Unser Schimi

Ein Kommissar, der sich prügelt, laufend „Scheiße“ sagt und am liebsten Currywurst isst – der erste Auftritt von Götz George als Horst Schimanski vor 30 Jahren schockte die Krimi-Republik. Es wurde die Paraderolle von Deutschlands bestem Schauspieler. Der Ermittler ist schon lange in Rente, doch sein Kampf geht weiter.

Die „Bottschaft“ ist ein Lokal in Berlin-Charlottenburg, das so heißt, weil der Besitzer den Namen Bott trägt. Im Inneren dunkles Holz, an den Wänden hängen gerahmte Fotos von Günther Pfitzmann, Harald Juhnke und Manfred Krug. Man speist Hausmannskost: Gulasch, Schnitzel, Bratkartoffeln, Matjes. Der Koch rührt die Königsberger Klopse um, die Kellnerin deckt die Tische ein. Vor der Tür sitzt ein alter Herr und blinzelt in die Sonne. Ein Mann mit Handy am Ohr eilt herein und reicht uns die Hand: „Ja, das Fernsehen ist schon hier!“ ruft er ins Telefon. „Oder seid ihr nicht vom Fernsehen?“ Es ist unverkennbar Bernhard Brink.

Dann kommt Götz George. Er stellt sein Fahrrad ab, er trägt eine lange Radlerhose, Sportpullover und eine schmale Sonnenbrille. Trainierte Beine, federnder Gang, 72 Jahre soll er sein. Er spricht mit dem alten Herrn, offensichtlich Bott. Später, als der sich verabschiedet, nennt George ihn zart „Schätzchen“. Er sagt das so zerstreut und beiläufig, wie wir es von Schimanski kennen. George sitzt da wie in Lauerstellung, die unverschämt blauen Augen unter den ebenso unverschämt nicht grauen, ja tatsächlich blonden Haaren (!) huschen hin und her. Als Bernhard Brink sich johlend verabschiedet, wendet George kurz den Kopf: „Ach, der.“

Am 29. Januar zeigt die ARD den neuen Schimanski-Film „Schuld und Sühne“. Es geht um Korruption und Drogenhandel bei der Duisburger Polizei, ein junger Kollege hat sich umgebracht, die Mutter steht am Zapfhahn und trauert, Schimanski tröstet unbeholfen. Der Rebell ist endgültig zum Rentner geworden, lässt an der Imbissbude anschreiben und bringt seiner Freundin eine Currywurst ans Krankenbett, die er dann selbst isst; als die Frau einschläft, wirft er ein paar Geldscheine auf die Pappschale. Hannes Jaenicke, mit dem George schon in „Abwärts“ (1983) spielte, ist hier der Böse. Im Polizeisumpf gärt es. Schimanski, der aus der Zeit gefallene Bulle, kämpft wieder gegen das kaputte System. Schließlich liegt er angeschossen in einem Lagerhaus: Nur die Toten können eine Geschichte zu Ende erzählen. Aber so weit ist es noch nicht.

In „Schuld und Sühne“ geht es um Korruption. Ist die Polizei wirklich so auf den Hund gekommen?

Ich war von der mutigen Geschichte gleich angetan. Es geht um Fragen des Vertrauens und wie man damit umgeht, wenn alles unterwandert zu sein scheint. Der Polizist ist für mich – und für die meisten Menschen – eine Respektsperson. Sieht man einen, hat man sofort ein schlechtes Gewissen.

Aber Götz George alias Schimanski hat doch bestimmt einen Bonus …

Es kommt drauf an. Wenn ich mal falsch geparkt habe oder in einer Einbahnstraße mit dem Fahrrad erwischt werde, freuen sich manche einfach, mich zu treffen. Andere ärgern sich über die Prominenz oder über die Figur Schimanski. Davon abgesehen geht niemand davon aus, dass Polizisten korrupt sind wie die Banker, die es ihnen vormachen oder die Politiker …

Banker, Politiker, Polizisten – kann man diesen Institutionen weniger vertrauen als früher?

