ging – das war damals natürlich ziemlich schockierend. Da steckte wohl einiges von dem drin, was gerade in Serges Leben ablief. Aber, wie gesagt: Ich war und bin da auf Spekulationen angewiesen.

Warum endete Ihre Zusammenarbeit?

Weil er selbst ein Star wurde. Vor allem bei den jungen Leuten, das war seine Form von Protest. Der Erfolg gab ihm Recht – aber mir kam das alles komisch und erzwungen vor. Ich erinnere mich noch gut, wie er sich bei Auftritten als rauchender und saufender Outlaw präsentierte. Natürlich kreiert jeder Künstler sein Image, aber was er da aufführte, kam mir zu überzogen vor. Außer mir schien das niemanden zu stören, aber mit dem Serge, den ich kennengelernt hatte, hatte das nichts mehr zu tun. Ich war mir vor allem nicht sicher, ob das aus ihm selbst herauskam oder ob er sich da eine besondere, zugegeben clevere Strategie zurechtgelegt hatte.

Hatte es denn Momente gegeben, in denen er sich Ihnen richtig geöffnet hatte, jenseits von Schüchternheit und gespielter Coolness?

Bei den gemeinsamen Studiosessions hatte ich das Gefühl, dass er sich kaum verstellte – das konnte er nicht beim Arbeiten. Irgendwann allerdings wurde das neue Image auch Teil seiner Arbeit. Er bekam ja von allen Seiten immer nur Bestätigung.

Malcolm McLaren hat mal behauptet, dass in den 60er-Jahren der französische Pop den britischen mindestens so sehr beeinflusste wie umgekehrt. Sehen Sie das ähnlich?

Nein, so kann man das nicht sagen. Interaktionen gab es schon, vielleicht so wie in der Mode: Die Engländerin Mary Quant erfand den Minirock, der Franzose André Courrèges machte ihn erst richtig schick. Der französische Rock’n’Roll hatte immer das Problem, dass die Sprache nicht zu Rhythmus und Phrasierung passte. Die Versuche von Johnny Hallyday fand ich eher misslungen – aber Leute wie Michel Berger, Véronique Sanson und eben Serge hatten eine hervorragende Lösung dafür.

Gab es ein Lied, bei dem Sie sich ärgern, dass Gainsbourg es nicht für Sie geschrieben hatte?

Nicht wirklich. Vor ein paar Jahren trat ich in Paris bei einer Charity-Gala auf, da kam Jane (Birkin) auf die Bühne und wir sangen „La Javanaise“ zusammen. Das war ein großartiger Moment. Wir beide im Duett, mit diesem Lied – das wäre eine tolle Platte geworden. Das hätte auch Serge gefallen.

interview: joachim Hentschel

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