Trommeln für ein bißchen Frieden

Anno '68 stürmte er zum Sound von Jumpin' Jack Flash" mit den Studenten in Paris und Deutschland die Barrikaden. Fast 30 Jahre später will er mit den Rolling Stones Barrikaden in den Köpfen niederreißen - mitten in Bosnien. Daniel Cohn-Bendit, ewigjunger Alt-68er und Europa-Abgeordneter der Grünen, plant 1998 ein Woodstock im ehemaligen Jugoslawien und möchte dafür neben Bob Dylan, den Rolling Stones, U2 und David Bowie auch serbische, kroatische und bosnische Bands verpflichten. Und zum Abschluß des Festivals würde er gern die reformierten Beatles auftreten lassen.

„Das wäre ein einmaliges historisches Ereignis. Mit so einem Musik-Happening würde man die ethnische Spaltung überlisten, da kämen die Jugendlichen aus Zagreb, Sarajevo und Belgrad, Grenzen wären wurscht an diesem Tag“, schwärmt Cohn-Bendit. In den vergangenen Monaten war der Europa-Parlamentarier durch das vom Bürgerkrieg verwüstete Bosnien gereist. Überall, wo es wieder Cassettenrecorder oder CD-Player gibt, wird Pop gespielt – altes Zeugs, Techno, alles mögliche. „Die Begeisterung für Musik verbindet serbische, kroatische und bosnische Jugendliche“, berichtet der 52jährige.

Als er seine Festival-Idee auf der Midem-Messe in Cannes erstmals vorstellte, wurde er fast ausgelacht. Ihn kümmert’s nicht. Der leidenschaftliche Streiter ist heftigere Reaktionen gewohnt. Als die Medien 1994 erstmals von Konzentrationslagern und Massengräbern in Bosnien berichteten, hatte der bis dahin überzeugte Pazifist den Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen gegen die Verantwortlichen des Völkermordes gefordert – und wurde deshalb von seinen deutschen Partei-Kollegen heftig attackiert. Inzwischen haben die Grünen seine Positionen weitgehend übernommen. „Sie sind sogar stolz, daß ich damals vorgeprescht bin und die Partei bei der Kontroverse in der Bosnien-Frage vor einer Blamage bewahrt habe“, sagt er nicht ohne Genugtuung.

Auch über seine Vision vom neuen Woodstock wird inzwischen nicht mehr so laut gelästert, seit bekannt ist, daß das Projekt neben der EU-Kommission auch von Brian Eno und dessen Hilfsorganisation War Child nach Kräften gefördert wird. War Child hat sich zum Ziel gesetzt, vom Krieg traumatisierten Kindern in Bosnien zu helfen. Die Organisation wird unter anderem von David Bowie, Bono, Paul McCartney und Luciano Pavarotti unterstützt – was den Traum der hochkarätigen Besetzungsliste für das geplante Woodstock nicht mehr so utopisch erscheinen läßt. Eno und sein Team jedenfalls sind begeistert von der Woodstock-Idee und haben sich bereits mehrere Male mit Cohn-Bendit getroffen, um die Kontakte zu anderen Bands herzustellen. „Wenn U2 und Bowie erstmal mitziehen, kriegen wir auch die Stones“, ist der einstige Straßen-Kämpfer überzeugt Die Generalprobe für das Peace-Festival könnte bereits im kommenden Oktober in Mostar über die Bühne gehen, wenn dort das von War Child finanzierte Musik-Therapie-Zentrum eröffnet wird. In der Londoner Zentrale wird derzeit über ein Konzert zur Einweihung nachgedacht, an dem sich vielleicht War Child-Gesellschafter wie David Bowie, U2 oder Luciano Pavarotti beteiligen werden. Doch seit in der geteilten Stadt bei Kämpfen zwischen moslemischen und kroatischen Bewohnern kürzlich wieder Menschen getötet und zum Teil schwer verletzt wurden, will man in der War Child-Zentrale noch abwarten und erstmal den Bau des Zentrums weiter vorantreiben. „Wir wurden wegen unseres Engagements anfangs heftig kritisiert. Die Leute im Rest Europas fragten uns, wie wir in einem Krisengebiet so viel Geld investieren könnten“, sagt Mike Terry, der Projektleiter von War Child in Mostar, „aber irgendjemand muß doch mit dem Neuaufbau beginnen. Wir glauben, unser Zentrum kann eine Brücke zwischen den verfeindeten ethnischen Gruppen in Mostar sein – zumindest für die Jüngeren.“ Ein paar kroatische Jugendliche seien bereits zu den ersten Workshops in den hauptsächlich von Moslems bewohnten Ostteil Mostars gekommen, in dem auch das »«gesehene Therapie-Zentrum gebaut wird. „Das ist nicht viel, aber es ist ein Anfang“, sagt Terry.

Auch Brian Eno wai in den ver gangenen Monaten oft nach Mos tar gereist, uni mit Politikern vor Ort zu verhandeln oder gemeinsam mit dem Musik-Protessoi Nigel Osborne erste Workshops in den Ruinen der Stadt anzubieten. Eine erstaunliche Wandlung des Sound-Tüftlers und Zynikers, der in den 80er Jahren noch über all jent guten Menschen gelästert hatte, die sich beim „Live Aid“ oder beim Mandela-Tribute engagiert hatten. Statt sich in die Politik einzumischen, sollten sich Popmusiket liebet dei Kunst widmen, stichelte Eno damals im „Guardian“ Inzwischen hat er seine Meinung geändert: „Als ich die ersten Bilder von Konzentrationslagern in Bosnien sah. hatte »ch jede Hofihung in die Politik verloren. Das war ein Wendepunkt Ich dachte, wenn Politiker nicht fähig sind, ihren Job zu tun, dann müssen eben andere etwas bewegen.“ Seitdem hat War Child nicht nur in Jugoslawien tatsächlich viel bewegt. Der Neubau der Musik-Schule in Mostai ist das bislang größte Projekt der Benefiz-Organisation.

Die 2,6 Millionen Pfund für den Bau hat War Child bereits durch mehrere Benefiz-Aktionen wie „Pavarotti And Fnends“ eingespielt, weitere 13 Millionen Pfund sind noch nötig, um das Programm der Schult in den kommenden zwei Jahren zu garantieren Cohn-Bendit hai angekündigt, die EU werde das Zentrum weiterhin unterstützen. Und auch die Gewinne des Woodstock-Fesüvals sollen zur Hälfte dei Musik-Schuk- und zur anderen Hälfte einei Stiftung für Demokratie zukommen, die der EU-Grüne in Sarajevo gründen will. Der Hans Dampf in allen Gassen hat bereits ausgerechnet, wie er die sieben Millionen Mark, die das Mega-Peace-Happening kosten soll, eintreiben kann Eint Million will er von der EU-Kommission in Brüssel loseisen, den Rest durch die Vorabverkaut der Rechtt an Fernsehanstalten und Filmfirmen und Sponsoren kassieren „Das Festival muß für die Zuschauet umsonst sein, sonst macht das keinen Sinn“, sagt Cohn-Bendit. Und dann gerät ei ins Schwärmen, wenn Wai Child und ihm das gelingen sollte, was alle milliardenschweren Promoter dieser Erde bislang nicht geschafft haben: die Beatles zu einem gemeinsamer Auftritt überreden. „Wenn wir Paul, George und Ringo dazu bewegen könnten, einmal mit Julian Lennon ,lmagine 1 und ,Givt Peace A Chance‘ in Bosnien zu singen das wäre wirklich großartig.“ You may say he’s a dreamer.

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