Na ja, in der Krise schärft sich vielleicht der Blick für einige Entwicklungen. Bei der Beleuchtung der Banker haben doch viele plötzlich gesagt: Was ist denn los in unserem Land? Ist denn überall Korruption und Gier? Alle Institutionen verlieren an Respekt, auch die Polizei. Die Angriffe auf Beamte häufen sich. Deswegen ist ja das Gesetz verschärft worden. Den Polizisten als Respektsperson gibt es nicht mehr. Es wäre aber ganz schön, wenn es den noch geben würde, denn auf irgendwas will man sich ja verlassen können im Staat.

Vertrauen Sie persönlich heute den Institutionen weniger?

Ich bin kein vertrauensseliger Mensch. Weder den Frauen habe ich in meinem Leben vertraut noch den Komplimenten, den Bankern sowieso nicht. Das scheint mir die richtige Grundhaltung zu sein. Aber mein Eindruck ist schon: Es wird immer krimineller, korrupter und spießiger.

So spießig wie die Polizeiwache in Ihrem neuen Film, die wie aus dem vorigen Jahrhundert wirkt.

Ja, ist sie ja auch. Es wird gespart ohne Ende. Die Reiterstaffel in Berlin wird abgeschafft. Die Polizei wird reduziert. Es ist ja überall so: Es gibt kein Geld. Die Theater werden geschlossen, dann können sie auch die Polizeistationen schließen. Nur die Elbphilharmonie, die wird gebaut.

Und Duisburg wirkt moderner.

Ja, als alter Duisburg-Fan erkenne ich das nicht mehr wieder. Die legen die ganze Hafensituation zum Teil trocken, bauen da Riesenkomplexe hin, wollen konkurrenzfähig sein mit der Düsseldorfer Hafen-City und mit der Hafen-City in Köln. Das ist nicht mehr Duisburg, wie ich es liebe und kenne.

Wie hat Schimanski den deutschen Krimi verändert?

Bevor er kam, gab es überall nur Beamte. Schimanski war kein Beamter, das war ein Haudrauf. Ein paar sehr kreative Leute bei der Bavaria haben ihn damals ausgeheckt. Die wollten keinen High-Society-Ermittler, keinen Derrick, das waren 68er, die gegen den Apparat waren und eine Figur wollten, die auch gegen den Apparat ist; jemand, der zwar für Recht und Ordnung ist, aber auch sagt: Wenn ich nicht Polizist geworden wäre, wäre ich Verbrecher geworden. Dabei wollte ich zuerst nicht mitspielen.

Warum nicht?

Der Tatort war eine Serie, und das war damals noch nicht die Königsklasse. Ich wollte Fernsehspiele machen, immer neue Charaktere spielen. Es gab und gibt viele Kollegen, die sagen: Ich mache jetzt 300 Folgen in 20 Jahren, dann bin ich sicher, dass ich meine Miete bezahlen kann. Das wollte ich auf keinen Fall.

Was war denn Ihre Vorstellung von Schimanski?

Na, eher ein „Hells Angel“. Ich wollte kein Beamter sein. Und auch nicht so aussehen. Ich wollte einfach gegen den Strom schwimmen. Da sagten die: „Das wollen wir alle! Ja.“

Es ging um eine Provokation?

Genau. Und es ging darum, den ganzen Charakter gleich in die erste Folge zu packen. Derrick und andere entwickelten sich immer, mal gab es eine Freundin, dann nicht mehr. Ich habe gleich gesagt: Der muss sofort was auf die Schnauze kriegen, der hat nicht nur eine, der hat drei Freundinnen, damit wir nachher nicht dazu buttern müssen. Alles, was uns jetzt einfällt, alles, was wir wollen, das müssen wir in der ersten Folge machen. Und das haben wir gemacht.

Schimanski war auch in der frühe-ren DDR sehr beliebt.

Ja, weil er sich an nichts gestört hat. Das hat der Osten so an ihm gemocht. Der Schimanski lehnt sich gegen die Obrigkeit auf – das ist doch der Wunschtraum, den wir auch haben.

Schimanski war immer sehr viel körperlicher als die anderen Ermittler – warum? Die Prügel- und Unterhosenszenen sind ja legendär.

Zum einen haben wir gedacht, dass die Amerikaner die Tradition des Actionfilms nicht für sich alleine gepachtet haben dürfen, zum anderen wussten sie, dass ich sportlich und belastbar bin, also haben sie das in die Drehbücher geschrieben.

Schimanskis Texte wirkten oft schnodderig, wie improvisiert, auch das war neu im Krimi.

Das, was so aussieht, ist in Wahrheit schwere Kleinstarbeit. Diese Fassbinder-Improvisation, wo man einfach irgendwas erzählt, ist ziemlich nervig. Das Schnodderige hängt mit der Figur zusammen. Schimanski hat keinen hohen Intelligenzquotienten. Er ist ein Mensch mit Gespür. Tanner, der war der Studierte mit Fliege – Schimanski war einfach blöd und schwanzgesteuert. Und nicht sehr sensibel, wie Männer eben manchmal sind. Im neuen Film bringt er seiner verletzten Freundin eine Currywurst mit ins Krankenhaus und glaubt, das müsste der gefallen, weil es ihm gefällt. So ist der eben. Das war alles sehr genau gesetzt – und damit kannst du spielen als Schauspieler.

Wie hat sich Schimanski in 30 Jahren verändert?

Er ist einfach älter geworden, etwas besonnener, übersichtlicher. Der Schimanski ist irgendwie aus einem anderen Jahrhundert, zurückgeblieben. Sonst war er Platzhirsch, jetzt ist er Rentner und mischt sich einfach ein, die anderen nervt er, ich mag das, daraus entsteht Spannung.

Wie körperlich ist Schimi heute?

So weit über die Dächer wie damals kann ich nicht mehr springen. Früher konnte ich sagen: Ich mache das jetzt mal, ich trage die Verantwortung. Heute sagt der Produzent: Kommt überhaupt nicht in Frage, dass du vom Stuhl springst. Versicherungstechnisch geht das nicht mehr.

Was ist das für ein Gefühl, aufgrund des Alters trotz ihrer Sportlichkeit bestimmte Sachen nicht mehr machen zu können?

Das geht schleichend und ist daher nicht so gravierend. Es gibt wunderbare Rollen, da wird keine Tür eingerannt, da konzentriert man sich auf die Figur.

Wie oft trainieren Sie noch?

Ich habe nie trainiert in meinem Leben. Ich bin einfach immer Fahrrad gefahren und geschwommen, und zwar in jeder freien Minute. Aber ich bin nie in die Muckibude gegangen. Das brauche ich nicht.

Sie sehen sehr fit aus.

Fahrradfahren, ganz normal, easy going. Ich muss mich nicht mehr beweisen, ich muss mich eigentlich nur gut fühlen. Ich muss meine Miete nicht mehr verdienen. Ich kann arbeiten, wenn ich will. Das habe ich 60 Jahre lang gemacht, 60 Jahre am Stück – das ist richtig heftig.

Sie haben eine schwere Operation hinter sich.

Ach was, das sind ja praktisch nur Schönheitsoperationen (lacht). Da platzt mal irgendwas, das wird wieder zusammengenäht, nichts Ernsthaftes. Wenn du einen Bypass bekommst, das ist scheiße. Aber das war’s zum Glück nicht.

Schimanski war der Rebell, Tanner der Gegenentwurf, der eifrige Beamte, der Karrierist.

Ja, Tanner war der größte Schleimer aller Zeiten. Das war natürlich wunderbar. Heute ist Schimanski mehr ein Einzelkämpfer.

Ein gealterter, melancholischer Einzelkämpfer.

