Was meinte Neil Postman mit „Wir amüsieren uns zu Tode“?

Vor zwanzig Jahren verstarb der zu Berühmtheit gelangte Medientheoretiker Neil Postman. Er sah schon in den 80er-Jahren unser Infotainment-Zeitalter voraus und warnte vor einer Gesellschaft, in der Informationen mehr wert sind als Fakten.

Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich beschleunigende Entwicklung neuer Medien brachte auch den Aufstieg der Medienwissenschaften mit sich. Eine Zeit lang erschienen Theoretiker wie Marshall McLuhan und Friedrich Kittler wie Propheten eines unbekannten, aber durchaus auch gefährlichen geistigen Kontinents. Walter Benjamin und der Aura-Begriff kehrten zurück in die Diskussion. Und unter all den hitzigen Debatten setzten sich auch die Gedanken von Neil Postman fest.

Mehr zum Thema
Darum sind handyfreie Konzerte ein Gewinn für alle

Der Kulturkritiker und Medienwissenschaftler, eigentlich Professor für Medienökologie an der New York University, schrieb eine Reihe von Büchern, die große Bekanntheit auch bei einem Publikum erlangten, das für gewöhnlich eher einen Bogen um akademische Themen macht. So wie von Marshall McLuhan der (immer etwas falsch verstandene) Slogan „Das Medium ist die Botschaft“ Verbreitung fand, gelang Postman mit dem Titel seines Buches „Wir amüsieren uns zu Tode“ ein geflügeltes Wort entstehen zu lassen.

Die Dominanz von Unterhaltung untergräbt politische Willensbildung

Der schmale Band aus dem Jahr 1985 ist geprägt von einer vor allem in den USA bereits in den ausgehenden 70er-Jahren diskutierten „Verflachung“ des TV-Programms. Postman geht es aber nicht nur darum, dass billige Massenware von Soaps bis hin zu krawalligen Talkshows die Sendeplätze für Hochgeistiges verstopfen – eine Debatte, die ja auch in deutschen Feuilletons immer noch geführt wird – , sondern dass der Einfluss von Fernsehen und anderen Medien das Denken der Menschen entscheidend beeinflusst und auch gravierende Auswirkungen auf die politische Kultur hat.

Der Theoretiker behauptet, dass die neue Medienkultur dazu führt, dass die Menschen weniger in der Lage sind, komplexe Themen gründlich zu analysieren und ernsthafte Diskussionen zu führen. Stattdessen sind sie ständig auf der Suche nach Unterhaltung, die oft oberflächlich und leicht verdaulich ist. Weil das auch die Medienproduzenten wissen, richten sie ihre Formate danach aus.

Postman warnt davor, dass diese Fixierung auf Unterhaltung und visuelle Reize dazu führt, dass gesellschaftliche Probleme vernachlässigt werden oder bestimmte Themen aufgrund ihrer Attraktivität für Bildmedien oder ihrer narrativen Anschlussfähigkeit bevorzugt werden, andere aufgrund ihrer Komplexität und schwierigen Darstellbarkeit dagegen vernachlässigt. Ernsthafte Themen würden trivialisiert, anstatt sie angemessen zu behandeln. Dies könne, so Postman, zu einer Art kultureller Ablenkung führen, bei der die Menschen in einer Infotainment-Welt des oberflächlichen Vergnügens gefangen bleiben, anstatt sich mit den tiefgreifenden Herausforderungen und Fragen ihrer Zeit auseinanderzusetzen.

Orwell vs. Huxley

Der Aufhänger von Neil Postmans These, dass wir uns zu Tode amüsieren, ist die Frage, welche Gesellschaftsdystopie der modernen Literatur sich eher als stichhaltig erwiesen hat: Orwells „1984“ (also jenes Jahr, in dem der Autor sein Buch schrieb!) oder Huxleys „Schöne neue Welt“. Der Medientheoretiker gibt sich in seinem Werk sicher: Huxley hatte recht! Postman betont, dass der Schriftsteller in seinem Buch die Idee präsentiert, dass die Menschen in einer zukünftigen Gesellschaft durch Unterhaltung und Ablenkung absolut kontrolliert werden könnten. In dieser Welt konsumieren die Menschen ständig Drogen und werden von Vergnügungen abgelenkt, um ihre kritische Denkfähigkeit zu unterdrücken.

