Staatsanwalt wartet

Wut treibt den Motor, Haß steuert das Getriebe wenn die Rockgeschichte jemals einen Musiker hervorgebracht hat, der solch heißgelaufene Gemütszustände unverschnitten in Tonträger einbrennen konnte, dann lautet sein Name Greg Ginn. „Getting Even“ (1993), die erste Platte, die den Namen des kalifornischen Gitarristen trug, stieß im Lager der Kritiker auf Verwirrung bis Unverständnis: So unverkennbar die Punk-Roots waren, so weit war die Musik von allem entfernt, was in Amerika zwischen Bad Religion und Nirvana stattfindet. Hochtourige Song-Kürzel, doch derartig zerknüllt und aus der Bahn geworfen, als kämen sie aus einer verschütteten Unterwelt, in der nicht das leiseste Zeichen von Schönheit eine Überlebenschance hat.

Mit „Dick“ und „Let It Burn (Because I Don ‚t Live There Anymore)“ sind seither zwei weitere Ginn-Solos erschienen, dazu noch zwei Alben seines Instrumental-Trios Gone mit metallischen Surf-Prügeleien. Trifft man den Mann, der hinter diesem enormen Output höchst intensiver Ausbrüche steckt, so wirkt er weder wie ein nimmermüder Anarcho-Aktivist, noch entsprecht er dem typischen Normalo, der seine Phantasie aus Spaß am Abgründigen durch Horror-Landschaften wandern läßt.

Denn Greg Ginn weiß, wovon er spricht, wenn er Willkür und Brutalität von Polizei bzw. Rechtsprechung anprangert: Seit Beginn der Achtziger ist er mit Black Flag kreuz und quer durch die Staaten getourt und bekam dabei oft genug die Schikane der Ordnungsmacht zu schmecken. Sein SST-Label (auf dem Bands wie Hüsker Du und Sonic Youth seinerzeit debütierten) wurde von U2-Boss Bono einer Lappalie wegen auf 70 000 Dollar Schadensersatz verklagt – Peanuts für die Großen. Jahresetat für die Kleinen. Die L.A.-Riots taten ein übriges, um Ginns Ärger anzuheizen. Auf seine inflationäre Veröffentlichungspolitik angesprochen weist er mit Recht darauf hin, daß man schon zu seligen Black Flag-Tagen auf bis zu drei Platten im Jahr gekommen ist.

Diese Frequenz will er auch in Zukunft einhalten: Spötter werden einwenden, daß es außer dem Labelchef selbst kaum noch Bands gibt, die auf SST oder den Unterlabels Cruz und New Alliance herauskommen. Auch darauf weiß Ginn die richtige Antwort: „Ich bringe nur die Musik raus, die ich mag, und das ist meist solche, die sich nach keinen Erwartungen richtet. Hotel X zum Beispiel spielen Jazz wie keine andere Band. Aber so etwas ist nicht mehr sehr häufig heutzutage. Die meisten Gruppen surfen auf der Alternative-Rock-Welle.“ Man möchte seine finsteren Racheschwüre gegen das Establishment nicht wörtlich nehmen („Der Staatsanwalt wartet schon“), doch zeichnet seine Musik eine gänzlich undomestizierte Härte aus, die man bei der Konkurrenz hinter Pomp und Image-Mache kaum noch findet. So wundert es nicht, daß er für seinen ehemaligen Black Flag-Kollegen Henry Rollins heute kaum noch freundliche Worte findet: „Das einzige, was ich von seiner letzten Platte kenne, ist „Liar“, und ich muß sagen, daß ich sowohl den Song als auch das Video ziemlich lahm fand.“

Tja, was kann man von einem MTV-Conferencier auch Besseres erwarten?

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