Der mit dem Alter locker umgeht. Er ist nicht eitel. Er hat eine Freundin, die einfach sagt: „Du bist ein Arschloch.“ Und er sagt: „Ja, ich bin ein Arschloch, aber ich liebe dich. Was soll ich machen?“

Schimanski der Jeans-Typ, Tanner der Fliegen-Mann. Wie kam das?

Das haben wir bei einem ersten Treffen aller Beteiligten in meinem Haus in Berlin festgelegt, wo ich auch Eberhard Feik erst kennen lernte. Als es um die Kleidungsordnung ging, sagte ich: „Von dem, was Sie da mitgebracht haben, ziehe ich nichts an. Ich weiß, wie ich aussehe.“ Und Eberhard hat gesagt: „Ich weiß auch, wie ich aussehe. Ich habe einen Anzug an und eine Fliege.“ Haben die gesagt: „Kann es nicht ein Schlips sein?“ „Nein, ich will eine Fliege.“ Und ich habe gesagt: „Ich will ein paar Jeans, Cowboystiefel und eine Militärjacke.“ Da hieß es: „Um Gottes Willen, das ist paramilitärisch.“

Gab es die schon so – in beige?

Nein, ich hatte mir eine grüne Ami-Armeejacke von meinem Bruder. „Damit siehst du paramilitärisch aus.“ – „Ich will aber so aussehen.“ – „Ja, aber kann es nicht eine Lederjacke sein und eine Cordhose?“ – „Nein! Ich mag kein Cord.“ Meinten die: „Ja, gut, machen wir die eben heller und nehmen die Achselklappen weg …“ Es war einfach lustig.

Hat Feik je die Anzugwahl bereut?

Ja, als Schimanski sehr erfolgreich wurde, wollte er lieber eine Lederjacke haben. Da sagten die Produzenten: „Du siehst aus wie ein Professor. Du hast einen größeren IQ als dieser Typ. Du musst so aussehen. Du behältst den Anzug und die Fliege.“

Er war aber doch auch in dieser Montur sehr beliebt.

Später sogar beliebter als Schimanski. Aber zunächst merkte er, dass er aussah wie alle Kommissare, während der Schmuddelkollege mit der Schmuddeljacke echt eine andere Nummer war. Als politischer Mensch wollte Eberhard eigentlich einen Revoluzzer spielen. Aber das Team hat ihm gesagt: „Guck mal, wie toll ihr zusammen funktioniert. Wie Dick und Doof. So ein Gespann gibt’s überhaupt nicht.“ Da hat er sich darauf eingelassen und den Tanner ganz toll gespielt.

Gab es Eifersüchteleien?

Nur am Anfang, aber nach ein paar Folgen hat er sich darüber amüsiert.

Das Verhältnis Tanner-Schimanski war sehr speziell, eine komplizierte und intensive Männerfreundschaft, wie man sie in solchen Filmen nicht kannte, bis hin zu Szenen, in denen Tanner mit Schürzchen kochte …

Ja, homoerotisch sei das, haben sie immer gesagt.

Eine bewusste Aufweichung der damaligen Geschlechterrollen?

Das war von den Autoren sehr geschickt gemacht. Tanner ist sehr häuslich, und dann sagt dieser Kerl: „Du bist ein absoluter Spießer.“ Und der sagt: „Du bist ein absolutes Arschloch.“ Diese Spannungssituation hat das Publikum viel mehr gemocht als Verfolgungsjagden. Die Leute sagten dann, wie ein schwules Ehepaar, grauenvoll.

Das war die deutsche Öffentlichkeit am Sonntagabend nicht gewohnt.

Genau, die wussten nicht damit umzugehen. Wieso hat der jetzt eine Schürze um? In den Achtzigern war es ja noch viel verklemmter als heute.

Schimanski war lässig, der Rest der Republik noch starr. Heute ist alles sehr viel lockerer. Fehlt der Figur jetzt dieser Widerstand?