Das Fernsehen der 80er-Jahre, aber auch der Trend zu schrillerer Berichterstattung in Zeitschriften oder im Radio, machte für Postman den Eindruck, eine solche Droge zu sein. Der Verlust der Kritikfähigkeit sei dann sozusagen das Opfer, das die Menschen bringen, um sich nicht mit dem Elend um sie herum konfrontieren zu müssen. Macht- und medienpolitisch gesehen besteht die Pointe aber auch darin, dass es keine tyrannische, allsichtige Gewalt geben muss, wie in „1984“ Big Brother, um die Menschen zu beherrschen. Im Gegenteil: Derart sediert von den Medien, kontrollieren sich die Menschen selbst. Natürlich sprach Postman nicht von Biopolitik, auch wenn Michel Foucault bereits in den 70ern den Begriff einführte, aber die heute unter dem Begriff Selbstoptimierung bekannten Techniken, um sich selbst zu erziehen und permanent unter einem schlechten Gewissen zu leiden, klingen hier bereits an.

Dass die Diskussion mit dem aufkommenden Internet-Zeitalter und der inzwischen angebrochenen Streaming- und KI-Epoche nicht in ihrer Relevanz abnimmt, dürfte auf der Hand liegen. Die Welt, die Postman in seinem Buch skizzierte, war indes noch weit von der konzentrationslosen Zeit entfernt, die heute dazu führt, dass sich Menschen Apps auf ihr Smartphone laden, um es seltener zu benutzen.

Technisierung als Schicksal der Menschheit

Die Gefahren der Informationsgesellschaft, in der es nicht mehr darauf ankommt, was gesagt wird (weil Informationen theoretisch im Vergleich zu Fakten alle gleichwertig sind, aber durch mediale Attraktivität mehr Wirkung erzielen können), wurden für Postman zum Thema seines Lebens. Oberflächlichkeit und Banalisierung von Nachrichten und Wissen waren ihm ein Graus. Er plädierte für eine Einschränkung der Macht von Fernsehmachern. Voraussehen wollte er noch nicht, dass Jahrzehnte später wenige Medien-Großkonzerne ganze Archive von Content beherbergen und Portale wie Netflix für eine ganze Generation als Grundlage für den eigenen Medienkonsum herhalten.

Für die Zukunft prophezeihte Postman schon vor dem Millenium-Wechsel, dass das Beherrschen der technischen Entwicklung das Schicksal der Menschheit bestimmen werde. In seinem Buch „Technopoly“ von 1992 argumentiert der Theoretiker, dass die Dominanz der Technologie dazu führen würde, dass sie als Lösung für alle Probleme betrachtet wird. Kein gesellschaftliches Problem sei dann zu kompliziert, als dass es nicht mit einer einfachen Lösung (sprich: mit einer App, mit Satelliten im Weltraum, mit Windkraft und Elektromobilen etc.) beherrscht werden könnte.

Mehr zum Thema
Fünf Bücher, die man lesen muss, um die Liebe zu verstehen

Damit sich solche seiner Meinung nach irrsinnigen Ideen von der vermeintlich einfachen Beherrschbarkeit menschlichen Lebens und der Allgegenwärtigkeit von ohnmächtig machender Unterhaltung nicht durchzusetzen beginnen, betonte Postman die Bedeutung einer kritischen Medienbildung, um Menschen dabei zu helfen, die Auswirkungen der Medien auf ihr Denken und Handeln zu verstehen. Der Wissenschaftler argumentierte, dass Bildung angesichts der technologischen Veränderungen in der Gesellschaft neu überdacht werden müsse, um Handlungsfähigkeit herzustellen. Postman war sich sicher, dass die Fortentwicklung der Technik die Reformmöglichkeiten des Bildungssystems innerhalb kürzester Zeit so abhängen würde, dass es kaum mehr möglich sei, die Menschen so auszubilden, dass sie mit den Schattenseiten der verführerischen Gadgets und Spielzonen umgehen können.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates