Stilbruch in der Diskursdisko

Lotte Ohm. Rätsel über Rätsel, die nur von Eingeweihten verstanden werden. Das erste sei vorab gelöst: Ihr Geschlecht ist männlich. Aber weshalb Vincent Wilkie, so ihr wirklicher Name, ausgerechnet diesen Künstlernamen gewählt hat, müssen Erleuchtete beantworten. Doch es gibt auch weniger gewichtige Fragen: Hat er wirklich mit Amelie Fried im selben Bus gesessen? Ist es wirklich sein größter Wunsch, Thurston Moore zu sein? Findet er das alles wirklich „Ziemlich Hip“, so ein Songtitel? Die Antworten tendieren grundsätzlich in Richtung „Nein“, womit die Ironie der Ohm’schen Sichtweise festgehalten wäre: der Künstler als wacher Beobachter (und Kommentator) aller Absurditäten in der heutigen Welt.

Die oft zitierten Ähnlichkeiten zu Beck sind nicht von der Hand zu weisen, doch ist Lotte Ohm kein Imitat Gemeinsames liegt weniger im persönlichen Stil, sondern in ihrer Arbeitsweise begründet: Wo Beck die amerikanische Musikgeschichte von Country-Blues über Punk und Hip Hop in ständig neuen Patchworks präsentiert, schöpft Vincent Wilkie aus dem Schmelztiegel europäischer Pop-Kulturen mitsamt ihrer afrikanischen, asiatischen und (auch) amerikanischen Einflüssen. Wo Beck auf leicht hysterische Art überzeichnet, überwiegt bei Lotte Ohm clowneske Distanz. Gemeinsam ist beiden, daß das zitierte Material (bei aller Gimmick-Freude) mit größtem Respekt zu behandeln.

Daß Lotte Ohms musikalisches Wissen geradezu universell zu nennen ist, hat er seinem Vater zu verdanken: Colin Wilkie, dessen neues Album „Empty Chairs“ lobende Erwähnung verdient, begann als Singer/Songwriter schon Mitte der Sechziger. Seit den frühen Achtzigern gehört Vincent zu den festen Begleitmusikern seines Dads. „Er hat mich nicht auf die Bühne gezerrt. Ich habe die ganze Zeit danach gequengelt. Mit 13 hatte ich die Gitarre einigermaßen im Griff – und da konnte ich es kaum erwarten, daß er mich mit auf Tour nimmt. Es war ein großartiges Gefühl, als es endlich soweit war.“

Die Partnerschaft von Vater und Sohn setzte sich fort, hatte aber zur Folge, daß der junge Vincent lange brauchte, bis er seine eigenen Visionen anpackte. Anfang der Neunziger versuchte er sich in einer Sixties-Garagenband und brachte es auch auf eine Handvoll Auftritte. Die musikalische Revolution in seinem Kopf begann aber erst, als er sich im Frühjähr 1996 ein Sample-Keyboard anschaffte. Rund 10000 Schallplatten seines Vaters hielten einen schier unerschöpflichen Fundus für sein zukünftiges Schaffen bereit.

Zu den Legionen von Computer-Bastlern, die sich nach Belieben an der Musikgeschichte gütlich tun, gehört Lotte Ohm damit nicht. Er hat die Kunst des Songschreibens schon als Teenager erlernt und benutzt sie nun als Gerüst für Stilbrüche der unterhaltsamsten Art. Mit der EP „Die Liebe in den Zeiten des Rindenmhns“ wurde ’96 zum Newcomer des Jahres, sein Debüt-Album letzte Tanke vor Babylon “ unterstreicht das beträchtliche Talent, das da jahrelang geschlummert hat. Dank wunderbarer Hooklines und Melodien muß sich dies perfekte Gemisch aus Dope Beats, akustischen Gitarren und verzerrten Sounds vor keinem der modernistischen Songwriter verstecken – auch nicht vor Beth Orton, Baby Bird oder Alanis Morissette. Ganz abgesehen von dem Faktum, daß es in deutschen Landen bisher niemanden gab, der in dieser Weise traditionelles Songwriting für die Neunziger fitzuspritzen wußte.

Eigentlich wäre es angemessen, einige der hintergründig-verschrobenen Sprachspiele als Textproben zu zitieren. Irgendetwas sträubt sich jedoch dagegen, eine Stelle aus ihrem Zusammenhang im dadaistisch auskomponierten Erzählfluß zu sezieren. Nur soviel: Schöne Worterfindungen wie „Lichterkettenraucher“, JBlumenbengel“ oder „Diskursdisko“ hört man anderswo nicht.

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