Ja, mit Sicherheit, heute ist alles aufgeweicht.

Aber heißt das nicht auch, dass wir heute in einer besseren, lässigeren Republik leben …?

Heute leben wir in einer völlig bescheuerten Zeit. Damals war eine gewisse Ordnung da und dadurch gewisse Überraschungsmomente möglich. Die gibt’s heute nicht mehr. Es ist flach gebügelt. Es ist abgelutscht. Es ist eine oberflächliche Zeit.

Früher hieß es wegen einer albernen Schürze: Oh, das ist homoerotisch. Heute gibt es schwule Politiker. Ist das kein Fortschritt?

Ja, für den Privatmenschen. Nicht für uns Schauspieler. Heute gibt es kein Tabu mehr. Deswegen ist es wahnsinnig schwer, ordentliche Drehbücher zu schreiben. Früher war es ein Highlight, wenn einmal im Monat ein „Tatort“ lief. Heute laufen praktisch jeden Tag drei davon. Das ist so inflationär.

Was lockt Sie trotzdem ab und zu vor die Kamera?

Ein gutes Buch. Ich brauche keine Kohle, ich brauche ein gutes Buch, und dann macht es mir Spaß.

Und am Ende sitzt man neben Fernsehköchen bei der Preisverleihung.

Grauenvoll. Du darfst überhaupt nicht mehr zu einer Preisverleihung gehen, denn da triffst du ja nur C-Prominenz. Wenn nicht mal die, die es verdient haben, ausgezeichnet werden beim Fernsehpreis, nicht der Regisseur oder Kameramann oder Drehbuchautor, sondern nur noch die zweite Klasse, dann bin ich sowieso weg.

Aber weshalb haben Sie sich so an den Fernsehköchen gestört? Die haben Sie einmal explizit genannt.

Das war nur eine pauschale Beschreibung für den Umstand, dass man bei solchen Verleihungen kaum noch echte Schauspieler sieht. Als ich den Preis für mein Lebenswerk bekommen habe, stand ich auf einmal zwischen Leuten, die ich alle nicht kannte. Als ich meine ersten Preise bekam, stand ich als junger Mensch zwischen den Heroen.

Heute sind Sie das Monument für die anderen.

Früher gab es eine Handvoll guter Schauspieler. Die waren toll, und an denen hast du dich orientiert. Heute weißt du gar nicht mehr, wer gut ist, weil die Produktionen schlechter werden.

Manche bekommen aber doch eine Chance – wie Christoph Waltz, der auch einst in einem Schimanski mitspielte.

Ja, der ist ein toller Kollege. Aber auch ihm fehlten die guten Rollen. Und jetzt hat er es beweisen können. Er hat die Rolle in „Inglourious Basterds“ ganz wunderbar gespielt.

In der Schimanski-Folge „Blutsbrüder“ waren sie aneinandergekettet im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich musste den wirklich zwei Tage lang auf den Schultern tragen. Der wiegt ja auch seine 70 Kilogramm. Wir haben viel gelacht.

Wenn Ihnen einer sagen würde, Sie müssten den letzten Schimanski machen, wie sollte er gehen – mit einem großen Bang?

Nein, überhaupt gar nicht. Der tritt einfach ab. Ich bin ja sehr gerne auf Sardinien. (lacht)

Warten Sie noch auf die eine große Altersrolle?

Nein, ich will einfach gute Geschichten.

Sie haben mal gesagt, dass Ihr Vater es nie geduldet hätte, dass Sie Schauspieler werden.

Er war ein begnadeter Schauspieler, ein wunderbarer, gewaltiger Mensch, in einer Zeit, wo die Anerkennung eben anders war als heute – der wollte einen ja auch schützen vor den ersten schweren Schritten. Ich hätte meiner Tochter ja auch von diesem Beruf abgeraten, wenn sie in diese Richtung hätte gehen wollen.

In seiner Zeit hatte die Schauspielerei eine andere Bedeutung.

Seine Zeit war ungeheuer kreativ. Der war mit den tollsten Malern, mit den tollsten Schriftstellern, mit den tollsten Kreativen zusammen. Die waren alle befreundet.

Sie hätten mit Fassbinder arbeiten können, den sie mal zu einer Besprechung trafen, der aber weiter am Flipper-Automaten spielte, woraufhin Sie das Lokal verließen.

Nach allen Erzählungen über ihn glaube ich nicht, dass wir uns vertragen hätten. Das wäre nichts gewesen.

Um welches Projekt ging es?

„Acht Stunden sind kein Tag“. Die Rolle, die der (Gottfried) John dann gespielt hat. Aber das ist eine Persönlichkeit gewesen, der Fassbinder, mit dem wäre ich nicht klargekommen.

Aber wäre nicht „Berlin Alexanderplatz“ für Sie …

Da war ich ja auch im Gespräch. Aber ich weiß nicht, ob ich es durchgestanden hätte. Der Lamprecht ist toll gewesen. Besser kann man es nicht spielen. Aber hätte ich mir das alles gefallen lassen? Ich hätte dem Fassbinder wahrscheinlich mal auf die Schnauze gehauen. Andererseits, wie oft habe ich bei Regisseuren gesagt: Um Gottes Willen! Und dann waren wir am Ende ein ganz tolles Gespann.

Wenn Sie ein Drehbuch lieben, helfen Sie sogar mal mit eigenem Geld, damit es gedreht werden kann, so bei „Nichts als die Wahrheit“.

Ja, aber das wird sofort falsch gedeutet, da sagt man: Der will nur Erfolg haben und finanziert sich den selber. Nein, das war einfach ein wichtiges Thema. Man muss sich immer rechtfertigen. Wenn einer in Schwierigkeiten ist und du gibst ihm Geld, sagt sofort ein Deutscher: Ja, warum? Will er sich jetzt wichtig machen oder was?

Deswegen sind Sie auch lieber auf Sardinien als in Berlin?

Ich bin in Deutschland oder Berlin, wenn ich arbeite, oder ich gucke nach dem Rechten und bezahle meine Rechnungen, dann bin ich wieder weg.

Samuel Fuller am Rhein

Zum Jubiläum des „Tatort“ erscheinen weitere DVD-Boxen mit Filmen aus vier Jahrzehnten.

Wie betulich der „Tatort“ in den Siebzigern und den Achtzigern war – daran erinnert man sich immer erst, wen man die Filme sieht. „Spätlese“ mit Hansjörg Felmy von 1977 etwa oder „Haie vor Helgoland“ von 1984, ein Fall für Manfed Krug. Aus den Neunzigern gibt es Odenthal, Batic/Leitmayr und Ballauf/Schenk, aus den Jahren nach 2000 Sänger/Dellwo, Lindholm und Thiel/Börne. Dem etwas bemüht skurrilen Duo Axel Prahl und Jan Josef Liefers ist auch eine zweite Box mit drei Filmen gewidmet. So viel Ehre wird sonst nur Schimanski zuteil, der in der 80er-Jahre-Box mit „Der Pott“ (1989) vertreten ist, während „Unter Brüdern“, die Ost-West-Kooperation zwischen“Tatort“ und „Polizeiruf 110“ von 1990, als Einzel-DVD erscheint. Ebenso wie „Schwarzer Peter“ aus Leipzig, bei dem man wieder überlegt, wie Martin Wuttke sich wohl seine Rolle vorstellt. Die größte Wiederentdeckung ist Samuel Fullers gar nicht gemütlicher „Tatort“ von 1973, „Tote Taube in der Beethovenstraße“: Es agiert der schnauzbärtige Glenn Corbett neben Christa Lang. Der Amerikaner Fuller zeigt uns, weshalb es am Rhein so schön ist – und wie ein lauschiges Picknick auf dem Drachenfels enden kann. (aw)

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates